Margarete Stokowski

Rassistische Äußerungen zu "Arielle" Meerjungfrau? Voll unrealistisch!

Die Sängerin Halle Bailey soll in der "Arielle"-Realverfilmung mitspielen - und viele halten eine schwarze Meerjungfrau nicht aus. Das ist rassistisch. Abgesehen davon: Fortschrittlich war das Disney-Märchen sowieso nie.
Zeichentrick-Arielle und Sängerin Halle Bailey

Zeichentrick-Arielle und Sängerin Halle Bailey

Foto: ddp images; Emma McIntyre/ Getty Images

Wenn heute über Nazis und Rechtspopulist*innen diskutiert wird, über Rassismus und andere Formen von Menschenverachtung, dann muss man immer wieder betonen, dass Menschen, die diese Art von Weltanschauung haben, nicht einfach nur dumm sind. Dass man auch als intelligenter Mensch Faschist sein kann. Dass man promoviert haben und trotzdem denken kann, Weiße wären eine übergeordnete "Rasse".

Man muss das alles immer wieder betonen, und das ist manchmal schwierig, denn oft sind die Aussagen dieser Leute so weltfremd und fernab jeglicher Faktenlage, dass es schwer sein kann, daraus nicht zu schlussfolgern, dass bei ihnen irgendwas im Kopf nicht stimmt.

Besonders schwer ist es, wenn Rassist*innen sich so offensichtlich blamieren, wie es gerade im Fall von "Arielle, die Meerjungfrau" passiert. Die Geschichte wird als Live-Action-Musical mit einer schwarzen Hauptdarstellerin neu verfilmt: Die 19-jährige Halle Bailey soll Arielle spielen - und sehr viele Menschen halten das nicht aus.

Man könnte es dabei belassen festzustellen, dass viele Menschen rassistisch sind und nicht wollen, dass schwarze Frauen wichtige Filmrollen bekommen. Es lohnt sich dann aber doch zu checken, was Menschen unter dem Hashtag #notmyariel ("Nicht meine Arielle") schrieben, weil sie begründen wollten, warum genau es angeblich nicht geht, dass Bailey Arielle spielen soll - denn die Beiträge dazu sind in ihrer Abenteuerlichkeit selbst schon ein halbes Musical. Immerhin hat niemand bislang kritisiert, dass Arielle nicht von einer echten Meerjungfrau gespielt wird, sondern von einer Frau mit Beinen.

Der Hauptpunkt der Kritiker*innen ist offenbar, dass es nicht der "Wahrheit" entspricht, wenn eine schwarze Frau Arielle darstellt. Also, das heißt, Leute finden es unrealistisch, wenn eine schwarze Frau in einem Film ein Wesen darstellt, das halb Mensch, halb Fisch ist, und durch einen Deal mit der bösen Meerhexe die Möglichkeit bekommt, mit Beinen an Land rumzulaufen.

Däninnen können durchaus schwarz sein

Unrealistisch ist das natürlich, aber weniger der Hautfarbe wegen. Hätten diese Leute nicht spätestens beim Disneyfilm von 1989 skeptisch werden müssen, was die realistische Komponente betrifft? Als die Krabbe Sebastian , Hofmusikant von König Triton, sang: "Die Kröt spielt die Flöt, die Larv zupft die Harf, die Brass schlägt den Bass, klingt der Sound nicht scharf?" War das nicht auch schon nicht ganz richtig, irgendwie?

Zum Glück erläutern die Kritiker*innen der schwarzen Arielle noch etwas genauer, was sie mit "unrealistisch" meinen. Es gehe ja gar nicht um Rassismus, schreiben sie: "It's not about racism, it's about keep the true Little mermaid essence, I'm so disappointed". Es gehe nicht um Rassismus, sondern um den Kern, das Wesen der kleinen Meerjungfrau.

