Provokante Kunst an der Côte d'Azur Schrecken des Streifenhörnchens

Perversionen von Catherine Opie, Provokantes von Shirin Neshat: Seit heute ist Monaco kein weißer Fleck mehr auf der Landkarte der zeitgenössischen Kunst. Spektakuläre Stücke aus der renommierten Privatsammlung Sandretto sollen schockieren und den Boden für ein Kunstmuseum bereiten.
Von Heiko Klaas und Heiko Klaas

Auch wenn der zeitgenössische Kunstbetrieb sich zurzeit mit immer neuen Auktionsrekorden, Biennalen und Kunstmessen an den entlegensten Orten der Welt heiß zu laufen droht: Es gibt sie noch, die weißen Flecken auf der Landkarte der zeitgenössischen Kunst. Einer davon war bisher auch das eher beschauliche Fürstentum Monaco, Europas Steuerparadies Nummer eins an der wunderschönen Côte d'Azur.

Alter europäischer Geldadel, neureiche russische Oligarchen und schaulustige Touristen aus aller Welt lassen es sich hier auf entspannte Art und Weise gut gehen. Monte Carlo ist der Ort, wo die meist etwas älteren Herren nach dem gehobenen Lunch entspannt ihre erste Havanna-Zigarre schmauchen und die dazugehörigen Damen ihr Hündchen spazieren führen - auch bei frühlingshaften Temperaturen gern im Pelzmantel. Abends gönnt man sich dann vielleicht ein erlesenes Diner bei Sterneköchen wie Alain Ducasse oder Joël Robuchon.

Kontrastprogramm: Am vergangenen Wochenende hielt mit einer Ausstellung von Werken aus der renommierten Turiner Privatsammlung von Patrizia Sandretto Re Rebaudengo auch in Monaco die zeitgenössische Kunst Einzug. Unter der Schirmherrschaft von Fürst Albert II. eröffnete die von Francesco Bonami, 51, dem Direktor der 50. Biennale Venedig 2003, kuratierte Ausstellung "Glowbowl" mit Werken von 35 schwer angesagten Gegenwartskünstlern. Anschließend gab es im noblen Salle Empire des Hôtel de Paris ein festliches Diner für rund 130 geladene Gäste, darunter andere Kunstsammler wie Miuccia Prada.

Namen von Künstlern wie Matthew Barney, Fischli & Weiss, Douglas Gordon, Sarah Lucas oder Jeff Wall versprühen bis zum 1. April auch in Monaco ein Flair von artistischer Weltläufigkeit und musealer Qualität. Arbeiten der deutschen Fotokünstler Thomas Struth und Thomas Demand sind ebenso zu sehen wie eine Video-Installation und Fotos der in New York lebenden Iranerin Shirin Neshat, frühe Film-Stills von Cindy Sherman, ein weißer Delphin von Carsten Höller oder die in prachtvolle afrikanische Stoffe gekleideten kopflosen Kostümpuppen des in London lebenden Nigerianers Yinka Shonibare.

Beim Betrachter starke Gefühle auslösen

Die beiden in Monaco lebenden Kunstsammlerinnen Rita Caltagirone und Gheri Sackler - beide sind auch Mitglied in der Ankaufskommission des New Yorker Guggenheim-Museums - haben sich mit der jungen Galeristin Delphine Pastor zusammengetan und unter dem Label Association Amis Nouveau Musée National de Monaco (AANMNM) einen Freundeskreis gegründet, der einst auch dem nur vier Kilometer langen und 500 Meter breiten Zwergstaat ein ansehnliches Kunstmuseum bescheren soll. 10 bis 15 Jahre, so gibt Gheri Sackler zu bedenken, werde es wohl noch dauern, schließlich fehle im dichtbesiedeltsten Staat Europas schlicht und einfach das Bauland für ein solches Vorhaben. Die Lösung dürfte nach dem bisherigen Stand der Planungen eine Art Stelzenhaus im Meer sein.

Eine Ausstellungsreihe mit Kunst aus europäischen Privatsammlungen soll beim bisher wenig kunstbegeisterten monegassischen Publikum den Appetit auf mehr wecken und die Akzeptanz für ein solches Haus fördern helfen. Gedacht ist zunächst an ein bis zwei Ausstellungen im Jahr. Ausgerechnet mit der Sammlung Sandretto, die für ihre oft aufrüttelnde, manchmal auch verstörende Cutting-Edge-Kunst der letzten 15 Jahre bekannt ist, anzufangen, beweist den Mut der drei Initiatorinnen. Patrizia Sandretto Re Rebaudengo, Italiens derzeit umtriebigste Privatsammlerin, Mäzenin und Kunst-Promoterin hat seit Anfang der neunziger Jahre eine umfangreiche Sammlung von Werken internationaler Gegenwartskunst zusammengetragen.

