
Burkhard C. Kosminski im Schauspiel Stuttgart: Es ist verstörend
"Othello"-Inszenierung in Stuttgart Der Neid der Unklugen
War das jetzt doch Blackfacing? Wenn Othello langsam in Wut gerät, weil ihm immer mehr Details einer angeblichen Untreue seiner Gattin Desdemona hintertragen werden, wischt er sich im Stuttgarter Schauspielhaus ein, zwei kleine Striche wie eine Art Kriegsbemalung ins blasse Gesicht. Die verschmiert er mit der Zeit.
Warum diese Maskerade des weißen Schauspielers Itay Tiran? Regisseur Burkhard C. Kosminski scheint mit den Argumenten und bisweilen auch Hysterien in der Debatte um die meist schwarz interpretierte Hautfarbe der Hauptfigur Othello in Shakespeares Stück ironisch zu spielen.
Bei seinem Kollegen Michael Thalheimer im Berliner Ensemble sah man den Feldherrn Othello kürzlich als blutbesudelten alten weißen Mann im Testosteron-Strudel. Im Gedächtnis geblieben ist auch noch Alexander Scheer 2004 in Hamburg, der sich die schwarze Farbe wegduscht wie einen Aussatz (Regie Stefan Pucher). Also: Ratlosigkeit ob der vielfältigen Diskriminierungsfallen allenthalben. In Stuttgart ist das jetzt alles ganz anders - und es ist verstörend.
Ganz subtil
Othello wird gespielt von einem fast blonden Recken, der im Heeresstab um Jago, Cassio und Roderigo zunächst überhaupt nicht auffällt. Nur wenn er spricht, hört man einen leichten Einschlag: Der Mann wuchs mit einer anderen Sprache auf. Kosminski hat aber aus dem Text alles gestrichen, was auf die Hautfarbe der Figur hindeutet, stattdessen wird Othello konsequent nur "der Fremde" genannt. Das klingt erstmal noch nicht total herabwürdigend, und man fragt sich tatsächlich zunächst, wo der Ansatzpunkt sein könnte für all den Hass, mit dem der General von seinen Widersachern überzogen werden wird mit der Zeit. Aber es kommt dann ganz subtil.

Burkhard C. Kosminski im Schauspiel Stuttgart: Es ist verstörend
Jago, Brabantio und all die machtgeilen und herrenmenschlichen Gesinnungsgenossen in militärischen Führungspositionen, die um Posten und Einfluss schachern, machen es quasi hintenherum kurz und unmissverständlich: Der Fremde ist ein "Schmarotzer", wird getuschelt, ein "Parasit", eine "Kreatur" nur, ist "ohne Sitten und Kultur", kommt "in unser Land und nimmt uns unsere Mädchen weg".
Und da sind sie, diese einfachen hirnverbrannten Wörter, die man ohne Not auch heute bei jeder Hinterzimmer-Zusammenrottung nationalistischer Bürger, offen gegrölt bei AfD- und Pegida-Demonstrationen hören kann: rassistischer und antisemitischer Unfug. Sie treffen hier einen, der längst sozialisiert ist, eingegliedert in die Gesellschaft - wo er es nach der Meinung der anderen freilich nur auf einen festen Arbeitsplatz und kurze Röcke abgesehen hat.
In Einsamkeit gefangen
Nur, dass er in allem, was er tut, eben tatsächlich ein wenig besser, intelligenter, versierter und taktischer ist als sie. Erfolgreicher, schneller vor allem. Dazu erscheint er zunächst auch noch ruhig, sympathisch. Dass die Ursache für Antisemitismus und Rassismus vornehmlich also in erster Linie der gärende Neid der etwas trägen Unklügeren auf "den anderen", der es schaffen will und geschafft hat, sein kann - Shakespeare bietet hier eine Steilvorlage für alle Rassismus-Forscher.
Kosminski greift sie auf und macht sie zum Kern seiner Inszenierung, in der die eigentliche Geschichte um den General, der mit Lug und Trug aus der Gemeinschaft gekegelt wird, dann fast ein wenig beiläufig abgespult gerät. Er hat aber auch mit Itay Tiran (in Israel, wo er geboren wurde, ein wirklicher Star) in der Titelrolle einen Schauspieler, der mit bemerkenswert nonchalanter Natürlichkeit die ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Ihm ist auch die weite, unwirtlich kalte, nur mit verschiebbaren Wänden eingerichtete Drehbühne (Florian Etti) nicht zu groß. Eine Mischung aus James-Bond-Charme und Boygroup-Erotik schafft Tiran und bleibt dabei doch ein in seiner Einsamkeit gefangener Außenseiter, dem jede Anbiederung suspekt ist, der Furcht hat vor der Wahrheit, die den wackligen Boden unter ihm endgültig brechen lassen könnte.
Seine Schlachten erledigt er mit Touchscreen-Beiläufigkeit, die burschenschaftliche Zusammenrottung seiner Soldaten meidet er fast hochnäsig, Desdemona (Katharina Hauter) liebt er zärtlich-herrisch. Doch es gärt in ihm, das Misstrauen, das ihm entgegengebracht wird, nagt, und Kosminski zeigt in wirr-irren Videoeinspielungen mit Bildern von Gewalt und Schönheit, wie es im Kopf Othellos zugehen mag, wo grausame Kriegstraumata die Sehnsucht nach dem Glück überlagern.
Ein Held ist das nicht, kein machtbesessener Drauf- und Totschläger; ein Feldherr nach Vorschrift irgendwie, der im Unterhemd erscheint und kurz mal nach dem Rechten sieht. Und er kommt zu spät, denn das Intrigen-Netz, das ein zynisch funktionierender Jago (Matthias Leja) ziemlich grob spinnt, hat ihn gefangen genommen, und sein letztes Aufbäumen gegen das Schicksal erscheint wie ein Abgesang auf sich selber: hilflos, verstört und im Grunde jämmerlich umkreist Othello das Ehebett, in dem die macht-missbrauchte Desdemona gerade noch zur Nacht gebetet hat, und auf das es jetzt unaufhörlich fein blutrot herunterrieselt. Wie ein Hochamt zelebriert Kosminski hier, mit Schlaf- und Todesliedern, mit einer Trauer, die etwas nah am Kitsch ist.
Das eigentliche Thema dieses Publikum umjubelten Abends aber wirkt so unmissverständlich wie eindringlich nach: "Es ruht noch manches im Schoß der Zeit, das geboren werden will", heißt es bei Shakespeare warnend. Und ganz in diesem gruseligen Sinn hat Jago das letzte Wort: Er mag ihn einfach nicht, den Fremden.
"Othello". Schauspielhaus Stuttgart . Nächste Vorstellungen am 28. April sowie am 10., 21. und 24.5.