Nazi-Gemälderaub Kunst und Kriegsverbrecher
Das alte BP-Parkhaus am Neumarkt gehört nicht zu den schönsten Orten der Kölner Innenstadt. Den Mann, der hier regelmäßig ab Ende der Siebziger seinen auch nicht mehr ganz neuen NSU Ro 80 parkte, störte das nicht. Er kam nur, um nebenan Geld abzuholen.
Keine Spuren zu hinterlassen, hatte der damals 75-Jährige gelernt. Systematisch die Wahrheit zu verbergen hatte ihm dreieinhalb Jahrzehnte zuvor das Leben gerettet. Damals, bei den Nürnberger Prozessen, schaffte es Albert Speer, dem internationalen Tribunal einen unbedarften Mitläufer vorzuspielen und zu behaupten, er habe von den Kriegsverbrechen der Nationalsozialisten nichts gewusst.
Dass Speer als hoher NS-Funktionär neben einem großen Vermögen auch eine stattliche Kunstsammlung angehäuft hatte, war der Öffentlichkeit ebenfalls verborgen geblieben. Spät erst erfuhr auch der Kriegsverbrecher selbst davon, dass seine Werke den Krieg in der Obhut eines Freundes in Mexiko überstanden hatten.
Speer versilberte über 20 Kunstwerke
Erst als dieser Freund Ende der siebziger Jahre Teile der ehemaligen Sammlung Speers versteigern lassen wollte und dabei ein Düsseldorfer Museumskustos ein Böcklin-Gemälde wiedererkannte, wurde Speer darüber informiert - von Henrik Hanstein, dem damaligen Juniorchef und heutigen Inhaber des Kölner Auktionshauses Lempertz. Speer einigte sich mit den Bewahrern seiner Bilder auf Teilung und entschied, seinen Teil ebenfalls bei Lempertz zu versilbern.
Rund zwanzig bis dreißig Bilder seien es schließlich gewesen, die der Nazi bei seinem Unternehmen einlieferte, erinnert sich Hanstein. Das Geld habe Speer in bar erhalten, offenbar an der Familie vorbei, um davon seine heimliche Geliebte zu finanzieren: "Nein, er hat nie eine Unterschrift geleistet", erinnert sich Hanstein. Knapp eine Million Mark flossen auf diese Weise in Speers Kasse. Nach Speers Tod meldete sich dessen Witwe bei Hanstein und fragte, wo denn das ganze Geld aus den Kunstverkäufen geblieben sei.
Bei vielen Bildern, Skulpturen und Grafiken, die damals über Auktionshäuser und Galerien die Besitzer wechselten, besteht der begründete Verdacht, dass sie zwischen 1933 und 1945 ihren Besitzern gestohlen oder abgepresst worden waren. Händler, die von den Kunstraubzügen der Nazis profitierten, haben bei Kriegsende Kunstwerke beiseitegeschafft, um sie nach der Währungsreform in der Bundesrepublik an finanzkräftige Sammler aus dem In- und Ausland zu verkaufen, sobald die von den Alliierten festgesetzten Rückforderungsfristen abgelaufen waren.
Der Fall Lohse: Monet und Renoir im Züricher Tresor
Wie in Politik, Wirtschaft und Justiz herrschten auch im deutschen Kunsthandel der Nachkriegszeit personelle Kontinuitäten. Welches Ausmaß die mit ihrer Hilfe organisierten und ohne sie kaum möglichen illegalen Deals hatten, die heute längst verjährt sind, wurde vor kurzem in der Schweiz sichtbar.
Als dort Ermittler den Safe Nr. 5 in der Zürcher Kantonalbank öffnete, fand der Züricher Staatsanwaltschaft Ivo Hoppler neben zahlreichen Dokumenten auch fünf wertvolle Gemälde impressionistischer Meister, deren Titel die Staatsanwaltschaft aber wegen noch laufender Verfahren nicht veröffentlicht. Dabei soll es sich unter anderem um Bilder von Pissarro, Renoir und Monet handeln.
Gemietet hatte den Tresor die stiftungsähnliche Schönart Anstalt mit Sitz in der liechtensteinischen Hauptstadt Vaduz. Hinter der anonymen Gesellschaft mit dem wohlklingenden Namen steckte einer der prominentesten Kunsträuber der NS-Zeit: Bruno Lohse. Der ausgebildete Kunsthistoriker, der am 21. März 2007 in München 95-jährig starb, war bis zum Kriegsende vor allem dafür verantwortlich gewesen, dass Reichsmarschall Hermann Göring regelmäßig mit Kunst versorgt wurde.
Nazis verkaufen "entartete Kunst"
Bruno Lohse ist kein Einzelfall. Dringend aufgearbeitet werden müssten die Aktivitäten jener Kunsthändler, die die Nationalsozialisten offiziell mit dem Verkauf der als "entartet" bezeichneten Kunst beauftragten. Bernhard A. Böhmer beging 1945 Selbstmord. Hildebrand Gurlitt, Ferdinand Möller und Karl Buchholz aber betätigten sich auch nach dem Krieg weiter als Kunsthändler.
1951 verkaufte Möller in seiner Kölner Galerie das berühmte abstrakte Gemälde "Improvisation 10" von Wassily Kandinsky an seinen Kollegen Ernst Beyeler nach Basel. Das Bild, das nie offiziell in Möllers Galerie angeboten wurde, sondern hinter einem Schrank versteckt war, hatte der Familie des Malers El Lissitzky gehört und war 1937 von den Nationalsozialisten im Provinzialmuseum Hannover beschlagnahmt worden. Gurlitt suchte bei Kriegsende Zuflucht auf dem Schloss des Luftwaffen-Offiziers Karl Baron von Pöllnitz in Aschbach bei Bamberg. Dort hielt sich auch ein anderer NS-Kunsthändler und Göring-Lieferant, Karl Haberstock, auf.