So gibt es zum Beispiel viele, die erklären, dass der Film auf einem Märchen von Hans Christian Andersen basiert, der ja bekanntermaßen Däne war - also müsse Arielle auch dänisch sein und könne demzufolge nicht schwarz sein. Nur: Erstens ist in Andersens Geschichte nichts darüber erwähnt, wo die Geschichte spielt, außer "weit draußen im Meere ". Zweitens können Däninnen durchaus schwarz sein. Und drittens erinnert auch schon die Disneyverfilmung von 1989 nur entfernt an Andersens Märchen: Im Film gibt es ein Happy End, Arielle heiratet den Prinzen. Im Märchen allerdings heiratet der Prinz eine andere Frau: Arielle konnte den Deal mit der Meerhexe nicht einhalten, sie löst sich in "kalten Meerschaum" auf und wird dann zu einem Luftgeist.

Achtung, gefährliche Fehlinformation!

Nächster Punkt: Arielle hat im Disneyfilm rotes Haar (die Haarfarbe im Märchen wird nicht erwähnt), folglich könne sie nicht von einer Schwarzen gespielt werden. Es sei eine Diskriminierung von Rothaarigen, sie von einer Schwarzen spielen zu lassen. Nur: Es gibt schwarze Menschen mit rotem Haar. Und, na ja: Es wäre irgendwie eine neue Entwicklung, dass Schauspielerinnen ihre Haare nicht mehr färben dürfen. Diskriminierung von Rothaarigen hätte man auch bemängeln können, als der Fuchs Robin Hood (Disney-Verfilmung von 1973) später von menschlichen Schauspielern mit dunklen Haaren gespielt wurde.

Der vielleicht lustigste Kritikpunkt betrifft die vermeintliche Entstehung schwarzer Hautfarbe, über die vielfach gemutmaßt wurde. Eine Frau schrieb zum Beispiel: "Arielle spielt nicht nur in Dänemark, sondern auch Unterwasser. Und Unterwasser wird man nicht braun, weil die Sonnenstrahlen fehlen. Da muss Arielle blass sein..." - Achtung, gefährliche Fehlinformation! Auch unter Wasser kommt noch Sonnenlicht und so auch UV-Strahlung durch und man sollte das beachten, wenn man Schnorcheln geht oder wenn man als Meerjungfrau Ausschau nach Singles hält. Vor allem aber sind schwarze Menschen nicht schwarz, weil sie besonders lang in der Sonne waren - wie könnte dann jemals ein schwarzes Baby geboren werden?

"The human world - it's a mess"

Natürlich könnte man abgesehen von der Rassismusdebatte auch mal fragen, wie fortschrittlich die ganze Arielle-Geschichte überhaupt ist. Schon im Disneyfilm von 1989 kommt Arielle nicht besonders gut weg, um ehrlich zu sein. Als Kind war es einer meiner Lieblingsfilme, und ich war dann nicht wenig erstaunt, den Film später noch mal zu sehen: Arielle ist ein unzufriedener Messie, der Menschenmüll sammelt ("ich hab zahllosen Kram und viel Plunder, ich erstick im Klimbim, sieh nur her").

Als sie sich in den Prinzen verliebt, verkauft sie ihre Stimme an die - natürlich übergewichtige - böse Meerhexe, die ihr erklärt, sie brauche die Stimme eh nicht: "Die Menschenmänner lieben kein Geplapper!". Später versucht die Hexe, Arielle zu hindern, den Prinzen rumzukriegen. Als Arielle es einmal fast schafft, schimpft sie: "Kleine Schlampe! Die kann mehr, als ich dachte." Arielle gewinnt letztlich nicht aus eigener Kraft, sondern weil ihr Vater ihr den Wunsch nach Beinen erfüllt: Am Ende übergibt er seine Tochter aus seinem Machtbereich an den Prinzen, "happy" End.

Es gibt außerordentlich viele Filme, in denen weiße Darsteller*innen schwarze Figuren spielen , es gibt Filme, in denen Menschen ohne Behinderung Menschen mit Behinderung spielen, es gibt Filme, in denen cis Frauen trans Frauen spielen, und meistens kommt die Kritik daran nur von den jeweils marginalisierten Gruppen.

Gut, was will man von einer Gesellschaft erwarten, die selbst Jesus oft als dunkelblonden, weißen Mann mit blauen Augen darstellt? "The human world - it's a mess", sagt die Krabbe Sebastian im Disney-Film von 1989, und an dieser Stelle muss man sagen: Das zumindest ist komplett realistisch.

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