Daniel Sander

Massaker in Orlando Er meinte uns

Der Mord an 49 Menschen in einem queeren Club in Orlando war ein Akt des Terrors - eindeutig getrieben vom Hass auf Homosexuelle. Es ist wichtig, das genau so auszusprechen.
Gedenkveranstaltung in Orlando

Gedenkveranstaltung in Orlando

Foto: ADREES LATIF/ REUTERS

Omar Mateen hat sich das Ziel seines Massenmords nicht zufällig ausgesucht. Er hatte sich mit einem Sturmgewehr und einer Pistole ausgerüstet und ist mit seinem Auto einen weiten Weg gefahren. Er ging schließlich ins Pulse, einem bekannten queeren Klub in Orlando, in dem gerade eine Latino-Party stattfand. Dort erschoss er 49 Menschen, von denen er genau wusste, dass die meisten schwul, lesbisch, bisexuell oder transgender waren. Zwischendurch wählte er den Notruf, um sich zum "Islamischen Staat" zu bekennen.

Man kann noch nicht sagen, ob er ein organisierter Islamist war, oder ein Irrer, oder beides. Eins kann man aber ganz eindeutig sagen: Dieser Anschlag war getrieben vom Hass auf Homosexuelle. Es sollte ganz genau diese Gruppe von Menschen treffen, so eiskalt, brutal und menschenverachtend wie möglich. Ich finde es wichtig, das immer wieder zu benennen. Denn andere haben damit ganz offensichtlich Schwierigkeiten.

Angela Merkel etwa. "Wir sind fest entschlossen, auch wenn solche mörderischen Anschläge uns in tiefe Trauer versetzen, unser offenes und tolerantes Leben fortzusetzen", erklärte sie auf einer Pressekonferenz. "Unser Herz ist schwer, dass der Hass und die Bösartigkeit eines einzelnen Menschen über 50 Leben gekostet haben."

Für Merkel, wie auch für Joachim Gauck und viele andere bedeutet das Attentat von Orlando das gleiche wie das Massaker von Paris im vergangenen November: ein Angriff auf die offene, westliche Gesellschaft. Ein Angriff auf uns alle. Dass es in diesem Fall vor allem Mitglieder der LGBT-Gemeinde (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender) traf und auch treffen sollte, bleibt unerwähnt. Es ist für Merkel nicht von Belang.

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Orlando Attentat: Trauer und Solidarität

Foto: AP/ Orlando Sentinal/ Red Huber

Einige meiner Kollegen können nicht verstehen, warum ich mich so sehr über Merkels Reaktion und ihre Haltung ärgere. Es sei doch eigentlich genau richtig, dass sie Schwule, Lesben und Transpersonen nicht explizit erwähne - schließlich zeige es, dass sie alle als selbstverständlichen und akzeptierten Teil der Gesellschaft sehe, der Deutschland und den Westen eben genauso repräsentiere wie das alle anderen Bevölkerungsgruppen auch täten.

Man kann das so argumentieren. Für mich als schwulen Mann offenbaren sich hier jedoch gleichzeitig eine massive Ignoranz und ein verletzender Mangel an Solidarität und Respekt. Ich habe keineswegs den Eindruck, dass die LGBT-Gemeinde ein selbstverständlicher und akzeptierter Teil der Gesellschaft ist. So darf ich in diesem Land mit meinem Partner immer noch keine Kinder adoptieren, die Kanzlerin selbst erklärte mal, sie bekomme "Bauchschmerzen", wenn sie daran denke. Heiraten dürfen sowieso nur Mann und Frau, ich darf mir höchstens eine Lebenspartnerschaft eintragen lassen.

Wenn ich meinem Partner in der Öffentlichkeit einen Kuss gebe, muss ich damit rechnen, dass mir wildfremde Leute erklären, wie widerlich sie das finden. Man hat mir in diesem Land schon vor die Füße gespuckt, Schläge angedroht und mir ins Gesicht gesagt, dass ich vergast gehöre.

Nichts ist gut

Ich weine mich deswegen nicht in den Schlaf. Aber ich rege mich darüber auf, dass mir immer wieder suggeriert wird, ich solle doch froh und dankbar sein, dass ich hier wegen meiner Homosexualität nicht mehr ins Gefängnis gesteckt werden kann - im Gegensatz zu vielen anderen Ländern. Dass ich doch froh sein soll, dass in den letzten Jahrzehnten so viele Fortschritte gemacht worden sind. Da müsse ich doch nicht immer wieder auf diesen hysterischen Christopher-Street-Day-Paraden immer neue Forderungen nach Gleichberechtigung aufstellen. Wie anstrengend! Irgendwann ist doch mal gut!

Nichts ist gut. Ein Mann ist in einen queeren Club gegangen und hat 49 Menschen erschossen, die sich genau diesen Ort ausgesucht haben, weil er ein "Safe Space" war - ein Ort, an dem sich Schwule, Lesben und Transgender für ein paar Stunden von der heterosexuellen Mehrheit zurückziehen können, um einfach nur zu sein, wer sie sind, unbeobachtet und wertungsfrei. Dafür wurden sie getötet.

Es ist von Belang, das so zu sagen. Um klar zu machen, dass die offene, westliche Gesellschaft eben nicht nur um sich selbst trauert, sondern auch und vor allem um eine ganz bestimmte Gruppe von Menschen. Damit diese Gruppe Hoffnung haben kann, dass sie nicht auf sich allein gestellt ist. Dass sie beschützt wird. Und geschätzt.

Hillary Clinton hat in ihrer ersten Reaktion auf das Attentat ebenfalls von einem Akt des Terrors gesprochen, und auch davon, dass es hier um "unsere Werte" gehe. Doch im selben Atemzug sprach sie auch von einem Akt des Hasses, der sich gezielt auf einen LGBT-Klub gerichtet habe. Dann schrieb sie: "An die LGBT-Gemeinde: bitte seid euch gewiss, dass ihr in unserem Land Millionen Verbündete habt. Ich bin eine davon. Wir werden weiter kämpfen für euer Recht, frei, offen und ohne Angst zu leben."

Es sind nur ein paar Worte. Aber sie helfen.

Im Video: Gedenken an die Opfer von Orlando

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