Plagiatsaffäre um Beyoncé Der gestohlene Schulterentblößer

Pop lebt von Zitaten. Das hat die Sängerin Beyoncé Knowles nun etwas zu wörtlich genommen: In ihrem neuen Video kopiert sie die Choreografie einer belgischen Künstlerin. Die sieht ihr Urheberrecht verletzt - doch wie kann man etwas so Immaterielles wie Tanz schützen?
Von Lisa Goldmann
Plagiatsaffäre um Beyoncé: Der gestohlene Schulterentblößer

Plagiatsaffäre um Beyoncé: Der gestohlene Schulterentblößer

Foto: Matt Sayles/ AP

Zwei Videos, zwei Frauen, eine Bewegung: Sie ziehen am Kragen ihres Shirts und legen Schulter und BH-Träger frei. Dann fahren sie sich durch die Haare. Im Hintergrund lassen sich ein langer, karger Gang und mehrere Tänzerinnen erkennen.

Bei den beiden Frauen handelt es sich um Beyoncé Knowles und Anne Teresa De Keersmaeker. Die eine ist eine weltberühmte Popsängerin aus den USA, die andere eine Avantgarde-Choreografin aus Belgien. Die Choreografie, in der De Keersmaeker ihre Schulter freilegt und ihre Haare zurückstreicht, ist fast 30 Jahre alt. Das Video, in dem Beyoncé dasselbe tut, ist gerade erst veröffentlicht worden.

Beyoncé habe ihre Bewegungsabläufe geklaut, sagt die belgische Künstlerin jetzt. Einige der Szenen aus Beyoncés Video "Countdown" seien eindeutig aus ihren Choreografien "Rosas Danst Rosas" (1983) und "Achterland" (1990) entnommen. De Keersmaeker, die mit ihrer Kompanie Rosas erst letzte Woche im Berliner Theater Hebbel am Ufer zu sehen war und dort auch die betreffende Choreografie aufgeführt hat, gab ein Statement  heraus: "Ich bin froh, dass 'Rosas Danst Rosas' jetzt vielleicht ein Massenpublikum erreichen kann." Andererseits "gibt es für so etwas Handlungsrichtlinien und Konsequenzen, und ich kann mir nicht vorstellen, dass [Beyoncé] und ihr Team das nicht wissen".

Die Ähnlichkeiten zwischen Beyoncés "Countdown" und den Aufnahmen von De Keersmaekers Choreografie sind auf den ersten Blick nicht allzu offensichtlich. Die Popsängerin rauscht durch eine ganze Reihe von Kostümen und Kulissen, mal erinnert ihr Clip an die sechziger Jahre, mal an die Siebziger. Nur einzelne Elemente des dreieinhalb Minuten langen Videos ähneln den viel längeren Aufnahmen von De Keersmaeker ("Achterland" dauert ca. 70 Minuten), die ihre Tänze nur mit klassischer Musik oder einem einfachen Beat unterlegt hat. Während De Keersmaekers Gesten als emanzipatorische Aussage gewertet werden, setzt Beyoncé die gleichen Bewegungen lasziv ein. Wie identisch diese Bewegungen aber in einzelnen Momenten dennoch sind, ist in unserem Video zu sehen (siehe oben).

Beyoncé, die Kopierkönigin

Ein amerikanischer Superstar übernimmt 30 Jahre alte Tanzschritte von einer belgischen Choreografin - dieser Fall hat eine Debatte um das Urheberrecht im Tanz entfacht: Wo hört Reverenz auf, wo fängt die Urheberrechtsverletzung an?

Madeline Ritter, Juristin und Leiterin des Tanzfonds Erbe von der Kulturstiftung des Bundes, schlägt sich auf De Keermaekers Seite: "Die Abfolge der Bewegungen stellt ein eigenständiges Kunstwerk dar", sagte Ritter zu SPIEGEL ONLINE, "und diese Abfolge hat Beyoncé eindeutig von De Keermaeker übernommen." Nicht nur Bewegungsabläufe, auch die Kostüme und das Setting in einer Fabrik seien sehr ähnlich, sogar Kameraposition- und Perspektive. Es handele sich also genau genommen um ein doppeltes Plagiat, einmal der Tänzerin De Keersmaeker und auch des Filmemachers Thierry De Mey, der die Choreografie "Rosa Danst Rosa" 1997 auf Film festhielt.

