Fotos von Phillip Toledano Gefühle zeigen wie kein anderer

Phillip Toledano porträtiert seinen dementen Vater, erkundet schönheitsoperierte Gesichter, verarbeitet in Bildern den Tod der eigenen Schwester - wie kaum einem anderen Fotografen gelingt es ihm, Emotionen und Ängste einzufangen.

Phillip Toledano war ein glücklicher Mann - bis ihn der Tod seiner Mutter in ein anderes Leben katapultierte. Plötzlich war er es, der für seinen Vater zu sorgen hatte. Und erst jetzt, als die Mutter nicht mehr war, entdeckte Toledano, dass sein Vater dement war.

In jenen Jahren begann der Sohn, den Alten zu fotografieren: dösend mit Schlafbrille, charmant schwadronierend, empört von seinem eigenen Anblick im Spiegel. Mit den geballten Fäusten den Kraftprotz markierend. Irgendwann stellte Toledano die Bilder ins Netz. Die Resonanz war gigantisch. Mehrere Millionen Klicks und Tausende bewegter und sehr persönlicher Rückmeldungen erreichten ihn.

"Days With My Father" (2006-2009) wird jetzt zusammen mit fünf anderen Bildserien des New Yorker Fotografen in den Deichtorhallen ausgestellt. Die Schau verspricht, eines der Highlights des Hamburger Festivals "Triennale der Photographie" zu werden.

Im zentralen Raum der Ausstellung wird Toledanos neueste Arbeit "Maybe" gezeigt. Auch sie ist indirekt aus den Erfahrungen mit seinem Vater hervorgegangen: "Nach seinem Tod war ich labil und traurig," so Toledano zu SPIEGEL ONLINE. "Bestürzt fragte ich mich immer wieder, welche dunklen Wendungen mein eigenes Leben nehmen würde. Irgendwann beschloss ich, mich mit meinen Ängsten zu konfrontieren."

Persönliche Zukunftsvisionen

Toledano versuchte, seine eigene Zukunft ins Bild zu gießen. Er ließ einen DNA-Test machen, um die Krankheiten herauszufinden, die auf ihn zukommen würden. Er sprach mit Psychologen, Wahrsagern, ließ sich hypnotisieren, erkundete die Statistiken von Versicherungen.

Er nahm Schauspielunterricht, gab bei Special-Effect-Experten Masken in Auftrag und ließ sich dann, den diversen Prognosen entsprechend, fotografieren: als narzisstisch überpflegter Society-Beau im Smoking, als dicklicher, melonengesichtiger Everybody, oder als distinguierter Sonderling, der stilvoll vereinsamt mit seinem Schoßhund diniert.

Besonders berührte Toledano die Zukunftsvision, die ihn als Greis eingesunken im Rollstuhl zeigt, von einer Pflegerin in den Park geschoben: Genau so hatte er ein paar Jahre zuvor seinen Vater mit hinausgenommen ins Grüne. An dessen Stelle erlebte der gutaussehende, charmante, von Aufmerksamkeit vermutlich verwöhnte Toledano jetzt, wie es ist, unsichtbar zu werden, weil man alt ist, kränklich oder vom Schlaganfall gezeichnet.

Renaissance-Bildnisse von Menschen nach Schönheits-OPs

Nur eine andere Ego-Fiction traf ihn noch mehr: Sie zeigt ihn ergraut, mit harten Falten um den Mund - Toledano verschwindet hinter der Maske eines gewöhnlichen Büroangestellten. "Ein Angestelltenleben ist normalerweise nichts Schlimmes. Für mich aber würde es bedeuten, dass mein Lebenstraum, Künstler zu werden, gescheitert ist: Mit 50 oder 60 im Büro zu arbeiten, das ist meine größte Angst."

Danach sieht es aber nicht aus. Toledano ist heute 46, und, nachdem er 2002 seinen Job in der Werbebranche kündigte, ein gefragter Magazinfotograf sowie mit seinen freien Projekten künstlerisch auf gutem Weg - auch dann, wenn es mal nicht um seine persönliche Erfahrung geht: Für "Phonesex" hat er Menschen porträtiert, die über ihre Stimme erotische Illusionen verkaufen. Und "A New Kind of Beauty" zeigt im Stil von Renaissance-Bildnissen Männer und Frauen, die sich durch Schönheits-OPs als ideales Bild ihrer selbst ausformen ließen.

Zuletzt aber wandte sich Toledano wieder dem eigenen Leben zu. Im Nachlass seiner Eltern war er auf Erinnerungen an seine Schwester gestoßen, die mit neun Jahren bei einem Brand ums Leben gekommen war. Ein Sparschwein, ein Kleidchen, eine blonde Locke: Diese Bruchstücke eines Lebens hat er fotografiert und dazu Bilder inszeniert, die seiner damaligen emotionalen Fluchtwelt entsprechen - Toledano wollte damals ein Astronaut sein im menschenleeren Weltraum.

Gefühle über Bilder freisetzen

Ein Foto von damals zeigt Toledano als fröhlichen Sechsjährigen am Strand - zwei Wochen nach dem Tod der Schwester. Es belegt, wie seine Eltern damals schweigend gegen den Tod der Schwester anzuleben versuchten. Man könnte diese Stille als Ursprung von Toledanos Ansatz verstehen, Gefühle über Bilder freizusetzen und zum Sprechen zu bringen.

Ein anderes Projekt seiner fotografischen Archäologie der Emotionen ist in Hamburg leider nicht dabei: Nach der Geburt seiner Tochter reagierte Toledano erst einmal befremdet auf das kleine Bündel aus verquollenen Augen, roter Haut und Speckfalten, das laut und fordernd war, aber erst einmal nicht viel mehr konnte, als in die Brustwarzen seiner Frau zu beißen.

Die Fotos dieser Serie beschreiben das, aber auch, wie durch die anfänglichen Ambivalenzen hindurch seine Liebe zu diesem Wesen wuchs und sich tief in ihm einnistete: Am Ende des Buches "The Reluctant Father", in dem er die Babyfotos der anderen Art publiziert hat, entschuldigt sich Toledano sogar für seine anfängliche Befremdung mit zärtlichen Worten - aber nicht, ohne die heute Fünfjährige liebevoll augenzwinkernd noch mit einen Wunsch für ihre Zukunft zu necken: "Bitte trage nie Jogginghosen, auf die am Po 'juicy' aufgestickt ist."

The Day Will Come When Man Falls. 19. Juni bis 6. September in den Deichtorhallen, Hamburg

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Foto: seen.by

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