Promifotograf Jim Rakete "Entweder du bist ein Guter oder nicht"

Kein Make-up, keine Inszenierung - so nahm der Fotograf Jim Rakete deutsche Prominente vor die Linse. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE erklärt er, warum zu viel Erfahrung stört und warum Rebellion und Politik kein Gegensatz sein müssen.

SPIEGEL ONLINE: Herr Rakete, in Ihrer aktuellen Fotoserie "1/8 sec." zeigen Sie Deutschlands Prominente ungeschminkt und ohne die gängigen Inszenierungsmuster. Was hat Sie an diesem optischen Naturzustand fasziniert?

Rakete: In Deutschland heißt es immer, wir hätten kein Starsystem. Da beklagt man das Fehlen roter Teppiche. Doch immer mehr Leute träumen davon, aus Limousinen zu steigen und den versammelten Journalisten ihre Kleider zu erklären. Es geht zunehmend darum, von sich selbst ein Medienbild zu entwerfen. SPIEGEL ONLINE: Und da wollten Sie gegensteuern?

Rakete: Es hat mich interessiert, wie die Leute aussehen, wenn man ihnen nicht die Möglichkeit gibt, sich in Rollen zu inszenieren. Ich wollte keinerlei gestalterischen Kommentar. Es sollten einzig die Gesichter zählen.

SPIEGEL ONLINE: Gesichter von Meret Becker bis zu Norbert Bisky, von Wim Wenders bis zu Frank-Walter Steinmeier. Hatten die alle kein Problem damit, dass Sie ihnen das Liebste nahmen, was sie hatten: ihre Rolle?

Rakete: Es ist natürlich viel schwieriger, wenn man sich überlegen muss, wer man wirklich ist. Die Rolle des Außenministers oder die der ungestümen jungen Schauspielerin ist sicherlich einfacher zu haben. Aber letztlich ist die auch nie ganz von der Person zu trennen. Ich wollte den Menschen nur keine Requisiten aufpfropfen. Ich wollte die Persönlichkeit ohne die übliche Bestechung herauskitzeln.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben sich für dieses Projekt technisch sehr zurückgenommen und haben Prominente von heute mit einer Linhof Plattenkamera von gestern fotografiert - einem Ungetüm mit Balgen, Drahtauslöser und Mattscheibe. Wie passt das zusammen?

Rakete: Wenn man so eine Kamera benutzt, dann hat man das Gefühl, dass damit etwas von bleibendem Wert entsteht. Wenn man hingegen mit einer Digiknipse schnell mal ein Bild schießt, dann glaubt man doch, das überlebt nicht einmal den Weg nach Hause. Die Dinge verändern sich radikal. Die klassische Fotografie kommt an ihr Ende. Früher musste von Anfang an alles im Bild enthalten sein. Heute machen das die jungen Kollegen genau umgekehrt. Die knipsen irgendwas und überlegen sich hinterher am Computer, wie sie aus dem ganzen Pixelzeug das eigentliche Bild entstehen lassen. Aber ab diesem Moment steht die Wahrheit zur Disposition. Dann wird vom Pickel bis zur Falte alles weichgerechnet. Das Ergebnis: Wir gucken zunehmend auf eine Star-Riege, die offenbar von Jahr zu Jahr jünger wird.

SPIEGEL ONLINE: Bei Ihnen erkennt man dagegen deutlich die Kartografie der Gesichter - mitsamt Falten und Furchen. Hatten die Leute keine Angst davor, dass Ihr ästhetischer Ansatz sie alt aussehen lassen könnte?

Rakete: Das war tatsächlich ein Thema. Manche hatten Angst davor, dass die Abzüge zu hart rüberkommen könnten. Aber ich finde, das Gegenteil ist der Fall, es ist nur nichts geschönt worden. Diese Bilder leben vom ersten visuellen Händedruck. Und der ist entscheidend. Denn im ersten Moment redet das Unterbewusstsein mit dir. Da ist man viel schlauer als zwei Wochen später mit dem Kopf.

SPIEGEL ONLINE: Hätten Sie eine Serie wie "1/8 sec." vor 30 Jahren aufgrund mangelnder Erfahrung noch nicht machen können?

