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Oliver Frljics Wuttheater im Münchner Marstall: Gipfel der Provokation

Foto: Konrad Fersterer

Oliver Frljics Wuttheater im Münchner Marstall Gipfel der Provokation

Eigentlich wollte der bosnische Autor und Regisseur sich mit Migranten aus Ex-Jugoslawien beschäftigen. Für seinen Einstand am Bayerischen Staatsschauspiel hat er dann aber sich selbst und das deutsche Theater ins Visier genommen - und radikale Mittel gewählt.
Von Jürgen Berger

Irgendwann fällt der Satz "Ich bin der Krieg", und man glaubt sofort, dass es gefährlich werden könnte. Der Schauspieler Franz Pätzold wütet im Publikum und schreit den Zuschauern ins Gesicht, sie sollten verdammt noch mal nicht so passiv sein. Er hasse diese aufgeklärte Toleranz in Deutschland, und er wolle einfach nicht mehr das Abziehbild des slawischen Regisseurs sein, der die Deutschen mit den Schrecknissen des Bürgerkriegs in Ex-Jugoslawien konfrontiert. Ja klar, so Pätzold, der da gerade Oliver Frljic spielt, inzwischen sei er auch Intendant des Kroatischen Nationaltheaters in Rijeka. Aber was bedeute das schon. Schließlich werde das deutsche Theater nur noch von "dreckigen Gaffern" bevölkert, er dagegen riskiere sein Leben, wenn er in Serbien, Bosnien und Kroatien die Kriegsverbrechen des Balkankrieges thematisiere.

"Balkan macht frei" überschreibt Frljic (39) seinen Einstand am Residenztheater und verwendet eine Variante des Spruchs, mit dem die Nazis die Eingangstore von Konzentrationslagern "schmückten". Da will einer partout provozieren und lässt mit seinem Wuttheater interessanterweise nichts unversucht, genau dem Bild zu entsprechen, das er angeblich so satt hat: Ein tabuloser und angstfreier Theatermacher zu sein, der 1976 als 16-Jähriger aus Bosnien-Herzegowina flüchtete, in Zagreb das Theaterhandwerk studierte und heute mit seinen zart drängenden ("Aleksandra Zec", 2014), aber auch brutal grobschlächtigen Theaterabenden ("Zoran Dindic", 2012) zu den viel beschäftigten Theatermachern Europas gehört. Eigentlich wollte er sich mit Migranten aus Ex-Jugoslawien beschäftigen. Während der Proben hat sich das wohl in Luft aufgelöst. Übrig geblieben ist ein Autor und Regisseur, der sich selbst in den Mittelpunkt stellt und von Franz Pätzold bedingungslos hingebungsvoll gespielt wird.

Aber was heißt da spielen. Pätzold ist kein Darsteller, er ist das Ereignis einer Uraufführung, die mit einem Einbürgerungstest für den renitent slawischen Theatermacher beginnt. Im Hintergrund hängt eine große Deutschlandfahne, vorne steht ein langer Tisch, an dem Pätzold von Leonard Hohm, Alfred Kleinheinz und Jörg Lichtenstein befragt wird. Je unverschämter die Fragen, desto schweigsamer der Befragte. Geht es um die Gage, wird es lebendiger. 50.000 Euro wie Castorf soll er nicht bekommen, schließlich produziere er ja nicht fünf, sondern nur etwas mehr als eine Stunde Theater. 25.000 Euro dürfen es dann aber doch sein.

Unerträglich grausames Spiel mit den Theatergrenzen

Nachdem der Bühnen-Frljic deutsche Geistes- und Theatergrößen von Goethe über Adorno bis Pollesch exekutiert hat, folgt die Hardcore-Beschimpfung des Publikums, gipfelnd in der Zumutung: Im Vergleich zur liberalen Horde hier im Zuschauerraum hätten die SS-Männer des "Dritten Reiches" und DDR-Mauerschützen immerhin noch Haltung gezeigt. Wer zu diesem Zeitpunkt die Hoffnung gehegt haben sollte, das sei der Gipfel der Provokation, hatte nicht damit gerechnet, dass es nicht nur um Frljics Furor, sondern auch um all die Verabredungen gehen würde, die Theater überhaupt erst ermöglichen. Und wieder ist es Franz Pätzold, der seinen Schauspielerkörper zur Verfügung stellt und testet, wie weit er sich und die Grenzen des Theaters belasten kann.

Hohm, Kleinheinz und Lichtenstein fesseln den Kollegen an einen Stuhl. Dann holen sie Wasser und eine Kopfkapuze, exekutieren ein reales Waterboarding und hören selbst dann nicht auf, als Pätzold an den Rand der psychischen und physischen Belastbarkeit gerät. So was kann man nicht spielen, es ist in der Tat unerträglich grausam. Die Zuschauer bleiben aber lange regungslos sitzen. Irgendwann stehen einige dann doch auf, greifen ein und entreißen denen da vorne die Folter-Werkzeuge. Man meint zu verstehen, dass der Regisseur des Abends auch deshalb so unbarmherzig sein wollte, weil es ihm ganz nebenbei um einen Kommentar zur unbarmherzigen Haltung des reichen Mitteleuropa angesichts der Flüchtlingstragödie im Mittelmeer geht.

Bevor Frljic sich aber weiter derartigen Fragen widmet, kehrt er zu sich selbst und seiner Rolle als slawischer Haudrauf im Auslandseinsatz zurück. Das sieht dann so aus, dass Franz Pätzold als weiße Braut erscheint und in allen Lagen vergewaltigt wird. Dann zieht er die Kollegen in Käfigen hinter sich her, und man weiß nicht so recht, was der Balkan-Sisyphos dem deutschen Theater nun wieder mit auf den Weg geben will.

Am Ende sinkt die große Deutschlandfahne im Hintergrund zu Boden, Pätzold wickelt sich ein und wird von den Kollegen entsorgt. Auch das gehört zu Oliver Frljic: Er kann ja so selbstverliebt tragisch und sentimental kitschig sein. An diesem Abend hat er vor allem aber richtige Fragen gestellt und sich derart entblößt, wie man es im deutschen Theater selten erlebt.


"Balkan macht frei". Von Oliver Frljic. München, Marstall des Residenztheaters , wieder am 28.5. sowie 8. und 25.6., Tel. 089/21 83 19 40; Karten unter www.residenztheater.de .

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