Sibylle Berg

Populisten und Probleme Es könnte um die Wahrheit gehen

Armut ist noch immer die vorherrschende Lebensform. Eine Herausforderung, der sich keiner der aktuellen Angstmacher stellt. Die wollen nur zurück zu Zeiten, die aus guten Gründen überholt sind.
Armut im Gazastreifen

Armut im Gazastreifen

Foto: Ali Ali/ dpa

Ich habe keine Ahnung, ob der Fortschritt auf der Welt, wie von Wissenschaftlern behauptet, tatsächlich wellenförmig stattfindet. Vor, zurück, Anlauf. Steve Bannon, der Verstand Trumps, konstruiert einen Achtzigerjahre-Rhythmus von Zusammenbruch und Wiederauferstehung. Nur dass seine Ideen, wie die vieler Geisteskranker, mit der Wiederauferstehung eine Rückkehr in aus guten Gründen überholte Zeiten meint.

Menschen, die in den Dreißigerjahren im Londoner Osten lebten, könnten noch davon berichten, wie es war, in dunklen, feuchten Löchern zu wohnen, tierähnliche Schreie aus den Armenhäusern zu hören, von ganz unten, vom Ende des Menschseins. Menschen aus dem Osten Deutschlands wissen noch um die Winter ohne heißes Wasser, die Armut der Alten, Kohleöfen ohne Kohle, Suff und Trostlosigkeit.

Armut, immer noch die vorherrschende Lebensform auf der Welt, in vielen Schattierungen, vom unerträglichen Dasein in Slums in Bangladesch und Bergwerken in Russland, über Minen in Afrika bis hin zur Armut einer alleinerziehenden, schlecht verdienenden Frau in Polen, in Spanien, Rumänien, Mazedonien. Und in Deutschland .

Vermutlich ist die Anstrengung, die ein Leben ohne Absicherung mit sich bringt, weniger demütigend, wenn es im nahen Umfeld wenig Reiche gibt oder man wie früher weniger vom Leben der Wohlhabenden und den teils obszönen Geldverschwendungen der Oligarchen wusste.

Warum denkt sich keiner eine neue Gesellschaftsordnung aus?

Wie soll ein Mensch, der immer gerade so durchkommt, das verstehen? Die Milliarden für eine Philharmonie, Milliarden für unfertige Flughäfen, Milliarden für Fußballer gehen ja meistens klar. Aber man sieht sie selten, die verarmten Alten, die Kranken, die alleinerziehenden geschlauchten Frauen. Bei Wutdemonstrationen sind es vornehmlich sauber gekleidete Männer, die, wie es scheint, mehr Freude an der Kultivierung ihrer Wut, egal auf was, haben als ein wirkliches Anliegen.

Dabei könnte es doch um etwas gehen. Nicht um die nächste Partei, die nichts weiter fertigbringt, als den Deckel des im Zaum gehaltenen Hasses, den jeder in sich trägt, zu lüpfen. Nicht darum, Parolen von gut verdienenden, reichen Männern nachzuschreien. Es könnte um die Wahrheit gehen. Und die ist: Der berechtigte Wunsch nach Jobs, die einem ein würdiges Leben ermöglichen, wird nicht helfen in einer Zeit, in der immer weniger menschliche Arbeitskraft benötigt wird.

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Warum packt keiner der populistischen, nationalistischen, faschistischen Vordenker die Möglichkeiten, die entstehende Zweiklassengesellschaft zu stoppen, in griffige Formeln?

Warum denkt sich keiner eine neue Gesellschaftsordnung aus, anstatt alte, rigide, fast faschistische, menschenverachtende Ideen wieder aufzuwärmen? Warum erklären sie nicht, wie ein bedingungsloses Grundeinkommen funktionieren könnte, ein Staat, der wie ein fortschrittlich reguliertes Unternehmen aufgebaut ist? Visionen zu popularisieren, die die Vernetzung der Welt, das exponentielle Wachstum beinhalten, verlangen nach einer Brillanz des Verstandes, über den leider keiner der populären Angstmacher verfügt.

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