Öffentlich-rechtlicher Rundfunk Digital - oder gar nicht

Die ARD will groß ins Digital-TV einsteigen, um jüngere Zuschauer zu erreichen. Verständlich - denn der klassische Rundfunk könnte bald Vergangenheit sein. Warum sollte man dann aber noch Rundfunk-Gebühren zahlen?

Hamburg - Die ARD ist zufrieden mit sich, das ist ja schon mal was. Genau genommen ist sie sogar sehr zufrieden, wenn die "Tagesschau" keinen falschen Eindruck erweckt hat: "Die ARD hat sich auf ihre Strategie für das digitale Fernsehen verständigt", verkündete Sprecher Jens Riewa am Dienstagabend um kurz nach acht.

Es muss eine der wichtigsten Weltnachrichten an diesem Tag gewesen sein, sonst wäre sie ja nicht in der wichtigsten Nachrichtensendung verkündet worden - 1:31 Minuten lang, mit bunten Bildern und einer bedeutungsschweren Stimme unterlegt. Der Kern der Nachricht: ARD goes digital - der bisweilen behäbig wirkende Senderverbund macht sich in die digitale Zukunft auf.

"Bereits ab Mitte Juli soll es 'Tagesschau'-Sendungen geben, die über das Handy abgerufen werden können", meldete die 'Tagesschau'. Hinzu kommen - unter anderem - weitere Handy-Dienste, ein Audio- und Videoportal sowie digitale Zusatzangebote im Hörfunk, wie der ARD-Vorsitzende Fritz Raff ankündigte.

Für die Zuschauer klingt dies nach einer guten Nachricht. Sie haben noch mehr Möglichkeiten, das Tagesgeschehen immer und überall und vor allem kostenlos zu verfolgen - wenn man einfach einmal von den Verbindungskosten und den Rundfunkgebühren absieht, von denen der ganze Spaß ja bezahlt wird.

Das aber ist der Kern des Problems: Was soll der öffentlich-rechtliche Rundfunk eigentlich alles dürfen? Es ist ein alter Streit um Begriffe wie "Grundversorgung", die zu leisten ist, und um "programmbegleitende" Angebote im Internet, die gestattet sind. Die Konkurrenz - insbesondere Privatsender und Zeitschriften- und Zeitungsverleger - wittern schnell Wettbewerbsverzerrung und fordern, dass die öffentlich-rechtlichen Anstalten ihnen nichts ins Geschäft pfuschen sollen.

ARD und ZDF aber meinen: Wir müssen mit der Zeit gehen, auch um junge Zuschauer zu halten beziehungsweise wiederzugewinnen. Bisherige Bemühungen war nicht besonders erfolgreich. "Die Verjüngungsoffensive des Zweiten ist nicht nur nicht stecken geblieben, sie hat sich in einen Narhalla-Marsch ins Rentnerheer verwandelt", spottete jüngst der "Tagesspiegel". Bei der ARD sieht es nicht wesentlich besser aus.

Nun also sollen digitale Angebote den Senderverbund vor der Vergreisung und dem schleichenden Tod retten. Vielleicht haben die ARD-Größen noch die Worte im Ohr, mit denen der Wirtschaftschef von "BBC News Interactive" in der vergangenen Woche auf einer ARD-Tagung die Zukunft des linearen und zeitabhängigen, also klassischen Fernsehens beschrieb: "Der Sender ist tot", sagte Tim Weber laut dem epd-Mediendienst. Und vermutlich haben die ARD-Granden Recht, wenn sie nun die Digitalisierung ausrufen.

Denn die Zukunft der Fernsehsender dürfte tatsächlich heißen: digital oder gar nicht. Die Frage ist nur, ob dann die Antwort nicht "gar nicht" heißen müsste - ARD und ZDF also eigentlich abgeschafft gehörten.

Weder Gott noch das Grundgesetz haben schließlich vorgeben, dass der Staat für solide Informationen in allen Formen zu sorgen hat. Die Bundesrepublik hat sich lediglich einmal - aus damals durchaus guten Gründen - dafür entschieden, dass es einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk geben soll. Von öffentlich-rechtlichen Printmedien aber war keine Rede, was weder dem Staat, den Zeitungen und Zeitschriften noch der Informationsfreiheit an sich geschadet haben dürfte.

Alles - oder nichts?

Was aber, wenn sich die traditionelle Trennung von Rundfunk und Print auflöst? Wenn diese Medien und das Internet immer mehr verschmelzen? Ein Beispiel ist auf diesem Bildschirm zu sehen: Der SPIEGEL gebiert eine höchst erfolgreiche Internet-Tochter, die zahlreiche Texte veröffentlicht und zudem Bildbeiträge der anderen Tochter SPIEGEL TV. Öffentliche Unterstützung dafür: null.

Ein anderes Beispiel ist im Internet unter "tagesschau.de" zu finden: Ein Fernsehsender gebiert eine nicht ganz erfolglose Internet-Tochter, die viele Fernsehbeiträge und zudem etliche Texte veröffentlicht. Öffentliche Unterstützung dafür: hundert Prozent Rundfunkgebühren.

Wenn die Medien immer weiter verschmelzen, werden sich die deutschen Medienpolitiker irgendwann entscheiden müssen, was ARD und ZDF gestattet sein soll: entweder alles - oder nichts. Rundfunkgebühren als solche lassen sich eben nur so lange aufrecht erhalten, wie sich Rundfunk von anderen Medien unterscheiden lässt. Dann aber muss man sich entscheiden, ob die neue Medienmischung wirklich vollständig finanziert sein soll (wie bisher das Fernsehen) oder aber gar nicht (wie bisher Zeitungen und Zeitschriften).

So könnte die ARD bald weniger zufrieden mit sich sein. In der "Tagesschau" am Dienstagabend verkündete sie noch frohgemut eine zweite Nachricht in eigener Sache. ARD über ARD in Deutschlands wichtigster Nachrichtensendung, diesmal immerhin nur 21 Sekunden lang: eine Auszeichnung für den Blog auf "tagesschau.de", wo Chefredakteure, Korrespondenten und andere Mitarbeiter über ihre Arbeit berichten. Die Beiträge: alles geschriebener Text - wie in einer Zeitung.

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