
Post Mortem: Stille Sachlichkeit
Fotografien über den Tod "Ich wollte eine Grenze überschreiten"
Bilder, Filme und Bücher, die sich mit dem Tod auseinandersetzen, rühren an unseren größten Ängsten. Die Konfrontation mit dem Kunstwerk spiegelt für den Betrachter das eigene Ende. Am tiefgreifendsten wohl bei Kunst, die keinen bemühten Deutungsrahmen und keine originellen Erzählungen mitliefert.
So tastet sich der Fotograf Patrik Budenz mit stiller Sachlichkeit an die Vergänglichkeit heran. Für seine Reihe Post Mortem besuchte er Bestatter, machte Bilder in Krematorien und in Organsammlungen. Ihm gelangen Fotos von Verstorbenen, die eine Grenze überschreiten, sich aber nicht am Tabubruch weiden: Budenz zeigt auf einem seiner Werke zum Beispiel Schrauben, künstliche Hüftgelenke, übriggeblieben von unzähligen Feuerbestattungen, zusammengeworfen wie ein Haufen schartiger Knochen.
Dann auch noch der Blick in den Ofen selbst: Erst auf den zweiten Blick erkennt der Betrachter zwischen dem lodernden Orange-Rot die dunklen Augenhöhlen in einem menschlichen Schädel und die halb von Flammen zerfressenen Rippen eines Brustkorbs.
Am weitesten vor wagt sich Budenz aber mit dem Porträt einer jungen Verstorbenen. Die Bildschärfe liegt bei seinem Blick von der Seite auf ihrem Gesicht; neben ihrem Schultergelenk aber tut sich ihr offener Brustkorb als rosa Loch auf. Budenz' einzige Zurückhaltung liegt bei diesem Bild darin, dessen Konturen verschwimmen zu lassen.
Ein Frauenkopf, filigran wie der eines Vögelchens
"Ich hatte vorher eine Reihe über Rechtsmediziner fotografiert", sagt Budenz. "Aber da ging ich noch über die Perspektive anderer Menschen, deshalb blieb noch eine Grenze bei mir selbst. Diese wollte ich überschreiten."
In der Reihe stand nur noch die Kamera zwischen ihm und dem Verstorbenen. Budenz' Bilder rücken nah an die Toten heran. Er zeigt, wie einem Verstorbenen vor der letzten Aufbahrung noch die Fingernägel lackiert werden, wenn die Haut des Toten durch den Wasserverlust sich längst grünlich verfärbt hat. Wie zwei Hände in Gummihandschuhen geradezu zärtlich ansetzen, um einen Frauenkopf, filigran wie der eines Vögelchens, zu heben.
Der Fotograf weist mit seinen Bildern so auch auf eine interessante Leerstelle hin. "Es herrscht eine unglaubliche Unwissenheit darüber, was passiert nach dem Tod", sagt Budenz. Früher wurden die Verstorbenen von den Angehörigen gewaschen, im Hause aufgebahrt zur Abschiednahme. Heute, so erzählen Bestatter, gibt es zwar immer mehr psychologische Angebote, die Angehörigen langfristig bei der Trauerverarbeitung helfen. Aber an dem, was mit dem Verstorbenen passiert, nehmen immer weniger Menschen teil. Der Verstorbene wird ausgelagert, die offene Aufbahrung gemieden.
Budenz rückt mit seinen Bildern so auch eine Zeitspanne zurück ins Bewusstsein, die bei der Trauerarbeit häufig ausgespart wird. Alle paar Monate bekommt er eine E-Mail von einem Unbekannten, der seine Fotos im Internet entdeckt hat.
Eine von ihnen hat er zum Vorwort seines Bildbands gemacht: "Als mein Großvater starb, wollte ich ihn nicht sehen. Ich wollte ihn so in Erinnerung behalten, wie er aussah, als er noch gesund war", schreibt eine Chinesin, die durch seine Bilder den Verlust eines geliebten Menschen besser verarbeiten konnte: "Drei Jahre lang konnte ich nicht alleine schlafen, nachdem er gestorben war. Jetzt kann ich alleine schlafen."

Patrik Budenz:
Post Mortem
peperoni books; 64 Seiten; 36,00 Euro.
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