Neue Kitschserie Vom hässlichen Entlein zum schönen Star

Telenovelas und kein Ende: Mit dem Kitschroman "Lotta in Love" steigt jetzt auch ProSieben ins lukrative Geschäft mit der maschinell gefertigten Romantik ein. Die Serie um Ex-Viva-Moderatorin Janin Reinhardt wendet sich vor allem an junge Daily-Soap-Zuschauer – und folgt einem sehr vorhersehbaren Konzept.

Hamburg - Wer gehofft hat, der Telenovela-Boom im deutschen Fernsehen könnte seinen Zenit allmählich überschritten haben, wird nun eines Besseren belehrt: Das ursprünglich aus Lateinamerika stammende Genre, zu dessen Merkmalen eine lange (wenn auch terminierte) Laufzeit, eine jugendliche Heldin, das Überwinden sozialer Schranken und ein Happy End gehören, erfreut sich bei den hiesigen Senderverantwortlichen nach wie vor größter Beliebtheit. Mit "Lotta in Love " startet als vierter Sender nach ZDF, Sat.1 und ARD auch ProSieben seine erste Unternehmung in dieser Richtung.

Und selbst wer zwischen all den Biancas, Lisas, Lauras und Julias, die seit geraumer Zeit unsere Bildschirme bevölkern, zwischenzeitlich den Überblick verloren hat, dürfte nicht umhinkommen, die neue Hoffnungsträgerin des Münchner Privatsenders wahrzunehmen: Der Werbedruck, der zur Etablierung des Formats aufgebaut wurde, ist beträchtlich.

Zwar bangt auch die ProSieben-Spitze, ob der Markt noch eine weitere werktägliche Aschenbrödel-Geschichte verträgt – doch den Programm-Gestaltern des zuletzt von schwachen Quoten gebeutelten Senders bleibt gar nichts anderes übrig, als auf das erst seit Februar im Dreh befindliche Projekt zu setzen: Geschäftsführer Andreas Bartl, der im Dezember 2005 den glücklosen Dejan Jocic ablöste, braucht dringend einen zählbaren Erfolg.

Den soll eine Rezeptur nach der Formel "Cinderella meets Doppeltes Lottchen" bringen. Die ehemalige Viva-Moderatorin Janin Reinhardt, 24, spielt darin gleich eine Doppelrolle: Sie verkörpert sowohl die brave Brillenträgerin Carlotta, die gern Grafikdesign studieren würde, aber ihren Eltern in der kriselnden familieneigenen Wäscherei helfen muss, als auch das arrogante Popsternchen Alex, eine Figur irgendwo zwischen Blümchen und Britney Spears, der der Ruhm zu Kopf gestiegen ist und die keine Lust mehr auf die damit einhergehenden Verpflichtungen hat.

Story mit mindestens 200 Teilen

Schon die Pilotfolge der auf mindestens 200 Teile angelegten Story führt die beiden Erzählstränge zusammen und lässt ahnen, was – unter Berücksichtigung der genreüblichen Redundanzen – noch alles drohen könnte: Carlotta gewinnt bei einer Radioverlosung zwei Backstage-Karten für ein Konzert von Alex, besucht den Gig mit ihrer gutherzigen dicken Freundin Anna (Katrin Filzen) und entflammt für den Lead-Gitarristen Michael (Nils Brunkhorst). Als sie nach dem Konzert spaßeshalber die von der genervten Alex weggeschleuderte Perücke auf- und ihre Brille absetzt, wird ihre erstaunliche Ähnlichkeit mit der Pop-Diva deutlich. So sehr, dass sogar Alex’ Entourage geblendet ist und Carlotta als Alex auf die Bühne schickt, wo sie vor der johlenden Menge ihren Schwarm küsst.

Das Konzept erinnert in vielerlei Hinsicht an "Verliebt in Berlin", die erfolgreiche Telenovela des Schwestersenders Sat.1: Während dort Ex-Soap-Aktrice Alexandra Neldel ("GZSZ") als hässliches Zahnspangen-Entlein Lisa ihre Metamorphose zum schönen Schwan im Modebereich durchlebt, soll dies bei ProSieben eben die Ballett- und moderationserfahrene Janin Reinhardt in der Musikbranche tun. Pflichtschuldig gibt sie im aufwändig gestalteten Booklet zur Serie an, sich viel mehr mit der Brillen-Lotta als mit der Pop-Diva zu identifizieren, und preist zugleich den Realismus der dargestellten Businesszusammenhänge.

Als Zielgruppenprojekt betrachtet, wirkt das Ganze schlüssig kalkuliert – und pfiffiger als manch öffentlich-rechtlicher Courths-Mahler-Roman: Vom eigens produzierten Titelsong "Wer bin ich wirklich?", den Annett Louisan flötet, bis zur heutzutage unabdingbaren Kürzelfähigkeit des Titels ("LiL") sowie Website und Handy-Games hat man alle Anforderungen einer jugendlichen Fangemeinde bedacht und umgesetzt. Durchaus vorstellbar, dass die avisierte "junge Mediengeneration" sich für den Stoff erwärmen lässt – angepeilt wird insbesondere die Klientel der ARD-Daily-Soaps "Marienhof" und "Verbotene Liebe".

Kompetenz für auf Hochglanz polierten Trash

Umgesetzt wird "Lotta in Love "bemerkenswerterweise nicht von einer der großen Herz-Schmerz-Fabriken Grundy Ufa und Bavaria, sondern von der vergleichsweise kleinen Produktionsfirma Rat Pack, die bisher Kinofilme wie "Bang Boom Bang" und "Der Wixxer" herausbrachte und für ProSieben so genannte TV-Events wie "Das Jesus Video" oder "Das Blut der Templer" realisierte. Kompetenz für auf Hochglanz polierten Trash hat man also schon bewiesen – und jüngst, zur Freude der ProSieben-Leute, auch ein Näschen für Erfolg: Rat Pack steht ebenfalls hinter der am vergangenen Montag gestarteten "ProSieben Märchenstunde", einer zunächst vierteiligen Märchenverhackstückung im Stundenformat.

Die erste der zotigen Nummernrevuen mit den üblichen Verdächtigen der Comedy-Szene erzielte mit mehr als fünf Millionen Zuschauern einen derartigen Überraschungserfolg, dass diese Woche ein "TV total"-Special zur vorher gesendeten "Rapunzel"-Parodie nachgeschoben wird. Dort in der Hauptrolle und anschließend zu Gast bei Stefan Raab: Janin Reinhardt, die somit fast den ganzen ProSieben-Abend bestreitet. Wenn das kein märchenhafter Karriereschub ist.


Ab Montag, 27. März 2006, auf ProSieben: Lotta in Love

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