Es wurde höchste Zeit. Wer heute durch Argentinien reist, kann zwar viele Kirchen bestaunen, zwar sind die schönsten und höchsten davon katholisch, zwar sind laut Statistik 90 Prozent der Argentinier Katholiken - doch die Übermacht täuscht: Im ganzen Land, in Dörfern wie in Städten, breiten sich evangelikale Gemeinden aus und bringen die ehemalige Staatskirche in die Defensive. Die Wahl eines argentinischen, also lateinamerikanischen Papstes dürfte nicht nur das langersehnte Zugeständnis Roms an den Kontinent mit den meisten Katholiken sein. Gleichzeitig ist es eine Reaktion auf die alarmierende Abwanderung der hiesigen Christen zu anderen Konfessionen.
Jorge Mario Bergoglio ist ein Jesuit. Dass er den Namen Franziskus wählte, in Anlehnung an Franz von Assisi, symbolisiert Tugenden, die auch Jesuiten teilen: Bescheidenheit und Demut. Und wenn es eine Richtung in der katholischen Kirche gibt, die die abwandernde Herde in Lateinamerika wieder begeistern könnte, dann ist es wohl diese Ordensgemeinschaft. Ein volksnaher, in Enthaltsamkeit und Bescheidenheit geübter Bewohner der Dritten Welt, der sich gleichzeitig immer in der Nähe der politischen Macht seines Landes bewegt hat und dem auch die Intrigen im Vatikan nicht fremd sind, scheint das beste, wenn nicht einzige Mittel sein zu können gegen die schleichende Abkehr dieser Seite der Welt von Rom.
Keine Hoffnung auf Reformen
Das gilt allerdings nur vom Standpunkt der katholischen Kirche aus betrachtet. Für die Andersgläubigen und Atheisten des Kontinents bedeutet die Wahl nichts Gutes: Eine zweite Eroberung des Kontinents durch den Katholizismus ist für sie ein Rückschlag, vor allem in Sachen sexueller Freiheit und Selbstbestimmung. Bergoglio ist einer der heftigsten Gegner der gleichgeschlechtlichen Ehe, er sprach in diesem Zusammenhang sogar von einem "Plan des Teufels", als diese in Argentinien als erstem Land des Kontinents gesetzlich geregelt wurde. Der neue Papst gilt ebenso als ein dezidierter Gegner von Verhütung und Abtreibung. Mit der Wahl Bergoglios werden die progressiven Kräfte Lateinamerikas noch mehr politisches Engagement an den Tag legen müssen, um die Stärke ihrer religiös gesinnten Gegner zu überwinden.
Zwar war von keinem möglichen Papst zu erwarten gewesen, dass er sich in diesen Punkten anders als erzkonservativ positionieren würde, aber die Tatsache, dass Franziskus seine für die Gesundheit der Bevölkerung verheerenden Positionen nun als Papst in spanischer Sprache und womöglich auch bei Besuchen vor Ort verbreiten wird, lässt keine Hoffnung auf Reformen der katholischen Kirche in Lateinamerika zu. Mit einem deutschen Papst, der alles andere als volksnah aussah (und war), lag die Verwirklichung der Utopie einer liberaleren Sexualmoral aus hiesiger Sicht ein Stückchen näher.
Dazu kommt im Fall von Bergoglio (und der katholischen Kirche in Argentinien insgesamt) ein umstrittenes Verhältnis zur Militärdiktatur der Jahre 1976 bis 1983. Dem jetzigen Papst wird vorgeworfen, er sei damals in die Verschleppung zweier Jesuiten verwickelt gewesen, zumindest als Mitwisser. Der Menschenrechtsanwalt Marcelo Perrilli hat Bergoglio deshalb 2005 angezeigt, er musste in dieser Sache vor Gericht erscheinen. In fünf Büchern über die Rolle der Kirche während der Militärdiktatur - eine umfangreiche Nachforschung, die jetzt wahrscheinlich in alle Sprachen der Welt übersetzt werden wird -, hat der argentinische Journalist Horacio Verbitsky diese und andere obskure Verstrickungen des neuen Papstes und der Institution, die er jetzt regiert und weltweit repräsentiert, detailliert dargestellt.
Die Regierung Kirchner, die die Aufklärung und Aburteilung aller Verbrechen der Diktatur zum Staatsziel erklärt hat, konnte in Bergoglio nie einen Freund finden. Obschon keine offene Feindschaft herrschte, waren seine Reden im Namen der Bedürftigen und gegen die Korruption der Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner immer wieder ein Dorn im Auge. Ihr wird die Wahl Bergoglios kaum Vergnügen bereitet haben.
Die argentinische katholische Kirche, sonst immer ziemlich regierungsnah - selbst in Zeiten, in denen sie sich hätte fernhalten sollen - ist heute alles andere als ein Verbündeter der Staatsführung. Sie wird von ihrer neuen Stellung in der christlichen Welt auch politisch profitieren.
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Das ist der neue Papst: Jorge Mario Bergoglio aus Argentinien. Er hat sich für seine Amtszeit den Namen Franziskus ausgesucht.
In Buenos Aires, wo Bergoglio herkommt, feiern die Menschen wie nach einem Sieg bei einer Fußball-WM.
Viele Gläubige haben sich in der Kathedrale versammelt. Sie feierten die Wahl des neuen Papstes enthusiastisch.
Unter den Zehntausenden Schaulustigen auf dem Petersplatz waren auch Argentinier, die die Flagge ihres Landes hochhielten.