Noch lange nach Kriegsende tauchten Bilder ungeklärter Herkunft auf, die sich bis zum fränkischen Trio zurückverfolgen lassen: Im November 2000 zum Beispiel musste die National Gallery of Art in Washington ein wertvolles Altmeistergemälde von Frans Snyders an die legitimen Besitzer zurückgeben. Hermann Göring hatte das "Stillleben mit Früchten und Wild" 1941 aus der Pariser Sammlung Edgar Stern beschlagnahmt. Einen Monat später übernahm Karl Haberstock das Bild, und um 1968 erwarb es dann ein amerikanischer Privatsammler von Karl von Pöllnitz.
Haben noch mehr verschollen geglaubte Bilder den Krieg überlebt?
In jeder deutschen Stadt blühte zwischen 1933 und 1945 das Geschäft mit der geraubten Kunst, und in jeder deutschen Stadt gab es unzählige Beteiligte, die davon profitierten - zum Teil noch weit über das Kriegsende hinaus. In Frankfurt sortierte der Maler, Kunsthändler und Versteigerer Wilhelm Ettle im Auftrag der NS-Regierung jene Kunstwerke heraus, die "national wertvoll", also verwertbar waren. Einiges davon behielt er gleich selbst, um es später auf eigene Rechnung zu verkaufen. Im benachbarten Bad Homburg erwarb der Kunsthändler Albert Daberkow Kunstwerke aus jüdischem Besitz und verkaufte sie weiter. Angeblich befindet sich ein wertvolles Nolde-Bild heute in Italien, wo sich nach dem Krieg zahlreiche gestohlene Kunstwerke wiederfanden.
Der Wirbel um Ernst Ludwig Kirchners Gemälde "Berliner Straßenszene", das das Land Berlin 2006 an die Erben des einstigen Besitzers zurückgegeben hat, machte die Hintergründe des Handels mit geraubter Kunst in der NS-Zeit einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Vor allem prominente Vertreter des deutschen Kunsthandels protestierten so vehement wie unsachlich gegen die ihrer Meinung nach voreilige Restitutionsentscheidung, zu der der Senat aber tatsächlich gemäß den geltenden Richtlinien keine Alternative hatte. Das Wort vom Schlussstrich, der endlich gezogen werden müsse, machte wieder einmal die Runde.
Allein die Handreichung, mit der die Bundesregierung seit Februar 2001 überwiegend vergeblich die deutschen Museen zu eigenen Provenienzforschungen auffordert, enthält eine Liste mit fast 200 Namen von Beamten, Gutachtern, Kuratoren, Kunsthistorikern, Diplomaten, Kunsthändlern, Auktionshäusern und Speditionen, die in den Handel mit geraubter Kunst verwickelt waren - darunter so klingende Namen wie der der Münchner Galeristin Maria Almas Dietrich, die im besetzten Paris rund 320 Gemälde erwarb und auch nach dem Krieg noch über ein gut gefülltes Bilderlager verfügte. Tatsächlich dürfte die Zahl der beteiligten Museumsmitarbeiter und Kunsthändler in Deutschland in die Tausende gehen.
Gerüchte: Weitere verschollene Bilder in geheimen Depots
Die Entdeckung der Lohse-Bilder im Züricher Tresor hat auch Gerüchten neuen Auftrieb gegeben, berühmte Kunstwerke, die als im Krieg zerstört gelten, könnten in geheimen Depots überlebt haben, die führende Nazis oder ihre Kunstlieferanten anlegten. Der Herforder Textilunternehmer und Sammler Jan Ahlers bestätigt, dass ihm vor sechs Jahren ein anonymer Anrufer Franz Marcs Gemälde "Der Turm der Blauen Pferde" zum Kauf angeboten habe. Mehrere Augenzeugen hatten das berühmte expressionistische Gemälde, das Hermann Göring annektiert hatte, bei Kriegsende noch in Berlin gesehen; seither ist es verschwunden.
Jenem Dutzend Gemälde von Munch, Marc und van Gogh, die Hermann Göring 1938 aus deutschen Museen beschlagnahmen, sich überstellen und zum Teil verkaufen ließ, hat der ehemalige Kustos an der Neuen Nationalgalerie Berlin, Roland März, gemeinsam mit seiner Kollegin Andrea Hollmann für ein neues Buch nachgespürt. Auch März schließt nicht aus, dass diese Gemälde den Krieg überlebt haben: "Ich habe jedenfalls, anders als bei vielen anderen Werken, keinen Beleg dafür gefunden, dass sie zerstört worden wären." Als er Bruno Lohse vor einigen Jahren auf die verschwundene Göring-Sammlung ansprach, sagte der nur: "Die Bilder, die Sie suchen, sind mir nie angeboten worden. Ich schwöre bei Gott."
Als er 95-jährig im März in München starb, hinterließ Lohse ein Testament, in dem er auch seine Kunstsammlung vererbte. Den Großteil der Bilder vermachte er seiner Nichte. Bruno Lohse zeigte sich aber traditionsbewusst: Zu den Erben zählt dem Vernehmen nach auch die Tochter einer in Nürnberg zum Tode verurteilten Nazigröße.
Stefan Koldehoff © Juno Kunstverlag, 2007. Lesen Sie mehr über dieses Thema in der aktuellen "Monopol".