
Nockherberg 2014 Hier lacht der Chef!
Der Bayer an sich will keine Revolution. Und keine Koalition. Und auch keine Opposition. Er will einen König, und den hat er endlich wieder. Seit Herbst 2013 hält Horst Seehofer mit seiner CSU wieder die absolute Mehrheit, und deswegen ist am Mittwochabend beim Starkbieranstich am Nockherberg in München das freistaatliche System so, wie es sein soll: Beim Politiker-Derblecken der Paulaner-Brauerei bekommt der König Haue und das Volk amüsiert sich.
Das Spektakel bringt dem Bayerischen Fernsehen nach der "Fastnacht in Franken" die zweithöchste Quote des Jahres, 2013 lag der Marktanteil bei über 40 Prozent. Die Vorbereitungen werden in Bayern behandelt wie Geheimdienstaktionen. Besetzung, Inhalt und Gästeliste sind Spekulationsobjekte von höchster Wichtigkeit.
Das vergangene Jahr 2013 bietet gute Voraussetzungen für die Gestaltung des heutigen Abends: Horst Seehofer hat mit rauschhafter Selbstherrlichkeit glänzende Vorlagen geliefert - er wird die Sonne sein, um die die Pointen kreisen. Kein Geeier mehr nötig um eine liberale Kleinpartei, die den König beim Herrschen stört. Nur die Bundeskanzlerin zeigt ihm, dass er eben doch nur ein Bayer ist, und auch das wird Seehofer zu hören bekommen.
Und dabei lachen. Denn wenn am Nockherberg die Politiker verspottet werden, erst in einer Rede, dann in einem parodistischen Singspiel, dann sitzen die wahren Hauptdarsteller im Publikum, ihre Selbstdarstellung ist der eigentliche Reiz der Veranstaltung. Sie sitzen hierarchisch geordnet: zentral das bayerische Kabinett, die Opposition am Rande, mittig dafür die Wiesnwirte und andere wirklich Wichtige - bisher saß da auch ein Wurstfabrikant namens Hoeneß.
Eine ganz eigene Dynamik des Raunens und Lachens
Wie sich das in Bayern gehört, zeigen sie auch ihren Frohsinn streng hierarchisch - was eine ganz eigene Dynamik des Raunens und Lachens erzeugt. Ein Minister tut gut daran, erst mal zu warten, ob der Chef lacht, und auch dann auf keinen Fall ausgelassener zu reagieren als dieser. Das Fernsehen, das seit 2010 live überträgt, hält natürlich voll drauf. Dieses masochistische Ritual hat seinen Ursprung im Derblecken (Bairisch für eine Mischung aus kritisch den Spiegel vorhalten und verspotten), wie es früher in Wirtshäusern der Wirt selbst tat. Die Anwesenden, oft die Einflussreichen im Ort, wurden vor versammelter Mannschaft veräppelt - und mussten Humor zeigen.
Wer in Bayern regieren will, muss das draufhaben. Der langjährige bayerische König Franz Josef Strauß bebte und bellte bestens mit dem 7,5-Prozent-Bier im Schädel. Seehofer kriegt es auch hin. Dem Finanzminister Markus Söder hingegen, der als verkrampfter Gernegroß traditionell ein leichtes Opfer ist, gerät das Lachen immer wieder zur Grimasse. Dabei sollte er dankbar sein für die Prügel, denn er weiß selbstverständlich, dass es für einen bayerischen Politiker an diesem Abend kaum etwas Schlimmeres gibt, als nicht vorzukommen. Diese Schmach ist nur zu steigern durch die Demütigung, so beiläufig erwähnt zu werden, dass es anmutet wie Almosen. Bayerische Oppositionspolitiker laufen stets Gefahr, in die letzte Kategorie abzugleiten.
Wie praktisch jedes Mal gab es auch vor dem diesjährigen Bierfest einen Mini-Skandal: Weniger als vier Wochen vor der Aufführung sprang das Seehofer-Double Wolfgang Krebs ab. Mit Christoph Zrenner wurde schnell Ersatz gefunden. Krebs' Begründung, er könne das nicht spielen, das sei nicht "mein Seehofer", warf gleich die Spekulationsmaschine an: Was planen die da wohl Böses, dass es dem Parodisten zu heikel ist? So muss das sein.
Die Festrednerin Luise Kinseher steht diesmal vor zwei Herausforderungen: Drei Tage vor dem Starkbieranstich war in München Kommunalwahl, die muss sie aufbereiten. Die Tatsache, dass der neue Oberbürgermeister erst in einer Stichwahl gekürt wird, erleichtert das nicht. Schwierig ist auch der Fall Hoeneß. Bislang saß er im Saal, ließ sich mit dem Ministerpräsidenten und dem Paulaner-Chef ablichten. Er ist zwar kein Politiker, aber er war der bewunderte Über-Bayer, der Nebenkönig aus dem Fußballreich: Er wird in der Rede vorkommen müssen. Nur wie?
Die Rede muss wie immer vorher abgesegnet werden
Da sitzt Kinseher in der Nockherberg-Falle. Vermutlich wird sie gnädig sein mit dem Gefallenen. Denn ihre Rede muss wie immer vorher abgesegnet werden - von Hoeneß' Spezln aus der Brauerei. Sie werden keinen Skandal um Uli riskieren wollen. Luise Kinseher, die erste Frau, die die Leviten lesen darf, war bisher ohnehin gemäßigt. Der türkisch-bayerische Django Asül musste gehen, weil er zu hart war. Kinsehers Vorgänger Michael Lerchenberg war von Anfang an scharf und stürzte in seinem dritten Jahr über einen KZ-Vergleich.
Umso aufmerksamer ist die Brauerei heute beim Gegenlesen. Die Bierfamilie Schörghuber steht natürlich nicht im Verdacht umstürzlerischer Umtriebe oder wirtschaftsfeindlicher Gesinnung. Frühere Autoren des Singspiels mahnten an, man habe sich ständig eingemischt, zum Beispiel bei Witzen über Seehofers außereheliche Affäre oder bei zu scharfer Kritik an Bankern.
Die Brauerei spricht dann gerne vom Unterschied zwischen Florett und Säbel. Andere Kabarettisten, die dem nicht mehrheitsfähigen subversiven bayerischen Flügel angehören, nennen es Zensur. Das Derblecken ist eben nicht, wie es Michael Lerchenberg einmal nannte, "die einzige Oppositionsveranstaltung in Bayern." Es sieht nur so aus. Es ist ein Hofnarrenfest, Folklore im Kreis der Mächtigen.
Dem Bayern an sich macht das nichts aus. Er regt sich über zu scharfe Reden auf, schreit "Skandal!". Oder über zu lasche Reden, dann schreit er "Zensur!". Er spekuliert, lamentiert und lacht. Und beim nächsten Mal wählt er wieder CSU.
"Auf dem Nockherberg 2014", Mittwoch, 19.3.2014, 19.00 Uhr, Bayerisches Fernsehen