Applaus brandete auf, als bekannt wurde, dass mit Bergoglio erstmals ein Mann aus Lateinamerika zum Papst gewählt worden war.
Auf diesem undatierten Foto ist Bergoglio bei einer Messe in Buenos Aires zu sehen. "Ihr wisst, dass es die Pflicht des Konklaves war, einen Bischof von Rom zu bestimmen", sagte Bergoglio nach seiner Wahl auf der Mittelloggia des Petersdomes, "und es scheint, dass meine Brüder Kardinäle diesen am Ende der Welt geholt haben, aber wird sind hier."
Bergoglio gilt als sehr volksnah. Auf dieser Aufnahme vom 7. August 2009 begrüßt er in Liniers, einem Viertel von Buenos Aires, Gläubige.
Die Kathedrale in Buenos Aires war einer der wichtigsten Wirkungsorte Bergoglios. Nun verlagert sich sein Wirkungsort nach Rom - sein Einfluss ist weltweit zu spüren.
Bergoglio hatte in Argentinien engen Kontakt zur politischen Spitze. Auf dieser undatierten Aufnahme gibt er Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner die Hand.
Bergoglio ist in der Verwaltung der Kurie nicht unerfahren. 2001 leitete er eine Bischofssynode in Rom und verdiente sich damit den Respekt der Kardinäle.
Jorge Mario Bergoglio aus Argentinien ist der neue Papst. Er ist das erste Oberhaupt der katholischen Kirche aus Lateinamerika.
Der Erzbischof von Buenos Aires wird als Franziskus Oberhaupt von 1,2 Milliarden Katholiken.
Zuvor hatte Kardinalprotodiakon Jean-Louis Tauran auf der Loggia des Petersdoms verkündet: "Habemus papam". "Ich verkünde euch große Freude, wir haben einen neuen Papst."
"Brüder und Schwestern, Buona sera", sagte der neue Pontifex, als er auf den Balkon trat. Jubel brandete auf. Franziskus dankte seinem Vorgänger Benedikt XVI. und betete für ihn.
Hier ist Bergoglio mit seinem Vorgänger, dem emeritierten Papst Benedikt XVI., zu sehen. Die Aufnahme stammt aus dem Januar 2007. Bereits beim vorhergehenden Konklave 2005 war der argentinische Jesuit der stärkste Kontrahent Joseph Ratzingers gewesen.
Jubel in Rom: Gläubige feiern den neuen Papst - Anhänger halten die argentinische Flagge.
Mit 76 Jahren und seiner etwas gebrechlichen Gesundheit ging er in die neue Papstwahl eher als Außenseiter unter den Favoriten.
Bergoglio wurde im fünften Wahlgang gewählt - hier ist er am 11. März in der Vatikanstadt zu sehen.
Kardinal Bergoglio wäscht einem Kind in Buenos Aires die Füße, das Bild stammt aus dem Jahr 2005.
Bergoglio (r.) bevorzugte bisher ein möglichst unauffälliges Auftreten in der Öffentlichkeit. Auch in Rom ging er lieber in einem dunklen Mantel und ohne Kardinalshut.
Bergoglio wird oft auch "Kardinal der Armen" genannt. Vor wenigen Wochen warnte Bergoglio vor der "alltäglichen Übermacht des Geldes mit seinen teuflischen Folgen von Drogen und Korruption sowie dem Handel von Menschen und Kindern, zusammen mit der materiellen und moralischen Misere".
In den vergangenen Jahren stritt Bergoglio mehrfach mit den Regierungen von Néstor Kirchner und Cristina Fernández de Kirchner (r.). Der Kardinal kritisierte Korruption und Armut.
Als Bergoglio die Gesetzesvorlage zur gleichgeschlechtlichen Ehe als "Teufels-Manöver" bezeichnete, antwortete Staatschefin Cristina Fernández de Kirchner, diese Kritik erinnere an die Zeiten der Inquisition.
Bergoglio wurde am 17. Dezember 1936 als Sohn italienischer Einwanderer geboren. Sein Vater war Bahnangestellter in der argentinischen Hauptstadt. Dort ging er auf eine technische Schule, die er als Chemietechniker abschloss.
Bergoglio (2. v. l.) im Kreis seiner Familie (undatierte Aufnahme): Links neben ihm sein Bruder Alberto Horacio, rechts sein Bruder Oscar Adrian and seine Schwester Marta Regina. Unten im weißen Kleid sind seine Schwester Maria Elena, seine Mutter Regina Maria Sivori and sein Vater Mario Jose Bergoglio zu sehen.
Bergoglio 1973: Mit 21 Jahren ging er ins Priesterseminar. Im selben Alter wurde ihm wegen einer schweren Lungenentzündung ein Teil der rechten Lunge entfernt. Sein schlichter Lebensstil ermöglichte ihm, mit diesem Handicap bis ins Alter recht gut zu leben.
Nach seiner Priesterweihe 1969 folgte er Theologiestudien. Er wurde von 1973 bis 1979 zum Provinzial des Jesuitenordens berufen. In diesen schwierigen Jahren Argentiniens, in denen nach sozialem Aufruhr das Militär die Staatsmacht übernahm, führte Bergoglio mit Strenge seine Ordensbrüder in strikt religiöse Aufgaben zurück.
Der einzige Jesuit im Konklave übernahm 1998 die Erzdiözese von Buenos Aires, 2001 wurde er zum Kardinal berufen. Hier erhält er von Papst Johannes Paul II. den roten Kardinalshut.