
"#Nazis raus" Die deutscheste Debatte überhaupt

Demo gegen die AfD (Berlin, 2017)
Foto: Boris Roessler/ picture alliance / Boris Roessler/dpaWenn man den kürzesten Weg gehen wollte, könnte man einfach festhalten, dass Boris Palmer die Parole "Nazis raus" kritisch sieht , und schon wüsste man, dass sie richtig und gut ist. Weil wir aber länger Zeit haben, können wir uns genauer ansehen, was da für eine traurige Debatte läuft, seit die ZDF-Journalistin Nicole Diekmann zum Jahresbeginn "Nazis raus" twitterte .
Zunächst mal: Die deutscheste Debatte ever - sowohl in Bezug auf die Pingeligkeit, mit der gefragt wird, was genau denn jeweils die zwei Wörter im Einzelnen und in Kombination bedeuten, als auch in Bezug auf die weit verbreitete Bereitschaft, Menschenfeindlichkeit zu tolerieren und sich im Zweifel lieber doch nicht mit Antifaschistinnen zu solidarisieren.
Die Aufregung um Nicole Diekmanns Tweet hatte zwar erst mal auch etwas damit zu tun, dass Diekmann auf Nachfrage, was denn nun genau ein Nazi sei, den Witz machte, "jede/r, der/die nicht die Grünen wählt" und Ironie im Internet immer dünnes Eis ist. Aber nicht nur. Sie hatte auch damit zu tun, dass es in einem Land, in dem sich Leute von einem "Nazis raus" angegriffen fühlen, ein Problem gibt.
Ein simpler Spruch
Natürlich, nicht nur Probleme. Neben Anfeindungen und Drohungen erhielt die Journalistin auch viel Solidarität von allen möglichen Leuten, von Einzelpersonen, Medien. Boris Becker twitterte "Nazis raus" , der Deutsche Fußballbund ebenso. Auch Deutschlandfunk Kultur reihte sich ein - um dann aber kurz darauf in einer Sendung im Deutschlandfunk zu diskutieren, ob das so richtig gewesen sei . "Ein Tweet für alle Trolle und Rechten. #NazisRaus", das war der Text, den Nicola Balkenhol, Deutschlandfunk-Onlinechefin, im Nachhinein nicht gelungen fand, wobei sie aber immerhin erklärte, dass man sich eigentlich nur aufs Grundgesetz einigen muss um zu sehen, dass in Deutschland kein Platz für Nazis sein sollte.
Es ist ja eigentlich ganz einfach. "Nazis raus" ist ein simpler Spruch, aber das haben Demosprüche so an sich. Man geht nicht auf eine Demo und ruft "Wussten Sie eigentlich, dass die Entnazifizierung in Deutschland nicht so gut geklappt hat und in Politik und Justiz immer noch wichtige Ämter von Leuten besetzt sind, die Aussagen machen, in denen mitunter gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ausfindig gemacht werden kann und wollen wir da nicht noch mal drüber diskutieren, da würde ich doch sehr drum bitten". Und nicht zuletzt ist "Nazis raus" auch deswegen von überzeugender Klarheit, weil "Ausländer raus" auch sehr simpel ist.
Schön kontrovers
Für Deutschland 2019 ist "Nazis raus" aber schon kontrovers. Manche fragen, ob aus Naivität oder Trollerei: Ja, wohin denn? Raus aus Deutschland? Raus an die frische Luft? Ja, wo raus denn? Vorschläge: Raus aus politischen Institutionen, raus aus der Polizei , raus aus den Schulen und Unis, raus aus dem Leben von Menschen, die jeden Tag Erfahrungen mit Rassismus machen. Das wäre doch mal ein Anfang.
Würde man meinen. Stattdessen wird einmal quer durchs Feuilleton erklärt, was an "Nazis raus" alles angeblich problematisch ist.
- Auf "Zeit Online" schrieb Mariam Lau über "Nazis raus" als Beispiel für sprachliche Verrohung und einen "gefährlichen Fatalismus".
