Performance-Gruppe SheShePop "Eine Frauenquote fürs Theatertreffen wäre gut"

"Radikal anders": Das Berliner Theatertreffen 2011 steht im Zeichen des Off-Theaters und der Newcomer. Dazu gehört auch das Frauen-Kollektiv SheShePop. Im Interview spricht Gründungsmitglied Ilia Papatheodorou über das alte Feindbild Stadttheater und die Eroberung männlicher Zuschauer.

SPIEGEL ONLINE: Frau Papatheodorou, Sie sind mit ihrem ursprünglich nur aus Frauen bestehenden Kollektiv SheShePop in den neunziger Jahren dezidiert gegen das herrschende Theater-Establishment angetreten. Nun zeigt das Berliner Theatertreffen zum ersten Mal eine SheShePop-Produktion. Was haben Sie falsch gemacht?

Papatheodorou: Ich glaube, wir sind weniger konfrontativ vorgegangen als bisher. Und einige Zuschauer - und Theatertreffenjury-Mitglieder - empfinden das als Erleichterung. Die Einladung unseres "Testament"-Abends ist eine freundliche Vereinnahmung. Wir sind damit auf einem Sektor angelangt, auf dem wir bisher nicht mitgespielt haben. Da geht eine Tür auf zu einer Welt, die bisher nicht unsere war. Wir freuen uns darüber.

SPIEGEL ONLINE: In "Testament" verknüpfen Sie Texte aus Shakespeares "König Lear" mit teils sehr komischen Gedanken über heutige Generationenkonflikte und präsentieren dafür auf der Bühne unter anderem vier Väter von Mitgliedern Ihres Kollektivs, die über Geld, Erbschaften und ihre Vorstellungen vom Alter reden. Inwiefern unterscheidet sich dieses Generationenprojekt von Ihren früheren Diskursstücken? Zum Beispiel über die Art, wie sich Frauen gewöhnlich öffentlich präsentieren?

Papatheodorou: Wir haben uns zum ersten Mal überhaupt mit einem literarischen Theaterstück beschäftigt. Das kam, weil wir uns vorgenommen hatten, uns über einen Zeitraum von zwei Jahren mit den Themen Alter, Autorität, Kanon, Establishment zu beschäftigen, und wir wollten dafür Shakespeares "König Lear" und Tschechows "Drei Schwestern" benutzen. Es war schwer, unsere Väter zur Mitarbeit auf der Bühne zu bringen, aber es hat sich gelohnt. Daraus haben sich interessante Konflikte entsponnen. Einige Leute im Publikum fühlen sich angesprochen durch die Sicht der Väter auf unsere Arbeit, ihre Haltung, die sich in vielerlei Hinsicht sehr gegen unsere Ästhetik richtet. Namentlich ältere Männer. Und die haben wir als neues Publikum dazugewonnen. Die werden wir vermutlich auch wieder verlieren.

SPIEGEL ONLINE: Bei SheShePop stehen keine professionellen Schauspieler auf der Bühne, sondern die Theatermacherinnen und Theatermacher selbst, manchmal eben samt Verwandtschaft. Begreifen Sie sich mit Ihrer Arbeit heute noch als Gegenpol zu einer Stadt- und Staatstheaterwelt, in der Profi-Schauspieler unter der Anleitung eines Regisseurs Stücke wie den "König Lear" mit psychologischer Einfühlung spielen?

Papatheodorou: Das Feindbild Stadttheater hatten wir, als wir 1997 fertig waren mit dem Studium der Angewandten Theaterwissenschaft in Gießen. Wir wollten uns nicht einfügen in eine Theaterwelt, in der vorwiegend männliche Regisseure den Frauen ihren Platz zuweisen, entweder als Dramaturginnen an der Seite oder als Schauspielerinnen auf der Bühne. Wir haben diese Mechanismen auch selber im Studium so erlebt auf der Probebühne, wo männliche Studenten ihre eigenen Texte inszenierten, und wollten das durchbrechen. Also haben wir, das waren am Anfang acht Frauen, uns zu einem Kollektiv zusammengetan. Die Arbeit im Kollektiv war uns ein politisches und ästhetisches Anliegen. Weil im Kollektiv die zentrale Perspektive eines Regisseurs fehlt, ist die Arbeit chaotischer, suchender und für den Zuschauer oft anstrengend. Aber wir können nicht anders. Und in gewissem Sinn ist bei SheShePop auch die Gemeinschaft das Kunstwerk: Wir legen immer unsere Reflexionen offen, viele verschiedene Sichtweisen, das Reiben des Individuums an den Zwängen der Gemeinschaft.

