
Super-Wolkenkratzer: Ab in den Himmel
Hundertster Mega-Wolkenkratzer Ein Riese in Size Zero
Grazil, gar fragil könnte man das neueste New Yorker Hochhaus nennen. Adresse: 432 Park Avenue, bestes Manhattan also. Dort ragt nun über vergleichsweise kleiner quadratischer Grundfläche der jüngste Turm der Metropole empor. Und er steht da mit so kantiger, vor allem so dünner Figur, dass man Size Zero vermuten würde oder ein in Architektur übersetztes Streichholz. Richtig vertrauenerweckend ist diese Form nicht. Man meint, ein Windhauch könne das Gebilde umfallen lassen.
"432 Park Avenue" ist 426 Meter hoch und damit weltweit der hundertste echte Wolkenkratzer, so haben es die Spezialisten des ehrwürdigen, in Chicago ansässigen Gremiums Council on Tall Buildings and Urban Habitat verkündet: Um bei diesen Fachleuten als echter Wolkenkratzer, also als "superhohes" Hochhaus zu gelten, muss eine Höhe von 300 Metern erreicht werden. Vor fünf Jahren schafften das erst 50 Gebäude, jetzt hat sich die Zahl verdoppelt.
Natürlich sind 426 Meter kein echter Rekord, gerade entsteht in Saudi-Arabien ein Ein-Kilometer-Bau. Dieser Turm in New York aber ist immerhin der zweithöchste in dieser legendären, stets nach oben strebenden Stadt nach dem One World Trade Center, außerdem der dritthöchste der USA. Und er soll weitgehend als reines Wohnhochhaus genutzt werden - als solches wäre es sehr wohl das höchste der Welt. Gebaut wurde seit 2012, vor Kurzem dann schon die Fertigstellung, auch wenn die Luxusapartments noch nicht bezogen wurden.
Zeigen, dass man ihn nicht kleinkriegt
Man beneidet die künftigen Bewohner des Streichholz-Penthouses aber eher nicht, schließlich liegt ihr Zuhause bis zu 392 Meter hoch. Zuständiger Architekt war Rafael Viñoly, geboren in Uruguay und seit vielen Jahrzehnten in den USA lebend.
Im Wettbewerb für das neue World Trade Center unterlag er 2003 der Konkurrenz, doch nun hat er mit Hilfe von Stahlbeton sein eigenes Ausrufezeichen in die Stadt gesetzt; der Bau ist wegen der besonderen gedehnten Proportionen der auffälligste. Eine Statement-Architektur für Manhattan also, und fast könnte man meinen, Viñoly habe der Welt auf diese Weise zeigen wollen, dass man ihn nicht kleinkriegt.
Viñoly hat aber auch Bausünden auf dem Gewissen: Ein anderer von ihm errichteter Turm gilt als einer der unansehnlichsten Neubauten der Welt. Es handelt sich um einen 160 Meter hohen, 2014 vollendeten Klotz mitten in London, der wegen seiner kompakten Form "Walkie Talkie" genannt wird - dieser Entwurf wurde 2015 sogar mit dem "Carbuncle Cup" bedacht, einem Anti-Architekturpreis, der jährlich für das hässlichste Gebäude in Großbritannien vergeben wird. Klingt lustig, ist aber auch bitter - denn die Schmach mit der kuriosen Auszeichnung mag in Vergessenheit geraten, die Architektur aber bleibt.
Viñoly trifft so oder so aber offensichtlich den Geschmack der Bauherren, er darf ihre Träume verwirklichen. Und man sieht: Wenn man das geschafft hat, ist leider fast alles möglich. Das sollte man sich vergegenwärtigen, wenn man die Prognosen für die nächsten Jahre und Jahrzehnte liest. In den kommenden fünf Jahren wird sich die Zahl der superhohen Hochhäuser erneut verdoppeln, auf dann 200 Wolkenkratzer. 2030 - auch nicht mehr so lange hin - werden es 800 sein.
Verdichtung mag notwendig sein, reine, gebaute Höhenrekorde sind es dagegen nicht. Doch die Architekten betonen das Vertikale auch noch auf eine fast absurde Weise, sie erwecken gern den Eindruck, sie könnten die Wolken aufspießen. "432 Park Avenue" erzeugt diese Wirkung sogar trotz Flachdach. Sichtbar ist diese Symbolik aber auch bei Projekten wie Renzo Pianos Londoner Hochhaus namens "Scherbe", das zwar nur 310 Meter misst, sich aber besonders scharfkantig in den Himmel bohrt.
Auch der spitz zulaufende 828-Meter-Turm Burj Khalifa in Dubai, der noch das höchste Haus der Welt ist, wird von diesem ästhetischen Trend geprägt, und demnächst kann man diese unmissverständliche Architektursprache beim neuen Nähnadel-Wolkenkratzer in der saudi-arabischen Hafenstadt Dschidda begutachten; sein offizieller Titel wird "Turm des Königreiches" lauten.
Die Erkenntnis ist: Die neuen "superhohen" Hochhäuser schonen weder die Umwelt noch das Auge. Manche schmerzen gar.
Zum Thema Architektur in New York haben wir zwei Multimediastorys:
- Das neue World Trade Center: Auf dem Dach Amerikas
- Mammutprojekt: Die Tunnelgräber von Manhattan