Neukölln-Roman von Güner Balci Ein Fluchtweg für die Arabqueen

Glaubwürdig im Kampf gegen Gewalt und Rückständigkeit in Migrantenfamilien: Die türkischstämmige Journalistin Güner Balci wuchs selbst in Berlin-Neukölln auf und hat mit "Arabqueen" einen eindringlichen Bericht über Frauenleben im Abseits geschrieben.
Autorin Balci: "Niemand opfert sein Kind für die Integration"

Autorin Balci: "Niemand opfert sein Kind für die Integration"

Berlin - Mariam und Fatme waren neugierig und voller Lebenshunger. Dann wurden sie verheiratet, fortan trugen sie die Kopftücher fest um den Kopf gezurrt. Ihre Kraft war getilgt. Mariam und Fatme hatten sich dem Willen ihrer Familie gefügt.

Fatme und Mariam heißen die Hauptfiguren in "Arabqueen". In ihrem neuen Buch schildert die Berliner Journalistin Güner Balci das Leben der beiden Mädchen in Berlin - leicht abgewandelt ist es das Leben ihrer früheren Freundinnen.

Neukölln

Balci, 35, ist selbst im Berliner Problembezirk groß geworden - anders als viele ihrer Mitschülerinnen aber hat sie eine Familie, die ihre Bildung und ihre Freiheit förderten. Obwohl ihre Eltern aus einer anderen Welt in das Deutschland der frühen sechziger Jahre kamen: aus einem ostanatolischen Bergdorf. "Bei uns gab es keine Geschlechtertrennung, meine Eltern haben zwischen mir und meinen Brüdern keine Unterschiede gemacht", sagt Balci. Balci arbeitete in einem Neuköllner Mädchentreff. Nach dem Abitur studierte sie und arbeitet heute als Autorin für eine Filmproduktionsfirma.

In den vergangenen Jahren hat sich Balci einen Namen gemacht, mit Reportagen und Büchern über Gewalt unter Migrantenjugendlichen. Sie saß in Talkshows. Aber Balci ist mehr als die ideale Besetzung, wenn Fernsehmacher nach einer authentischen Stimme aus dem Zuwanderermilieu suchen.

Was Güner Balci wütend macht

Balci hat ein echtes Anliegen: "Es macht mich wütend, dass es in meinem Land Frauen gibt, die nicht einmal wissen, welche Rechte sie haben." Und den meisten sei das Schicksal der vielen arabisch- und türkischstämmigen Jungen und Mädchen in Deutschland relativ egal. "Es betrifft sie nicht", sagt Balci.

Ihr Buch "Arabqueen" versteht sie deshalb auch als eine "Anleitung zur Rebellion" - und als weibliches Pendant zu ihrem Roman "Arabboy", der vor zwei Jahren erschien und in den Feuilletons Aufsehen erregte.

Wedding

Die Schwestern Fatme und Mariam leben mit ihrer Familie im Berliner Stadtteil . Der Vater verprügelt Frau und Kinder regelmäßig und geht zu Huren. Die Tante darf nicht alleine auf den Balkon gehen, weil andere Männer sie dort sehen könnten. In Kontakt mit der "deutschen" Welt kommen Mariam und Fatme nur durch ihre beharrliche Freundin Lena. Lena hat eine Hippiemutter und einen sozialromantischen Vater. Fatme und Mariam erschleichen sich durch Lügen kleine Freiheiten - und doch leben sie meistens ein angepasstes Leben, in dem die einzige Abwechslung darin besteht, im abgedunkelten Zimmer modische Kleidung auszuprobieren.

Bericht einer Zeugin

Als Fatme ohne Kopftuch gesehen wird, rasiert der Vater ihr die Haare ab. Mariam verliebt sich in Ercan, trifft sich mit ihm. Es kommt zu keinen körperlichen Zärtlichkeiten, dazu ist Mariam viel zu gefangen in den moralischen Vorstellungen ihrer Eltern. Als der Vater von dem Treffen erfährt, scheint Mariams Schicksal dennoch besiegelt zu sein: Sie soll mit einem Cousin aus der Türkei verheiratet werden, ihr Vater sperrt sie ein, bis die Hochzeitsfeierlichkeiten beginnen. Im letzten Augenblick gelingt Mariam die Flucht in ein Frauenhaus.

Die Sprache, in der Balci berichtet, ist simpel, die literarische Komposition des Buches nicht überraschend - aber was klingt wie eine Aneinanderreihung düsterer Klischees über die Verhältnisse, in denen muslimische Frauen in Deutschland leben, ist in Wahrheit der Bericht einer Zeugin.

Denn Balci hat das zusammengefasst, was sie erlebt hat - in den sozial schwachen muslimischen Milieus Berlins. In dem Mädchentreff, in dem sie arbeitete, kamen manchmal junge Frauen zu einem einminütigen Abstecher vorbei, als sie gerade den Müll runterbringen mussten. Sonst durften sie gar nicht raus, erzählt Balci. Sie selbst half dabei, einer jungen Araberin die Flucht vor ihrer Familie zu organisieren.

Und so ist "Arabqueen" für alle, die nicht wissen, dass ein muslimisches Mädchenleben in Hamburg, Berlin, Köln oder München mitunter sehr grausam sein kann, eine verstörende Einführung, für andere eine eindringliche Zusammenfassung. Und weil Balci ihren Protagonistinnen einen Ausweg, nämlich die Flucht bietet, löst sie auch die Opferrolle, in der Musliminnen sich oft sehen oder in die sie sich gedrängt fühlen, auf.

Die Flucht ins selbstbestimmte Leben gelingt

Denn anders als die echte Fatme und die echte Mariam schaffen die Mädchen im Buch die Flucht vor ihrer Familie in ein selbstbestimmtes Leben. "Ich wollte, dass meine Arabqueen lernt, 'ich' zu sagen." Sie wollte den vielen Fatmes und Mariams wenigstens ein literarisches Vorbild des Aufbegehrens schenken, so Balci. "Denn sie gehören zu uns, sie sind unsere Zukunft."

Sie selbst sieht sehr klar die Grenzen ihres Engagements gegen Berliner Parallelwelten. Die 35-Jährige ist von Kreuzberg ins schicke Berlin-Mitte gezogen. Sie ist gerade Mutter geworden. "Niemand opfert sein Kind für die Integration", sagt sie.

Was sie ihrem Sohn denn mitgeben wolle? Vor allem eines: "Ihm bleibt nichts anderes übrig, als Feminist zu werden", sagt Balci. Man versteht es nach dem Buch.


Güner Yasemin Balci: "Arabqueen oder der Geschmack der Freiheit", S. Fischer Verlag 2010, 14,95 Euro.

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