SPIEGEL ONLINE: Ist das Reflektieren über die Mittel des Theaters auf offener Bühne nicht heute auf vielen Stadt- und Staatstheatern üblich - auch dank des Studiengangs in Gießen, den der konservative "FAZ"-Theaterkritiker Gerhard Stadelmaier mal als "Unglücksschmiede des deutschen Theaters" bezeichnet hat?

Papatheodorou: Ja, das hat sich immer mehr aufgeweicht. An vielen großen Häusern arbeiten heute durch Gießen geprägte Gruppen wie Rimini Protokoll. Statt selber Nachwuchs zu fördern, grasen diese Häuser die Nachwuchsarbeit der freien Szene ab. In Gießen wurde uns kein klassisches Theaterhandwerk gelehrt, dort stand die Reflexion im Vordergrund. Da sind lauter Leute auf die Bühne gegangen, die nicht dafür ausgebildet waren. Die hatten Konzepte und Ideen und haben sich stellvertretend für die hingestellt. Ich habe schon Verständnis für Leute wie Herrn Stadelmaier, die finden, man müsse eine Sprechstimme haben auf der Bühne, diese Art von Handwerk. Wir haben ein anderes Handwerk, sind zum Beispiel im Umgang mit Videotechnik sehr versiert. Wir haben eine andere Expertise, die manche Leute nicht als Theaterkunst erkennen.

SPIEGEL ONLINE: Sind Ihre Mittel aber nicht längst bei einem geübten Publikum, einer ganzen Generation von Theaterzuschauern so durchgesetzt, dass sie kaum noch wen verstören?

Papatheodorou: Vermutlich. Deshalb kann man bei jungen Theatermachern und Theaterstudenten wohl auch die Tendenz beobachten, zurückzugehen zum althergebrachten Handwerk, zu traditionellen Funktionsweisen im Theater. Ich habe diese Art von Theater auch zum Teil gern konsumiert, ich fand das nicht immer schrecklich. Es war nur nicht das Theater, das wir produzieren konnten. Wir haben andere Mittel.

SPIEGEL ONLINE: Beim Theatertreffen sind drei Inszenierungen aus der freien Szene zu sehen neben "Testament" noch Christoph Schlingensiefs letzte Arbeit "Via Intolleranza II" und "Verrücktes Blut" von der Berliner Off-Bühne Ballhaus Naunynstraße. Was unterscheidet sie heute noch vom Stadt- und Staatstheater der festen Bühnen?

Papatheodorou: Dass man in der freien Szene ewig Nachwuchskünstler ist, für immer Zögling. Das ist die Verlogenheit der Förderstrukturen. Jeder, der uns öffentliches Geld gibt, tut es für einzelne Projekte oder eine eng begrenzte Zeit und sagt praktisch institutionell: Irgendwann sollt ihr unabhängig werden. Das bedeutet, dass wir irgendwann im Stadttheater landen sollen. Da wollen wir aber gar nicht hin. Wir sind schon seit Jahren etabliert. Wir sind glücklich da, wo wir sind. Als starke Alternative. Und nicht als Futter fürs Staatstheater. Insofern ist die Auswahl von drei Produktionen der freien Szene fürs Theatertreffen schon ein wichtiges Statement.

SPIEGEL ONLINE: Zum SheShePop-Kollektiv gehört heute auch ein Mann, trotzdem gilt Ihre Einladung neben der von Arbeiten der Regisseurinnen Karin Beier und Karin Henkel als Zeichen, dass die Theaterarbeit von Frauen stärker wahrgenommen wird. Zu Recht?

Papatheodorou: Ich würde mir wünschen, das im nächsten Jahr mindestens die Hälfte aller Theatertreffen-Einladungen an Frauen geht. Das wäre mal wirklich interessant. Wo sich die Juroren die 50 Prozent Frauen dann wohl herholen? So eine Quotenentscheidung wäre auch ein guter politischer Akt: Weil man dafür endlich entschieden den Blick öffnen müsste.

Das Interview führte Wolfgang Höbel. Er war Mitglied der Jury des Theatertreffen 2011

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