Die Tanzkritikerin Wiebke Hüster sieht das anders. Sie kann in Beyoncés Video trotz eindeutiger Parallelen noch kein Plagiat erkennen, wie sie in ihrem Blog für die "FAZ"  darlegt. Die Gesten, die Beyoncé übernommen hat, das Über-den-Boden-Rollen, Schulterentblößen und Haare-aus-dem-Gesicht-Streichen seien im zeitgenössischen Tanz häufig verwendete Bewegungen, auf die niemand ein Urheberrecht geltend machen könne, argumentiert Hüster.

Beyoncé hat inzwischen eingeräumt, sich von der belgischen Choreografin "inspiriert" haben zu lassen. Dies sei aber nur einer der verschiedenen Einflüsse auf ihren Clip gewesen, erklärte sie. Außerdem sei ihr Video bereits von mehr als zwei Millionen Menschen angesehen worden und deshalb letztlich auch Werbung für De Keersmaeker.

Diese Art der Inspiration scheint einen festen Bestandteil in Beyoncés Werk zu haben. Nach ihrem Auftritt bei den Billboard Music Awards im Mai wurde ihr vorgeworfen, sich bei der italienischen Sängerin Lorella Cuccarini bedient zu haben. Auch hier räumte die R&B-Sängerin im Nachhinein ein, Cuccarinis Auftritt gesehen zu haben, er habe sie "so sehr inspiriert".

Urheberrechte ungeklärt

Pop lebt von Zitaten - sei es, dass er sich selbst zitiert oder sich beim kulturellen Underground oder der Avantgarde bedient. Wie kann in einem solchen Mahlstrom der Zitate und Referenzen das Urheberrecht geschützt werden?

"Wir fordern nicht, dass keine Tanzschritte übernommen werden, wir fordern das, was man im Amerikanischen fair use nennt", sagt Madeline Ritter. Nicht jeder könne alles immer neu erfinden, gerade der Tanz sei eine lebendige Form, die vom Weiterentwickeln des Bekannten lebe. Aber der Ursprung müsse anerkannt werden. "De Keersmaeker hätte unbedingt vorher informiert werden müssen, und man hätte sich gemeinsam auf einen fairen Umgang mit dem Material einigen können."

Auch für Choreografien gilt in Deutschland das Urheberrecht. Doch anders als die bildende Kunst, die Literatur und der Film ist Tanz eine immaterielle Kunstform, die sich ständig weiterentwickelt. Und während in der Musik inzwischen klar festgelegt ist, ab wie vielen identischen Tönen in Folge von einem Plagiat zu sprechen ist, gibt es eine solch klare Definition beim Tanz noch nicht.

Durch die Videoportale im Internet ist die Frage nach dem Urheberrecht aber auch hier in den Mittelpunkt gerückt. Denn vor allem junge Künstler stellen ihre Videos online, um sich einem breiteren Publikum präsentieren zu können - setzen sich damit aber der Gefahr des Ideenraubs aus. Es gibt bereits Versuche, die Werke systematisch zu digitalisieren und mit genauen Informationen über den Künstler, die Tänzer und die Erstaufführung zu versehen. Auch der Tanzfonds Erbe  möchte die Choreografien der Künstler, die er finanziell unterstützt, digitalisieren. Nur wenige bekannte deutsche Künstlerinnen wie Pina Bausch, Reinhild Hoffmann oder Susanne Linke haben ihr Werk notariell schützen lassen. In verschiedenen Formen wie Videos, Schrittbeschreibungen und Dokumentation der Uraufführung werden die Tänze archiviert.

"Das Urheberrecht und die Frage, wer von wem kopiert, werden in der Szene durchaus diskutiert", sagt Ritter. Klagen gebe es aber sehr selten, auch, weil sich in diesem Bereich einfach kaum Geld verdienen lässt. Abgesehen vom Musical lässt sich Tanztheater kaum kommerzialisieren.

Dass sich ausgerechnet eine erfolgreiche Sängerin wie Beyoncé, die Millionen mit ihren Songs und Videos verdient, kostenlos bei De Keersmaeker bedient, ist in diesem Zusammenhang besonders bitter. Denn die Rechnung, die die belgische Choreografin für die Verwendung ihres Werks vielleicht gestellt hätte, wäre sie vorher informiert worden, wäre für Beyoncé sicherlich erschwinglich gewesen.

Mit Material von AFP
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