Konflikt um "Neon"-Umzug Eigentlich sollten wir Journalismus machen

Paukenschlag bei "Neon" und "Nido": Weil das bisherige Chefredakteurs-Duo nicht von München nach Hamburg umziehen will, wird Oliver Stolle neuer Chef. Noch ist unklar, wie viele Redakteure ihm an die Alster folgen - und noch unklarer, was vom Geist der beiden Hefte bleibt.
Oliver Stolle soll "den besonderen 'Neon'/'Nido'-Spirit in den Norden bringen"

Oliver Stolle soll "den besonderen 'Neon'/'Nido'-Spirit in den Norden bringen"

Foto: Gruner & Jahr

"Bis neun bist du O.K., bei zehn erst K.O.", das hat Patrick Bauer, 29, "vom Leben gelernt", so steht es im Online-Impressum der Zeitschrift "Neon", und hier firmiert Bauer noch als Chefredakteur. Es hat wohl zehn geschlagen, denn dieses Amt hat Bauer bald nicht mehr: Gemeinsam mit der Co-Chefredakteurin Vera Schroeder, 36, verabschiedet sich Bauer zum Jahreswechsel von "Neon" und der ebenfalls von den beiden verantworteten Elternzeitschrift "Nido". Sie leiteten die Redaktionen nur knapp ein Jahr. Ihr Nachfolger wird Oliver Stolle, 39, bisher Berater der Chefredaktion und langjähriger Mitarbeiter beider Hefte.

Die bisherigen Chefs wollen "neue berufliche Wege gehen", heißt es in der Pressemitteilung von Gruner + Jahr vom Dienstag . Doch die Wahrheit ist wohl eher, dass sie den beruflichen Weg eben nicht mitgehen wollen, den der Verlag, beziehungsweise das "Haus der Inhalte", wie es Julia Jäkel, seit April dieses Jahres G+J-Vorstand, nennt, für die Redaktionen der beiden erfolgreichen Zeitschriften vorgezeichnet hat: Die bisher in München ansässigen Redaktionen sollen 2014 nach Hamburg umziehen, wo das Inhaltehaus seinen Stammsitz hat. Offiziell sollen die Redaktionen durch die räumliche Zusammenführung inhaltlich enger zusammenarbeiten. Der Bayerische Journalistenverband mutmaßt hingegen, dass auf diese Art und Weise offensichtlich "massiv Personal abgebaut" werden solle. Aus der Hamburger Führungsetage heißt es, das Gegenteil sei der Fall: Man sei sehr daran interessiert, möglichst viele Mitarbeiter für den neuen Standort gewinnen zu können.

Unerwünschter Umzug nach Hamburg

Die Auswechslung der Chefredaktion wurde just an dem Tag verkündet, an dem die "FAZ" über "Widerstand" in den beiden verschwisterten Redaktionen gegen den Standortwechsel berichtet hatte . Der "FAZ" zufolge weigern sich die Redaktionen von "Neon" und "Nido" nahezu komplett, nach Hamburg zu gehen.

Hört man sich im Umfeld der Redaktionen um, scheint "Widerstand" allerdings ein zu dramatisches Wort zu sein: Man befinde sich in normalen Verhandlungen, heißt es. Man wolle sich ganz genau anhören, zu welchen Konditionen der Wechsel nach Hamburg stattfinden soll - und wie hoch die Abfindung wäre, wenn man nicht mitziehen will. Dazu kommt, dass viele Mitarbeiter, gerade beim Eltern-Heft "Nido", familiär fest verwurzelt in München sind.

Deutlich zu vernehmen ist allerdings, dass insbesondere der Mitte September erfolgte München-Besuch von Hamburger Verlagsmanagern nicht gerade zum Vertrauen in den Arbeitgeber beigetragen hat. Betroffene berichten, ohne Begrüßung und Vorstellung sei hier ansatzlos die Umzugsorder erteilt worden. Nach wenigen Minuten sei der Auftritt auch schon beendet gewesen.

Das kam nicht gut an bei den selbstbewussten Redakteurinnen und Redakteuren von "Neon" und "Nido". Die beiden Zeitschriften sind besondere Gewächse in der deutschen Zeitschriftenlandschaft: 2003 ging "Neon" inmitten der damaligen Medienkrise an den Start und war sofort ein Erfolg: "Neon" machte Gewinn, und das sollte sich fortan nicht mehr ändern. Die Zeitschrift traf mit ihrem Slogan "Eigentlich sollten wir erwachsen werden" und Geschichten aus der Lebenswelt der 20- bis 30-Jährigen den Nerv vieler Leser. Ähnlich verhielt es sich mit der 2009 gegründeten Zeitschrift "Nido", welche die aus "Neon" herausgewachsenen Leser in ihrer nächsten Lebensphase begleitete, jener mit Kindern und Familie.

München war ein glücklicher Zufall

Der Standort München war eine Folge des Umstandes, dass die "Neon"-Entwickler, großteils ehemalige Mitarbeiter der publizistisch sehr erfolgreichen, bis 2002 als Magazin erschienenen Jugend-Beilage "jetzt" der "Süddeutschen Zeitung", sowieso schon an der Isar lebten. Fern von der Zentrale in Hamburg gedieh so eher unabsichtlich eine Unabhängigkeit, die bis vor gar nicht langer Zeit noch als Teil des Erfolgsgeheimnisses von "Neon" und später "Nido" galt. Vielfach wurde etwa "Neon" für sein stilprägendes Design ausgezeichnet.

Betroffene berichten, dass in letzter Zeit jedoch andere Preise in den Vordergrund gerückt seien: Die Budgets etwa seien zu hoch, hörten die "Neon"-Leute nun. Andere Lifestyle-Magazine kämen doch mit viel weniger Geld aus. Und wozu brauche man eigentlich so viele Bildredakteure? Alles falsch, hört man nun hingegen aus Hamburg: Man sei doch nicht so dumm, eine erfolgreiche Redaktion kaputt zu sparen.

Die verbliebenen Redakteurinnen und Redakteure müssen sich nun also überlegen, ob sie unter neuer Führung in eine ungewisse Hamburger Zukunft ziehen wollen. Sie müssen entscheiden, ob die Worte des "Neon"-Herausgebers Andreas Petzold (vormals "Stern"-Chefredakteur, heute auch hier Herausgeber), der jetzt davon spricht, "die einzigartige und komplexe DNA der Marken 'Neon' und 'Nido' (...) weiter zu entwickeln", eine Garantieerklärung für ihre Arbeitsweise sind - oder ob sie das Ende einer Erfolgsgeschichte einläuten. Der neue Chefredakteur Oliver Stolle soll "den besonderen 'Neon'/'Nido'-Spirit in den Norden bringen", stabreimt der Verlagsgeschäftsführer Frank Stahmer. Hoffentlich geht der nicht unterwegs verloren.

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