
S.P.O.N. - Der Kritiker Nach ihm die Sintflut


Philosoph Peter Sloterdijk: Es züngelt und zündelt da was
Foto: Hannibal Hanschke/ picture alliance / dpaPeter Sloterdijk, der Philosoph für AfD-Wähler, der den Steuerstaat für eine großangelegte Enteignungsaktion hält und den Bürger, also den "citoyen", für eine lächerliche Erfindung demokratischer Propaganda, hat ein neues Buch geschrieben, in dem er mal wieder zeigt, was für ein rechtskonservativer Dimpfl er tatsächlich ist.
"Die schrecklichen Kinder der Neuzeit" ist eine Kampfschrift für eine höhere Ordnung, die mit einer Beschwörung der demutstiftenden Kraft der Ursünde beginnt, es ist ein Buch in der Tradition reaktionärer Modernekritik, und das Hohnlachen des Herrenreiters hallt durch jede seiner Seiten, etwa wenn er über das Ancien Regime schreibt: "Die sensibleren Menschen spürten, wie die Zeiten zu Ende gingen, in denen das Glück der Privilegierten darin bestanden hatte, daß trotz des Auf und Ab der Verhältnisse immer alles beim alten blieb."
Das ist ungefähr 8,4 auf der nach oben offenen Lewitscharoff-Skala: Da ist die gleiche elitäre Gespreiztheit, da sind die gleichen ständestaatlichen Sympathien, da ist der gleiche fast schon klischeehafte Antiamerikanismus - das große Versagen, womöglich sogar das Verbrechen Europas und "seiner amerikanischen Filial-Kultur" war es, den neuen, freien Menschen, das Individuum, zuerst zu erfinden und dann von der Leine zu lassen, dieses "Monstrum", wie Sloterdijk sich ausdrückt, das der Welt millionenfachen Tod und unermessliches Unglück gebracht hat.
Ekel vor der Vernunft
Wären nur alle an ihrer Stelle geblieben, so Sloterdijk, ein Freiheitsfeind in deutscher Tradition, hätten sich nur alle an den - im Zweifelsfall: göttlichen - Plan gehalten, wäre nur, das ist das ultimative Klischee jedes ernsthaften Reaktionärs, die verdammte französische Revolution nicht gewesen, die alles durcheinanderbrachte, weil sie dem Menschen den Kopf verdrehte und ihm suggerierte, er habe bestimmte Rechte, die ihm niemand verweigern dürfe - dann wäre die Welt heute nicht so knietief im Desaster.
"Wir sind Vertriebene, fast von Anfang an", schreibt Sloterdijk. "Wir alle haben eine Heimat gegen ein Exil getauscht. Sind wir hier, in der Welt, so weil wir nicht würdig waren, an einem besseren Ort zu bleiben." Die Freiheit also - oder: "Freiheit", wie er es nennt - ist das Problem, sie ist das Exil, in die Freiheit sind wir "Geworfene", wie Sloterdijk mit Heidegger blubbert, schuldig sind "die Modernen", unwürdig und illegitim: Sein Buch ist das klassische Werk eines konservativen Revolutionärs, der immer noch gern in Kunst- oder Theaterkreisen missverstanden wird als ein Mann mit einer irgendwie aufregenden Agenda.
Dabei durchzieht der Ekel vor der vernunftgetriebenen Moderne sein ganzes Werk - und eine Weile war diese antiuniversalistische Negativität modisch, weil man glaubte, darin den Zweifel der Postmoderne zu entdecken: Aber in Zeiten, in denen die Welt sich rasant verändert mit dem Aufstieg der "anderen", und der Westen sich seinen Verbrechen wie seinen Versprechen tatsächlich kritisch und offen stellen muss, wirkt so eine plumpe Breitseite wie die von Sloterdijk nicht nur opportunistisch, wobei sie vorgaukelt, originell zu sein, es züngelt und zündelt da was.
