"Paradise" Adam, Eva und die glücklichen Kühe
Schon verrückt, diese Sehnsucht nach dem Paradies. Zwischen Fluchtpunkt und Fiktion, die Vision von einem Ort der Unschuld, des Friedens, des permanenten Glücks, voller Schönheit und Harmonie. Pech, dass sich uns die Pforten zum Garten Eden erst nach dem irdischen Intermezzo öffnen sofern man daran glaubt. Lohnt es sich, darauf zu warten, oder sichert man sich beizeiten einen Zipfel hernieden? Anlaufstellen gibt es genug, verheißen nicht Wurst-, Sex- und Computerparadiese ungeahnte Gaumenfreuden, den ultimativen erotischen Kick und traumhafte Konfigurationen? Abschussrampen gen Nirvana allerorten, die Gegenwart drängt es in die paradiesische Verlängerung. Doch wie sehen die Vorstellungen vom Ort der Endzeit heute aus, wo sich jede Vision in Bildern generieren läßt?
Der Journalist Patrick Remy hat für "Paradise" rund hundert Fotografen um Ideen gebeten. Die Ergebnisse sind verblüffend bedrückend, herrlich und rätselhaft, mitunter auch banal. Sie reichen von schlichten Naturimpressionen über verhuschte Porträts bis zu schmelzenden Plastikpüppchen und masturbierenden Chorknaben. Sehr diesseitige Versionen. Jürgen Ostarhilds Porträts von "Adam" und "Eve" (S.152/155) trennt kein Apfel, sondern das Gebäck-Stück von Kate Plumb. Viele lachende Gesichter, weit gespreizte Beine (Cornelie Tollens S.94/95) und Engel in allen Variationen. Etwa der androgyne Typ in Blauweiß von Diego Zitelli (S.184/5), eine blutverschmierte Ausgabe mit schwarzen Augenrändern unter der Plastikplane von Laurent Kariv (S.136) und immer wieder laszive Mädchen, eigentümlich transparent, mal ins Wasser gefallen, mal an den Baum gesetzt.
Rauchende Kinder mit geschminkten Lippen und unschuldigem Blick, Wohnzimmeridyll und Plattenbau, ein Ortsschild - "Ciel" - von glücklichen Kühen umgrast. Andere liegen mit einem Schmetterling auf der Augenbraue im Grün saumseelig träumend oder stehen ergriffen auf der Veranda einer Almhütte, glotzen auf Berge und Himmel und versinken im unendlichen Blau. Und dann das Mädchen auf dem Spielplatz von Cecile Bortoletti (S.116). Ihr gegegnüber vom Zaun getrennt ein Mann. Sie fixieren sich. Woran denkt er wohl? An die schöne Unschuld seiner Kinderzeit oder plagen ihn die Fantasien eines Päderasten? "Paradise in progress" heißt der Titel. Tja, alle Lust will Ewigkeit. Patrick Remy (Hg.): Paradise, 220 Seiten, Steidl, 35 Mark.