
"Peer Gynt" in Düsseldorf: Fern der bürgerlichen Moral
"Peer Gynt" in Düsseldorf Heilmittel Ibsen
Ausgerechnet Peer Gynt. Ausgerechnet dieses Stück über einen Mann auf der Suche nach sich selbst, ausgerechnet der "Faust des Nordens". Schon im Sommer hatte Staffan Valdemar Holm mit den Vorbereitungen für seine Inszenierung begonnen, als Intendant des Düsseldorfer Schauspielhauses. Das Bühnenbild war konzipiert. Doch dann kam die Müdigkeit, und der Antrieb erlosch. Sanierungsarbeiten am Theater waren vielleicht ein Grund, Kürzungen der Gelder, schlechte Kritiken und die schwache Auslastung des Hauses, dazu privater Schmerz. Die Diagnose für Holm lautete Burnout.
Es glich einem Paukenschlag, als er im November nach nur 16 Monaten sein Amt niederlegte und kurz darauf zur Behandlung nach Lappland verschwand. Sechs Wochen Klinik, danach eine Auszeit an der Ostsee. Dort kamen die Kräfte zurück, sagt Holm heute, inmitten der Natur, weit weg vom Kulturbetrieb. Bald traute er sich die Regiearbeit am Peer Gynt wieder zu. Doch zunächst fragte er die Schauspieler: Wollt ihr das? "Es war möglich, nein zu sagen", so Holm. Sie wollten.
Am Freitag steht die Voraufführung auf dem Programm, am Samstag die Premiere. "Ich inszeniere keinen Peer Gynt über das Burnout-Syndrom", stellt Holm klar, "sondern einen über Vitalität." Auch Henrik Ibsens Held, rastlos und egoistisch, ein nichtsnutziger Lügenbold fern der bürgerlichen Moral, kommt an einen Punkt, an dem es nicht mehr weitergeht. Er muss einen Stopp einlegen und innehalten. "Aber seine Energie ist nicht totzuschlagen, es ist ein Grundstoff der Figur: dieser Überschuss an Vitalität."
Öde Landschaften faszinieren Holm
Vielleicht war es ja Peer Gynt, der Holm so schnell hat zurückkehren lassen. Nicht als Intendant zwar - dieses Kapitel sei für ihn beendet - aber als Regisseur. Lappland habe ihn sehr an das Stück erinnert, diese "Landschaft ohne Aussicht". Und dann war es überhaupt mal Zeit für Ibsen.
Noch nie hatte der 54-jährige Schwede den norwegischen Nationaldichter inszeniert. Dabei seien ihm viele von dessen Themen vertraut: Die enge Beziehung zur Natur, die für die Menschen im Norden immer etwas Bedrohliches, etwas Böses habe. Öde Landschaften erschrecken Holm, aber sie faszinieren ihn auch. Dazu das Motiv des freiwilligen Exils, in dem Ibsen 27 Jahre lebte, Holm bis heute 13 Jahre. Und nicht zuletzt die Frage nach dem richtigen Leben.
"Sei du selbst!" - auf diese Formel wird Peer Gynt oft verknappt. Holm interessierte, ob es heute möglich ist, nach solch einem Konzept zu leben. "Multiple Persönlichkeiten sind sehr gefragt", glaubt er. Auch in Ibsens Stück seien sie zu beobachten. Peer Gynt ist stets ein anderer: seiner Mutter gegenüber, als erfolgreicher Sklavenhändler, im Irrenhaus in Kairo. Sein Leben als ein Ganzes zu begreifen, sei kaum möglich, so Holm.
In den Worten Solveigs, der Geliebten Peer Gynts, die bis zum Ende auf ihn wartet, sieht er daher etwas Wahres: "'Du warst immer du selbst - in meinen Augen', sagt sie. Bei Ibsen kann man nicht ohne die anderen man selbst sein."
So hat es Holm auch im Leben abseits der Bühne erfahren. Manche Fragen ließen sich nur mit Hilfe der Mitmenschen beantworten, von ihren Erfahrungen habe er zuletzt profitiert. "Mir ist klargeworden, woher ich komme", sagt Holm. "Aber das heißt nicht, dass ich heute weiß, wer ich bin." Wenn das so wäre, sagt der Regisseur und lacht, würde er nicht mehr am Theater arbeiten. Dort sei es wichtig, immerzu Fragen zu stellen.
Von Action und Sex zu Philosophie und Theologie
Es gibt nicht nur die großen Themen bei Peer Gynt, im Gegenteil. In den ersten Akten ist die Figur jung, Anfang zwanzig. "Das heißt: viel Action und viel Sex", sagt Holm. Mit dem Alter nehme das ab, dafür steige das Maß an Erfahrung und damit die Fähigkeit, das Leben zu reflektieren. Geschichte und Erzählung zu Beginn, Philosophie und Theologie im Anschluss. "Wie im Leben", findet Holm. Existentielle Grundfragen müssten auftauchen - aber man könne sie nicht vier Stunden lang diskutieren, ohne das Publikum zu langweilen.
"Es ist schließlich auch ein Phantasiestück", sagt Holm, "da will ich Trolle sehen." Die mythologische Welt hält Holm für einen wichtigen Teil der nördlichen Kultur. So erscheint es konsequent, dass Olaf Johannessen den Düsseldorfer Peer Gynt gibt. Ein Schauspieler, den Holm ans Schauspielhaus lotste. Allein schon wegen seiner Herkunft sei er für die Rolle geeignet, glaubt der Förderer. Denn Johannessen wurde auf den Färöern geboren, einer kleinen Inselgruppe im Nordatlantik, zwischen Schottland und Island gelegen. Eine Peer-Gynt-Landschaft gebe es dort, sagt Holm. "Olaf muss die Natur nicht erst phantasieren, er kennt sie gut."
Im Herbst und im Frühjahr 2014 wird Holm zwei weitere Stücke auf die Düsseldorfer Bühne bringen, dazu den "Woyzeck" in Kopenhagen. Doch er ist vorsichtig geworden, nimmt nicht mehr so viele Angebote an wie früher. "Ich versuche Rücksicht auf meine Situation zu nehmen. In der Zukunft will ich nicht noch mal in etwas Ähnliches geraten." Es scheint ganz so, als helfe der Norweger Peer Gynt dem Schweden Holm, seinen ganz persönlichen Bildungsroman zu schreiben.
"Peer Gynt". Premiere am 2.3. im Schauspielhaus Düsseldorf, Voraufführung am 1.3.; außerdem am 4., 6., 12. und 24.3. Karten: Tel. 0211/36 99 11.