Rakete: Früher dachte ich immer, dass mir etwas fehlte. Da war ich unglücklich und redete mir ein, dass die anderen Fotografen über irgendein Wissen verfügten, zu dem ich keinen Zugang hätte. Jetzt im vorgerückten Alter weiß ich, dass das nicht stimmte. Sicher, es gibt Leute, die technisch viel besser sind. Aber ich muss nicht mehr nach den perfekten Inszenierungen suchen. Die enthalten ohnehin weniger Wahrheit.

SPIEGEL ONLINE: Früher, das war auch die Zeit, in der Sie in Kreuzberg die legendäre "Fabrik" betrieben haben - ein Kreativlabor des Deutschrocks und der Neuen Deutschen Welle. Sie haben für ihr Fotoprojekt viele der einstigen Weggefährten wiederbesucht: von Nena über Annette Humpe bis zu Herbert Grönemeyer. Gilt die alte Falco-Weisheit, "Wer sich an die achtziger Jahre erinnert, der hat sie nicht erlebt", immer noch?

Rakete: Das fällt unter mein Schweigegelübde. Aber natürlich ist es gut, wenn man die Menschen, die man lange nicht gesehen hat, in guten Händen vorfindet. Ich kenne eigentlich wenig Leute, die sich später haben versauen lassen. Entweder du bist ein Guter oder du bist es nicht. Das wird auch immer so bleiben.

SPIEGEL ONLINE: Für Ihre Serie haben Sie viele der momentan angesagten Musiker fotografiert: Wir sind Helden, Juli oder Mieze. Fällt man da zuweilen in die Pose eines alten Herrn, der unentwegt vergleicht und zuweilen gar despektierlich mit den Augen rollt?

Rakete: Natürlich höre ich bei allem immer durch, wo die sich bedient haben. Mal ist es Rio Reiser, mal Nena, mal Heiner Pudelko. Aber das war bei uns nicht anders. Manchmal denke ich aber, dass das heute nicht mehr so spannend ist wie früher. Die großen Plattenlabels sind nicht mehr vorhanden. So hat man unzählige Protagonisten, aber letztlich keine Antagonisten mehr.

SPIEGEL ONLINE: Spricht da der alte Punk-Produzent, der immer etwas Rebellion braucht?

Rakete: Wenn, dann war ich New Waver. Punk hab ich immer für eine unnötige Pose gehalten.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben in den letzten Jahren zunehmend Politiker fotografiert. Ist die optische Inszenierung von Macht nicht ungewöhnlich für einen einstigen New Waver?

Rakete: Ich habe immer schon ein großes Faible für Politik gehabt. Aber das hat sich nie in meiner Arbeit unterbringen lassen. Vor einigen Jahren habe ich dann durch das Magazin "Cicero" die Gelegenheit dazu bekommen. Normalerweise macht man in einer solchen Umgebung keine guten Fotos. Unter diesen ganzen skatspielenden Journalisten und den Pressefotografen musste ich meine eigene Rolle finden. Am Ende habe ich dann Bilder gemacht, die davon handelten, wie man sich fühlt, wenn man genau diese Bilder nicht machen will.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben einmal gesagt, man könne mit Fotografie nur leben, wenn man auch mit dem Ausschnitt leben könne. Gibt es da einen Ausschnitt, der sie an den vielen Menschen, die sie fotografiert haben, besonders interessiert hat?

Rakete: Die Lebenshaltung. Mich interessiert, ob jemand teilnahmsvoll ist. In diesen Sachen bin ich viel wachsamer geworden. Ich weiß nicht, ob man das auf meinen Fotos sieht, aber ich interessiere mich für die Menschen und ihre Haltungen. Und manchmal, da frage ich mich, ob die sich wohl auch für mich interessieren oder ob viele dieser Begegnungen nur Bestand hatten für einen einmaligen fotografischen Augenblick.

Das Interview führte Ralf Hanselle


Jim Rakete: "1/8 sec.", Galerie Camera Work , Berlin, 19. Januar bis 1. März

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