- "Der Begriff Nazi ist zum Kampfbegriff geworden", stellte der "Cicero" fest . Ja, wann? Bei seiner Erfindung womöglich? "Man muss sich entscheiden", schrieb Antje Hildebrandt weiter: "Solidarität für eine Journalistin, die vorgibt, sich um die Zukunft der Demokratie zu sorgen? Oder Verständnis für die, die sich als Nazis beleidigt fühlen? Option A kostet nur einen Like, Option B erfordert schon etwas Rückgrat." Rückgrat heißt das neuerdings? Oder doch eher der ganz unverhohlene Wille lieber mit Rechten zu kuscheln als den Neid auf eine Kollegin zu überwinden, die man als "Jeanne d'Arc im Kampf gegen Rechts" verspottet?
- Auf "Welt Online" hieß es, die "Nazis raus"-Parole sei "grundgesetzwidrig": Der Autor Richard Schröder schaffte den beachtlichen Dreh, von der Tatsache, dass Nazis grundgesetzwidrig sind, umzuschwenken auf die Idee, "Nazis raus" zu sagen sei "wörtlich genommen" eine "Aufforderung zum Verfassungsbruch", weil hier nahegelegt würde, Nazis sollten ins Ausland verbannt werden, was doch juristisch gar nicht möglich sei in Deutschland. Außerdem behauptete Mathias Döpfner , der Spruch "Nazis raus" würde "den Nationalsozialismus verharmlosen, damit den Holocaust minimieren", ohne jegliche Erklärung, auf welch magische Art das nun wieder funktionieren soll.
Wer nichts mehr tut, hat verloren
Wer "Nazis raus" sage, so eine weitere Kritik, ermögliche Nazis, sich zum Opfer zu machen. "Wer rechtsextrem ist, nutzt die Klage über die 'Keule' zur Selbstverharmlosung", schrieb die "Süddeutsche" . Ja, natürlich. Rechtsextreme benutzen ALLES zur Selbstverharmlosung und dazu, sich zum Opfer eines vermeintlichen Mainstreams zu stilisieren - das heißt aber nicht, dass man sie nicht bekämpfen muss. Wer nichts mehr tut, was Nazis nicht irgendwie rumdrehen können, um sich als Verfolgte darzustellen, wird nichts mehr gegen Nazis tun und hat verloren.
So zeigt sich an den Reaktionen auf einen einfachen Tweet, wie man in einer politischen Debatte falsch abbiegen kann: in höchst merkwürdige Textinterpretationen eines alten und berechtigten Slogans, statt in Solidarität mit denen, die akut mit Gewalt bedroht werden. Durch den Angriff auf AfD-Politiker Frank Magnitz wurde das alles nicht besser: Von einem "schwarzen Tag für die Demokratie" schrieb Ulf Poschardt in der "Welt", als sei nicht jeder Tag ein schwarzer Tag für die Demokratie, an dem die AfD im Bundestag hetzt oder Menschen aufgrund von Aussehen oder Herkunft auf der Straße angegriffen werden.
Zusammenstehen gegen Nazis
Die freie Autorin Veronika Kracher, die auch schon für die "taz" geschrieben hat, bezeichnete auf Twitter den Angriff auf Magnitz als "konsequente Durchführung von #NazisRaus". Man muss das nicht gut finden, man muss aber auch nicht wie der "taz"-Chefredakteur Georg Löwisch direkt einen Text ins "taz"-Blog schreiben, dass man sich davon distanziert. Es geht sowieso niemand Vernünftiges davon aus, dass alles, was freie Autorinnen auf Social Media machen, repräsentativ für alle Medien ist, für die sie jemals geschrieben haben (dann hätte sich der SPIEGEL längst für seinen Katzenfetisch rechtfertigen müssen). Die Autorin Kracher hatte zu dem Zeitpunkt, als Löwischs Text erschien, bereits massenhaft Gewaltandrohungen von Nazis erhalten und musste einen Vortrag über Antisemitismus, der schon länger geplant war, an einen geheimen Ort verlegen lassen, aus Sicherheitsgründen.
Die "taz" selbst wurde am Montagmorgen von Aktivisten der Identitären Bewegung attackiert , die versuchten, Plakate am Gebäude anzubringen und dabei eine "taz"-Mitarbeiterin tätlich angriffen, die sie daran hindern wollte. Niemand, der sich öffentlich gegen rechts äußert, ist sicher davor, angegriffen zu werden. Umso wichtiger ist es, dass diejenigen zusammenstehen, die finden, dass nirgendwo ein Ort für Nazis sein sollte.