"Netzwerk Recherche" in der Krise Ein schrecklicher, notwendiger Verein

Ausgerechnet ein Journalistenverein, der sich exakter Recherche und größtmöglicher Transparenz verschrieben hat, stolpert über Unklarheiten in der eigenen Buchhaltung. Die brancheninterne Häme über den Skandal beim "Netzwerk Recherche" ist verständlich, aber unfair, meint Stefan Niggemeier.
Teilnehmer des Jahreskongresses des "Netzwerk Recherche": Offene Türen einrennen

Teilnehmer des Jahreskongresses des "Netzwerk Recherche": Offene Türen einrennen

Foto: Christian Charisius/ dpa

Es ist leicht, das "Netzwerk Recherche" zu hassen, und ein guter Ort, das zu lernen, ist das jährliche Treffen des Vereins in Hamburg. In einem Komplex von Konferenzräumen beim Norddeutschen Rundfunk sitzen dann alle, die wichtig sind in den deutschen Medien oder es werden wollen, und beklagen den Zustand der Branche. Eine lähmende Wehleidigkeit liegt über den großen Podiumsdiskussionen und ein manchmal stilles, manchmal lärmendes Einverständnis, dass es bergab geht mit dem Journalismus, während man eigentlich nur selbst noch gute Arbeit leistet, oder jedenfalls: leistete, wenn man nur gelassen würde.

Man ist sich einig, gegen wen es zu kämpfen gilt: die PR-Leute, die Quoten-, Klick- und Auflagenoptimierer, die Rationalisierer und im Zweifel natürlich auch die Politik. Die besonders üblen üblichen Verdächtigen werden dann noch mit einem Negativ-Preis ausgezeichnet, der "verschlossenen Auster", die in den vergangenen Jahren die böse katholische Kirche, die bösen Banken, das böse Internationale Olympische Komitee und der böse Wladimir Putin bekommen haben. Dazu hält gerne Heribert Prantl, Leitartikler der "Süddeutschen Zeitung", eine Rede, in der er Türen einrennt, die zwar sperrangelweit offen stehen, aber selten so schön und metaphernstark eingerannt wurden.

In diesem Jahr traf es die Stromkonzerne. Denen wirft das "Netzwerk Recherche" ausnahmsweise nicht Schweigen vor, sondern Reden: Propaganda in eigener Sache, gegen den Atomausstieg. Nun könnte man sagen, dass das doch eigentlich die vorgesehene Aufgabenteilung ist: Unternehmen machen PR und Journalisten klären darüber auf. Aber sicher traf es mit den Stromkonzernen nicht die Falschen.

Doch genau das ist ja das Problem und typisch dafür, wie das "Netzwerk Recherche" funktioniert: Warum soll man einen Buhmann noch einmal an den Pranger stellen?

Die Jahrestagung ist vor allem ein Ort der Selbstvergewisserung. "Wir sind die Guten", könnte der Untertitel des Vereins lauten. Die Jahrestagung läuft unter Titeln wie: "Fakten gegen Fiktionen", "Die Wahrheit als Kollateralschaden", "WIR könn(t)en auch anders" oder, mit seinem apokalyptischen Kalauer besonders typisch: "Journalismus zwischen Morgen und Grauen".

Ich habe in diesem Jahr geschwänzt. Ich hatte keine Lust, wieder dasselbe zu sagen, was ich immer sage, und anderen zuzuhören, die dasselbe sagen, was sie immer sagen.

Statisch, wohlfeil, unoriginell und realitätsfern

Das Netzwerk lässt sich leicht mit einem schrecklichen Mode-Schimpfwort als "Gutmenschen"-Verein verunglimpfen. Weil seine Positionen oft so statisch, wohlfeil, unoriginell und realitätsfern wirken. In seinem 2006 veröffentlichten Medienkodex heißt es bündig: "Journalisten machen keine PR" - als sei das das Ende einer Debatte und nicht bestenfalls der Ausgangspunkt für viele Fragen, deren Antworten nicht von vornherein feststehen. In der Einleitung formulierten die Netzwerker: "Neue Technologien gefährden den Journalismus" - die Chancen, die alles, was nach dem Fax-Gerät erfunden wurde (das offenbar noch den Segen der Netzwerk-Altvorderen hat), kommen in dem Kodex nicht vor. Aber das Internet steht reflexartig auf der gleichen falschen Seite wie ein Atomkonzern.

Es kommt etwas hinzu: Eitelkeit. Die bizarre Kontroverse um die Einladung an Carsten Maschmeyer, den umstrittenen Gründer des ebenso umstrittenen Finanzunternehmens AWD, ist ein trauriger Beleg dafür. Der frühere NDR-Chefreporter Christoph Lütgert, der einen sehr eitlen kritischen Film über Maschmeyer gedreht hat, bestand darauf, mit auf dem Podium zu sitzen; Maschmeyer lehnte ab; das Netzwerk schlug einen Ersatz für Lütgert vor; Lütgert schäumte; Maschmeyer sagte ganz ab; Lütgert trat aus dem Netzwerk aus. Man kann in dem Fall natürlich eine Grundsatzauseinandersetzung darüber sehen, was sich Journalisten diktieren lassen dürfen. Um diesen Prinzipienstreit sehen zu können, müsste man aber an dem riesig aufgeblasenen Ego von Lütgert vorbeigucken können.

