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Pop-up-Galerie in Berlin: Street-Art auf vier Wänden

Foto: Dawin Meckel/ OSTKREUZ

Street-Art in Berliner Abrisshaus Das ist Kunst und kann bald weg

Das Berliner Volksbank-Haus soll abgerissen werden - vorher durften sich noch Street-Artists austoben. 80 Räume voller Graffiti und Installationen, hier sind die Bilder.
Von Olivia Samnick

Wo früher Kredite und Kontoauszüge das Tagesgeschäft beherrschten, haben sich jetzt die Street-Artists eingerichtet. "The Haus" heißt das zum Abriss bestimmte Bankgebäude unweit der Kurfürstenstraße in Berlin. Von April bis Juni ist es eine Schaufläche für Subkultur - und zwar unentgeltlich.

Der Besitzer, das Immobilienunternehmen Pandion AG, plant auf der Fläche einen Luxuswohnkomplex und hat das ehemalige Volksbank-Gebäude zur Zwischennutzung freigegeben. Die 80 Räume sind jetzt eine temporäre Galerie, gefüllt mit Graffitis, Tape Art und Installationen auf Decken, Böden, Heizkörpern und Fenstern.

Wer "The Haus" betritt, muss nichts zahlen, lediglich sein Handy eintüten lassen. Fotografieren ist nicht erlaubt. Es geht darum, "den Moment bewusst wahrzunehmen und nicht gleich social media-mäßig alles zu teilen", sagt Kimo von Rekowski, 32. Er organisiert zusammen mit seinen Kumpels Jörn Reiners, 41, und Marco Bollenbach, 41, als Street-Art-Gruppe "Dixons" freie Kunstprojekte und betreibt außerdem eine Werbeagentur. "The Haus" ist ihre bisher größte Idee.

Kimo von Rekowski und Joern Reiners von den "Dixons"

Kimo von Rekowski und Joern Reiners von den "Dixons"

Foto: Dawin Meckel/ OSTKREUZ

Im Haus konnten sich in den letzten Monaten spontan 165 Solokünstler und Crews "verendlichen", insgesamt sind fast 20 Nationen vertreten. Der australische Künstler "Crisp" kam etwa abends unangemeldet, um zu sprayen. Das tat er über Nacht, bevor am nächsten Morgen sein Flieger nach Melbourne ging. Andere Künstler ließen sich für ihre Raumgestaltung mehr Zeit. Niemand muss hastig sprayen, um nicht erwischt zu werden. "Alle Künstler konnten rund um die Uhr rein", so von Rekowski.

Die große Vertrauensbasis des Gemeinschaftsprojekts brachte die urbane Szene näher zusammen, erzählt von Rekowski . Die Begeisterung dafür wirkte ansteckend: der Kultursenat übernahm die Schirmherrschaft und ein Hotel bot kostenlose Unterkünfte für die Künstler an. Das Arbeitsmaterial stellten die "Dixons" aus eigener Tasche.

Vorgaben für die Künstler gab es dabei nicht. Der Berliner Dr. Molrok schweißte und bog 20 Tage lang seine Skulptur zusammen: Einen Dönerspießmotor, der surrend eine buntlackierte Metallskulptur dreht, die an ein 3D-gewordenes Graffiti erinnert. Im zweiten Stock ist es nicht der Klang, sondern die Optik, die den Besucher neugierig tiefer ins Gebäude zieht: Den Flur hat Felix Rodewaldt mit kilometerlangem Tape verkleidet. Das Ergebnis ist ein intensives, schwarz-weiß gezacktes Muster, das an der eigenen Wahrnehmung zweifeln lässt.

Dass man sich hier in einem alten Bankgebäude befindet, vergisst man vor allem, wenn man dem Flur entlang bis Raum 201 folgt. In Raum 201 bis 204 hat die Crew "Drink and Draw" einen gespenstisch-märchenhaften Wald geschaffen. Der Besucher windet sich durch einen dunklen Fransenvorhang, durchschreitet eine schmale Öffnung in einen dunklen Raum, an dessen Wänden Fantasiegestalten, Orks, rote Fratzen und grüne Blätter in Neonfarben leuchten. Dazwischen ragen Äste aus dem Boden. Die jungen Game Designer seien in der Street-Art-Szene noch unbekannt. "Wir haben niemanden danach ausgewählt wie viele Follower er hat oder wo er herkommt", so von Rekowski.

Raum 201-204, gestaltet von "Drink and Draw".

Raum 201-204, gestaltet von "Drink and Draw".

Foto: Dawin Meckel/ OSTKREUZ

Nicht immer funktionierte die Zusammenarbeit mit den Künstlern reibungslos. Im dritten Stock hat "El Bocho" nicht etwa eines seiner bekannten Frauen-Bilder mittels seiner Plakatiertechnik, Paste-Up genannt, angebracht. Stattdessen riss er die Wand auf, hinterließ einen Entschuldigungsbrief und stahl die Neonleuchten der Decken. Er wolle sich nicht auf seine "Mädels" reduzieren lassen - und die Lampen habe er nötig.

Michael Haas aka Sonice Development verziert Hausfassaden mit selbstgebauten Apparaten. Im fünften Stock hat er eine 2,5 x 4 Meter große Leinwand aus Polyamid aufgespannt. Über 380 Stunden dauerte die Brennzeit des programmierten Lasers. "Burning Lights" zeigt ein Brandlochmotiv, das durch die rückseitige Beleuchtung durch LED-Lichter überhaupt erst sichtbar wird: darin kann man eine Rauchwolke oder eine Welle oder das Ultraschallbild eines Kindes sehen. "Die Assoziationen sind nicht beherrschbar", sagt Haas. Wann sich die Dioden erschöpfen, wie sich die Leinwand verziehen würde - das wusste er nicht. Aber seine Arbeitsweise soll für den Betrachter nachvollziehbar sein. Deshalb steht noch der Laser im Raum, ein blauer Lichtstrahl markiert die Stelle der letzten Brennposition.

Michael Haas aka Sonice Development hinter seinem Werk für "The Haus".

Michael Haas aka Sonice Development hinter seinem Werk für "The Haus".

Foto: Dawin Meckel/ OSTKREUZ

Einige Künstler geben auf Wunsch Führungen für circa zehn Euro, um den Besuchern die entstandene Kunst nahezubringen, sie lesbar zu machen - wenn auch nur auf Zeit. Übrig bleiben wird von diesem Projekt nur die Erinnerung. "Street-Art auf der Straße ist vergänglich. Ein Bild wird gecrossed, ein anderes ist komplett weg. Hier ist das halt genauso", so von Rekowski.

Ganz verloren ist ihre Kunst dennoch nicht: Am Ausgang gibt es das "Denkmal" des Projekts zu kaufen. Ein fotografisches Sammelwerk der handgemachten Fantasiewelten. Letztlich ist "The Haus" damit zwar eine Ausstellung mit zugehörigem Katalog wie jede andere, aber weniger aufpoliert, weniger glatt, weniger beherrscht. Und Profit? Der ist Randaspekt.


"The Haus", Nürnberger Straße 68, Berlin-Charlottenburg, von 1. April bis Juni 2017.

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