Picknick-Guide Mal wieder richtig auf die Decke gehen
Als sich der Adel im England des 19. Jahrhunderts die Vorliebe Königin Victorias zu eigen machte, im Freien zu speisen, war die Picknick-Welt noch in Ordnung: Heerscharen von Dienern schleppten die Dinnerutensilien an ein malerisches Fleckchen, und wenn die Edelzecher endlich eintrafen, dampfte Tee und Gebäck, und es lockten Pasteten, frisches Brot und kühler Schaumwein zum Mahle.
Ein winzig kleiner Rest von dem Anstand, mit dem damals draußen gegessen wurde, haben sich einzig die Franzosen bewahrt - schön zu beobachten entlang einer jeden Route Nationale, wo sie sich in Hundertschaften mit ihrem Alugestühl so nah wie möglich am Straßenrand zum "Aufpicken einiger Kleinigkeiten" (piquer nique) niederlassen .
Wen es an den vier bis fünfeinhalb Abenden, an denen es im deutschen Sommer über 18 Grad warm ist und an denen dennoch kein Gewitter droht, auf die grüne Wiese zieht, macht mit einem Spontankauf nichts falsch: frisches Baguette, eine nicht zu harte mediterrane Salami am Stück, zwei Käsevarianten (Brie/Camembert, dazu ein harter, würziger Käse wie Gruyère oder Manchego) und eine eiskalte Flasche Champagner oder ein Wein in den Einkaufswagen, von daheim noch zwei Holzbrettchen, ein Messer, zwei Küchentücher, Gläser, Servietten, eine Mülltüte und eine Decke geholt - in weniger als einer halben Stunde kann daraus das romantischste Picknick des Lebens werden.
Genauso wenig falsch ist eine gute Vorbereitung: Kühltasche mit Getränken (also auch Bier und Wasser) und empfindlichem Essen (Butter, Schinken, Grillwürstchen, Kartoffelsalat) packen, zusammen mit dem Picknickkorb, eventuell einem tragbaren Grill samt Zubehör, der Profidecke (einseitig gummibeschichtet) oder gleich der Klapptisch-Garnitur ins Auto wuchten und möglichst nah an den Lieblingsplatz ranfahren.
Am Abend trifft man an solchen Geheimtipps meistens ein paar Dutzend andere Picknicker - wenn nicht gar mehr als 22.233: Die Gemeinde Baesweiler nahe Aachen will am 19. September den Guiness-Weltrekordhalter im Massenpicknicken (Lissabon) vom Thron stoßen.
Egal, fingertaugliche Leckereien schmecken überall: zum Beispiel kleine Quiches, Speckdatteln und in Teighülle Eingebackenes wie Schinken im Brotmantel, Zitronenhuhn im Salzteig, Schafskäse in Blätterteigstangen und Bratwürste im Schlafrock - unser heutiges Rezept.
Dafür haben wir zwei fertige Industrie-Teige gegen einen selbst angesetzten Weizen-Sauerteig antreten lassen. Bei den Bratwürsten eignet sich alles, was nicht gebrüht ist (wird hier zu gummimäßig). Unser Test lief mit drei Sorten roher Wurst: fränkische Bratwürste im Bändeldarm (verkauft online der Rittersbacher Metzger Böbel ), Salsiccia mit Fenchel und Lamm-Merguez.
Als Fertigteig kamen die Produkte "Frischer Blech-Pizzateig" und "Frischer Flammkuchenteig" des österreichischen Herstellers "Tante Fanny" zum Einsatz, die gegen den selbst gekneteten Bio-Sauerteig eine unerwartet gute Figur machten. Beide Ösi-Schlafröcke waren schneller ausgebacken (15-20 Minuten) als der Brotteig (60 Min.); das Endprodukt sah weitaus professioneller aus - wie aus der Bäckerei. Doch obwohl diese Fertigteige mit vergleichsweise wenig Lebensmittechemie (hier: Diphosphate, Natriumcarbonate, Lecithin, Guarkernmehl) auskommen, liegt der Eigenbau am Ende um Längen vorn: außen knusprig, innen herrlich fluffig, und im Gegensatz zu den Industrieknechten auch am Folgetag noch ein adliger Picknickbegleiter.
Damit lässt sich sogar eine über die Picknickdecke marschierende Schafsherde ertragen.
Rezept für Bratwürste im Schlafrock (Snacks für 4 Personen)
Vorbereitungszeit: 60 Minuten
Zubereitungszeit: 60 Minuten
Schwierigkeitsgrad: einfach
Zutaten
Bratwürste im Schlafrock
8 Stück Bratwürste, roh, grob. Z.B. je 2 deutsche Bratwürste, Salsiccia und Lamm-Merguez
750 g Weizenmehl, Mahlgrad 1050 (aus dem Bio-Laden)
15 g Bio-Backhefe, trocken (oder 1 Würfel frische Hefe)
120 g Roggensauerteig (Feuchtware aus dem Bioladen)
2 Tl Muscovado-Zucker
450 ml lauwarmes Wasser
1 El Meersalz, fein
Zubereitung
Bratwürste im Schlafrock
Bratwürste kross ausbraten oder grillen, auf Zimmertemperatur abkühlen lassen. Es können auch gebratene Würste vom Vortag benutzt werden.
Für den Teig zunächst die Hälfte des Mehls in große Rührschüssel sieben, Mulde in die Mitte drücken, 200 ml Wasser hinein geben, darin Zucker, Salz und den Sauerteig auflösen. Von innen nach außen das Mehl einrühren. Diesen Vorteig kurz kneten, 20 Min. an warmem Ort mit feuchtem Küchentuch abgedeckt gehen lassen.
Rest des Mehls und das Wasser einkneten, Teig in 8 Teile teilen. Als Fladen auf je ca. 16x10 cm platt drücken (oder mit Nudelholz plätten). Längs je 1 Bratwurst auflegen, Teig an den Wurstenden überschlagen, Würste straff einwickeln, Teignaht mit feuchten Händen "verkleben". Diese Rohlinge mit feuchtem Küchentuch abgedeckt 20 Min. an warmem Ort gehen lassen. Inzwischen Ofen auf 230 Grad vorheizen.
Teigrollen auf bemehltes Backpapier auf Grillrost setzen, leicht mit gesiebtem Mehl bestäuben. Im Backofen (falls kein Feucht-Back-Programm vorhanden, unbedingt eine Schale heißes Wasser unten in den Ofen stellen!) auf mittlerer Schiene 60 Min. backen (nach 10 Min. auf 180 Grad zurückschalten).
Anrichten
Die Bratwürste im Schlafrock schmecken kalt wie warm. Wenn sie zu einem Picknick mitgebracht werden sollen, bleiben sie gut eineinhalb Stunden warm, wenn man sie direkt aus dem Backofen in Küchentüchern und Zeitungspapier eingeschlagen transportiert.
Küchen-Klang
Hitziger Afrobeat zum Sommerpicknick bietet der Sampler "Africa - The Soul of A Continent" (Universal). Mit Künstlern wie Fela Kuti, Amadou & Mariam, Manu Dibango, Salif Keita und Hugh Masekela ist er populär, aber musikalisch klug kompiliert.
Getränketipp
Ein kaltes Bier passt immer zur Bratwurst, aber wenn in der Kühltasche Platz ist und im Geldbeutel noch mehr, sollten Sie eine eiskalte Flasche Zweigelt rosé mitnehmen, zum Beispiel den 2008er Ewald Gruber Blauer Zweigelt Rosé. Dieser Rosawein vom blauen Zweigelt erfrischt mit peppigen Aromen von Kirschen und Wassermelone.