"Onkel Wanja"-Premiere Stillstand mit Tschechow

Tschechow am Thalia in Hamburg, das ist meistens eine sichere Sache. Auch in Andreas Kriegenburgs dreistündiger Neuinszenierung von "Onkel Wanja" lief alles so präzise ab wie in einem Uhrwerk. So glatt, so sauber, so langweilig, dass die Zeit manchmal stehenblieb.

Das Leben ist einfach zu groß: Es schlottert um die Menschen, die darin zappeln wie in überdimensionierten Hosen, sich drehen und wenden und es doch nie vollends in den Griff kriegen. Bestenfalls wirken sie dabei wie komische Clowns, einer wie der andere. Große Augen, dicke Tränen, Sehnsucht, Hoffnung, Liebe, alles ein Schicksalssog, solange man lebt. Und das große Ziel kann nur heißen: zur Ruhe kommen. So fasst es Sonja, die enttäuschte Professorentochter am Ende von drei Stunden Tschechow zusammen. "Onkel Wanja" in Hamburg, eine "Bank" auf der Bühne, was sonst. Dennoch war dieser Tschechow eher ein Lavafluss als ein rauschender Bilderbogen.

Andreas Kriegenburg, Oberspielleiter am Hamburger Thalia Theater, hatte sich für seine "Wanja"-Crew lustige Kostüme schneidern lassen, die alle Männer wie modebewusste Clowns aussehen ließen: dezent cremefarben, großes Beinkleid, kaum zu bändigende Hosenträger, Wanja mit eng sitzender Designerpelzkappe. Alles Ton in Ton, alles schmilzt ineinander, alle sind irgendwie wie die Birken, die sich biegen und aus denen sich zu Beginn das Bühnenpersonal herausschält. Denn ein dichter, geschmeidiger Birkenwald aus Filz hängt von der hohen Bühnendecke, ist Schutz und Versteck, gleichzeitig Gestrüpp und Falle. Alle sind gefangen in diesem viel zu großen Ambiente, ob Klamotten oder Natur: Man kann sich nur anpassen, einblenden, zu einem monochromen Tableau.

Die Geschichte vom ehrlichen, redlichen Gutsverwalter Wanja, der für den nur scheinbar tüchtigen Professor Serebrjakow das Land bestellt, ist so einfach wie symbolhaft. Nur durch Heirat mit Wanjas Schwester in den Besitz des Gutes gekommen, erlebt Serebrjakow gelangweilt die Bewunderung Wanjas, hat aber weder zum Land, noch zum Verwalter eine emotionale Bindung. Die herzlose Kosten-Nutzen-Rechnung für den Verkauf des Gutes, die der faule Intellektuelle dem fleißigen Statthalter aufmacht, trifft diesen ins Herz - die bekannte Trauer über das nicht gelebte eigene Leben und die Wut über die Ignoranz des Gegenübers eskalieren zu Gewalt und Mordversuchen.

Natürlich kann solch Verdruss auch komisch sein - aber ob man deshalb die Rolle des eher klar denkenden und positiven Arztes Astrow (glänzend: Alexander Simon) als optische Mischung aus Duo Colonia und Gogol mit gehechelter Sprache à la Götz George verklamottieren muss?

Ausbruchsversuche scheitern

Alles ist eitel, alles ist lächerlich angesichts der Ewigkeit, selbst in der Tat - und auch die Tat des Wanja, seine Enttäuschung am Professor mit einem Schuss zu lösen, wirkt wie ein alberner, aufgesetzter Trotzakt, der völlig aus dem Rahmen dieser statischen Daseinsbeschreibung fällt. Jörg Pose, der den Wanja spielt, trifft sehr anrührend die schwierige Melange aus Melancholie, Wut und Machtlosigkeit seiner Rolle, er forciert nie, gehorcht treulich der in dieser Inszenierung radikalen Vorgabe des Ensemblestils und überzeugt völlig - gerade durch den Verzicht auf seine sonst oft drastischen Mittel.

Ein anderer Ausbruchsversuch, man könnte ihn "Liebe und Leidenschaft" nennen, wird ebenfalls scheitern. Ob Astrows erfolgversprechendes Werben um die schöne Professorenfrau Jelena (kraftvoll: Natali Seelig) oder Wanjas eher unbeholfenes Herumflirten um dieselbe Dame: Keine Erlösung durch die Liebe ist in Sicht. Auch nicht für Sonja, die verhärmte Tochter Serebrjakows, die mit kindlicher Gefühlswallung stets nach dem Guten und Wahren in Gestalt von Arzt Astrow sucht und dabei - wie alle - zum traurigen Clown wird. Lisa Hagmeister gibt dieser Sonja ein großartiges Gesicht zwischen Überschwang und Enttäuschung, ein ganzes Füllhorn an Emotionen und Facetten.

Regie-Einfälle von gestern

Leider gelang es Regisseur Andreas Kriegenburg nicht, diese wunderbaren Einzelleistungen zu einem dramatischen Sog zu formen, seine "Wanja"-Inszenierung arbeitet ihre Handlungspunkte ab, verliert sich in der Zeichnung der Charaktere, der wie hingetuschten Darstellung des Ortes und Regie-Einfällen von gestern: Der "ungeordnete Haufen" (hier Gartenstühle, bei Regiekollege Jürgen Gosch gern Reisigballen) sollte endlich einmal ins Museum der Bautenideen verbannt werden, auch wenn es natürlich immer funktioniert.

Kriegenburgs Bühne war auch ohne diese Standards dekorativ genug. Doch diese optisch attraktive Anmutung gibt dem Geschehen noch mehr den Eindruck eines Tableaus zwischen Baum und Borke, der dramatische Strom versiegt - und die Figuren werden statisch, entrückt. So strebt dieser "Onkel Wanja" zäh und quälend dem ohnehin undramatischen Schluss entgegen: Sonja verspricht ihrem Onkel am Ende die künftige Ruhe - aber davon gab es, hübsch serviert, schon Stunden vorher eine Menge zuviel. Großen Beifall fürs Ensemble und auch für das Regieteam gab es dennoch - das Thalia hat ein baumstarkes Publikum.

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