Es ist also leicht, das "Netzwerk Recherche" zu hassen, und eine gute Person, um diese Reaktion zu provozieren, ist Thomas Leif. Leif ist im Hauptberuf Chefreporter des Südwestrundfunks. Er ist mit seinem gleichzeitig schroffen und beifallheischenden Auftreten, seiner Wichtigtuerei und seinen festen Positionen eine große Nervensäge.

Vor drei Jahren drehte er einen Film über den Konflikt zwischen Öffentlich-Rechtlichen und Privaten über die Zukunft des Journalismus, der in einem Maße pro domo ausfiel, dass es allen hehren Forderungen des "Netzwerkes Recherche" Hohn sprach (ganz abgesehen davon, dass dies auch als erkennbare Propaganda in eigener Sache kontraproduktiv war). Falls es eine ernsthafte selbstkritische Auseinandersetzung damit beim "Netzwerk Recherche" gab, habe ich sie verpasst.

Es ist kein Wunder, dass jemand wie Leif mit seinem Missionierungsdrang und dem Hang, Dinge an sich zu reißen, zur dominanten Figur im "Netzwerk Recherche" wurde. Vielleicht ist es sogar eine Notwendigkeit - und die anderen Edelfedern und Journalistenpromis im Vorstand scheinen auch keinen Hang gehabt zu haben, ähnlich viel Zeit und Energie in die Sache zu stecken.

Nun ist Leif als Vorstand geschasst worden - wegen einer Finanzaffäre. Spenden scheinen nicht korrekt verbucht worden zu sein, weshalb das Netzwerk Zuschüsse von der Bundeszentrale für politische Bildung bekommen hatte, die ihm nicht zugestanden hätten.

Nützliche Quasselbude

Dass das nicht akzeptabel ist, darüber muss man nicht reden. Dass es für einen Verein wie "Netzwerk Recherche" ganz besonders wenig akzeptabel sein soll, muss man allerdings mühsam konstruieren. Transparenz sei doch eine zentrale Forderung des Vereins, heißt es bedeutungsschwanger, und dann sowas! Ist es nicht ein merkwürdiger Reflex, dass wir gegenüber einem Verein, der eigentlich Gutes will, besonders unbarmherzig sind, was Fehler angeht?

In Wahrheit geht es dem Netzwerk um die Förderung von Recherche und gutem Journalismus. Vernünftige Finanzen sind bloß eine Selbstverständlichkeit. Die Häme, die den Verantwortlichen nun entgegenschwappt, die statt auf hohen Rössern zu sitzen, nun im Staub kriechen müssen, ist ebenso nachvollziehbar wie unfair. Es ist enttäuschend, dass auch in Organisationen, die für eine gute Sache kämpfen wollen, Fehler passieren und Menschen mit Schwächen arbeiten.

Aber der Finanzskandal wird von Kritikern jetzt wie zum Beweis genommen, dass es den Verantwortlichen gar nicht um die gute Sache gegangen sei. Als eine "Quasselbude für Sonntagsreden mit der Neigung zur elitären Pseudoschöngeistigkeit" bezeichnet der Journalist und Journalistikdozent Christian Jakubetz  den Verein, was in seinem Wut- und Wort-Überschuss ganz gut zeigt, welche Reflexe das "Netzwerk Recherche" bei vielen auslöst. Es ist daran, wie gesagt, nicht schuldlos. Und doch ist die pauschale Kritik ungerecht.

Hinter den Sonntagsreden gibt es eine Vereinsarbeit, die sich tatsächlich redlich darum kümmert, den Journalismus zu verbessern. Mit Seminaren, Publikationen und Fördermaßnahmen, in denen es sehr konkret zum Beispiel darum geht, besser zu recherchieren. Die sind im Einzelfall sicher auch angreifbar - und natürlich kann man, wie Jakubetz, fragen, warum das "Netzwerk" zum Beispiel nur so wenige Recherchen mit Stipendien unterstützt und gleichzeitig Zehntausende Euro auf dem Konto hortet. Andererseits fördert es immerhin solche Recherchen und tut mehr als all die, die nichts tun. Auch auf der Jahrestagung soll es, wenn man sich die Mühe macht, sie zu finden, viele konkrete, hilfreiche Diskussionsrunden geben und Anregungen für Nachwuchsjournalisten, die dann vielleicht nicht mit verstärkter Wehleidigkeit, sondern frischer Motivation nach Hause gehen.

Es ist ein schrecklicher notwendiger Verein, und womöglich tut es ihm ganz gut, gerade so brutal aus der Bequemlichkeit gerissen worden zu sein.

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