Auf der Ressentiment-Couch
Zu seiner Leit- und Lieblingsfigur hat sich Sloterdijk auf seinem Parcours ausgerechnet Madame de Pompadour gewählt, die Mätresse des "vormals Vielgeliebten", des französischen Königs Ludwig XV, deren Ausspruch "Nach uns die Sintflut" er umdeutet, indem er aus dem herablassenden Herrschaftshedonismus eine geschichtsphilosophische Hellsichtigkeit macht - alles, was nach 1789 kam, da folgt Sloterdijk dem katholischen Revolutionsfeind Joseph de Maistre, von den Napoleonischen Kriegen über den zügellosen Nationalismus bis zum kommunistischen Blutrausch, sei im Wesen der Moderne angelegt, sei die hässliche Fratze der "schrecklichen Kinder der Neuzeit", ohne Ehrfurcht und Respekt vor Vater, König, Genealogie.
Diese "entgrenzte Gewalt, wie sie im Revolutionszeitalter ausbrach, um sich nur episodisch wieder zu beruhigen", sei eben "durchaus nicht das bedauerliche schlimme Mittel zum guten Zweck, wie die unentwegt Progressiven zu behaupten nicht müde werden - sie ist der unverhüllte Ausfluss ihres leitenden Prinzips". Sloterdijk geht in seiner revisionistischen Apologetik sogar so weit, das "Böse" anzurufen, das er in "Freiheit und Gleichheit", in "Eigentum und Fortschritt", in "Menschenrechten, Verfassung und Herrschaft der Vernunft" sieht: Alles ein Werk des "Teufels", so Sloterdijk, den wie de Maistre die Frage umtreibt, wie Gott die französische Revolution zulassen konnte.
Und so kann man es sich als AfD-Wähler oder anderer Angehöriger eines verrohten Bürgertums gemütlich machen auf der sloterdijkschen Ressentiment-Couch: "Neben dem skrupellosen Konquistador des 16. Jahrhunderts", schreibt er, "dem tollkühn-vorsichtigen Unternehmer des 17. und 18. Jahrhunderts, dem manischen Caudillo des 19. Jahrhunderts und dem vernetzten Berufsverbrecher der Gegenwart verkörperte der Berufsrevolutionär in seiner kühlen und gewaltfreundlichen Hermetik die prägnanteste Ausformung des Subjekts neuzeitlicher Aktions-Anthropologie: des Menschen, der bis zum Äußersten entschieden ist, bei der Verwirklichung dessen, was zu tun ist, nichts zu versäumen."
Zu solchen Sätzen kann man natürlich einen guten Sherry trinken und ein wenig hüsteln und halb belustigt, halb begeistert den Kopf schütteln - und das sind ja auch meistens die Reaktionen bis weit ins sogenannte aufgeklärte Milieu hinein, wo etwa so vage zeitgeistig zu verstehende Selbstoptimierungskritik wie in Sloterdijks Erfolgsbuch "Du mußt dein Leben ändern" mit dem für diese Kreise dann auch typischen Gegenwartsgruseln gelesen und abgenickt wird.
Aber Sloterdijk geht es dieses Mal um mehr als eine Analyse des Selbstverwirklichungs-Kapitalismus mit all seinen Folgen - ihm geht es um eine "gültige Kritik der gegenwärtigen Zeit", die über die Kritik hinausreicht und zur Tat wird. Er will der alten Ordnung ihre Legitimität wiedergeben. Er will den "Hiatus" überwinden, den Bruch also, der die Welt immer noch durchzieht, wie in seinem "zivilisationsdynamischen Hauptsatz" beschrieben: "Im Weltprozeß nach dem Hiatus werden ständig mehr Energien freigesetzt als unter Formen überlieferungsfähiger Zivilisierung gebunden werden können."
Ich finde, das ist scheußliche Philosophie, die das Stadium des Schelmenhaften weit hinter sich gelassen hat.