Zu sehen ist sie auf dem Landsitz der Familie, einem Schloss im Piemont. Im 3500 Quadratmeter großen Ausstellungshaus ihrer Stiftung in Turin finden zudem drei bis viermal im Jahr Wechselausstellungen statt. "Meine Leidenschaft besteht darin", so Signora Sandretto, "Arbeiten zu sammeln, die die Gegenwart erfassen und die Zukunft ein Stück weit vorwegnehmen. Arbeiten, die dazu in der Lage sind, beim Betrachter starke Gefühle auszulösen: Phantasie, Nachdenklichkeit, Liebe, Überraschung und natürlich auch Irritation. Kunst, die solche Gefühle nicht auslöst, interessiert mich nicht."

Streifenhörnchen am Resopaltisch

Und genau diese Art von Kunst haben die Sammlerin und ihr Kurator auch mit nach Monaco gebracht. Zum Beispiel eines der Schlüsselwerke der Sammlung, Maurizio Cattelans nur 58 x 50 x 60 cm messendes Miniaturwerk mit dem Titel "Bidibidobidiboo" von 1996: Eine Küche wie aus den sechziger Jahren. Ein gelber Resopaltisch mit zwei Stühlen, ein altmodischer Warmwasserboiler an der Wand, grauer Fußboden, der unerledigte Abwasch steht noch auf der Spüle. Das Irritierende: Auf einem der Stühle sitzt, in sich zusammengesunken, ein amerikanisches Streifenhörnchen, der Kopf liegt reglos auf dem Tisch, die Vorderläufe hängen schlaff herunter.

Ein weiteres Detail offenbart die ganze Tragik dieser gleichzeitig urkomischen Situation: Auf dem Boden liegt eine Pistole. Der vereinsamte Nager hat die Monotonie seines Resopal-Ambientes offenbar nicht mehr länger ertragen und Selbstmord verübt. Einem Künstler wie Cattelan sitzt permanent der Schalk im Nacken, und auch der ungeübte Betrachter wird die Sollbruchstelle erkennen, an der aus Melancholie und Tragik wieder Komik entsteht.

Zum Beispiel auch in Catellans zweiter, sehr selbstironischer Arbeit, die hier zu sehen ist. "La Rivoluzione siamo noi" (2000) ist ein besonderes Husarenstück des in New York lebenden 46-Jährigen. Es steht normalerweise im Entrée des Turiner Stadtpalais der Sammlerin und zeigt den Künstler selbst als Silikonpuppe im grauen Filzanzug à la Beuys an einer verchromten Garderobe hängend.

Warnung vor der Kunst

Bei einer Künstlerin wie der in Los Angeles lebenden lesbischen Fotokünstlerin Catherine Opie, 45, wird die Sache für ein unbedarftes Publikum schon etwas schwieriger. Ihr 1994 entstandenes Selbstporträt mit dem eindeutigen Titel "Self-Portrait Pervert" zeigt eine durchaus etwas kräftig gebaute Frau mit nacktem Oberkörper. Das Gesicht ist von einer Sado-Maso-Ledermaske komplett verhüllt. Nur die Augäpfel lugen aus kleinen Löchern hervor. Durch die Arme hat sich die Künstlerin vier Dutzend Spritzennadeln gebohrt. Das Wort "Pervert" hat sie sich offenbar mit einer scharfen Klinge ganz frisch in die Brust ritzen lassen.

Ein weiteres provokantes Werk ist Thomas Hirschhorns Arbeit "Camo Family" (2006). Sie zeigt eine auf einem Podest stehende Kleinfamilie, martialisch in Camouflagestoff gekleidet, und umstellt von unzähligen Aufnahmen im Irak-Krieg zerrissener Soldatenleiber und aus dem Internet hochgeladener Pornobilder. Arbeiten wie diese lösten denn auch erwartungsgemäß bei der Lokalpresse leichtes Befremden aus. Die Zeitung "Monaco-Matin" warnte ihre Leser zwar vor dem Provokationspotential der Schau, befand dann aber doch, die Ausstellung sei eine gute Gelegenheit, sich einmal gratis mit der zeitgenössischen Kunst vertraut zu machen.

Francesco Bonami, dem man, ohne ihn zu beleidigen, einen geradezu missionarischen Eifer nachsagen kann, was die Verbreitung etwas provokanterer Werke der Gegenwartskunst angeht, kontert Kritik an seiner Auswahl mit einem Vergleich, den gerade Grand-Prix-geprüfte Monegassen gut verstehen dürften: "Ein gutes Werk zeitgenössischer Kunst ist wie ein Formel-1-Wagen, der einem unablässig durch den Kopf rast. Auch wenn man es ablehnt, man kann es nicht wieder loswerden. Genauso wenig, wie man ein Formel-1-Rennen ausblenden kann, das gerade unten auf der Straße abgeht. Man kann wegschauen, aber man wird den Lärm immer hören."


Glowbowl - Hauptwerke aus der Sammlung Sandretto Re Rebaudengo: Salle du quai Antoine Ier 4, quai Antoine Ier, Monaco. 11. März bis 1. April. Täglich 13-19 Uhr. Eintritt frei.

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