Pulitzerpreise für Online-Portal Schnell, sauber, unbestechlich

SMS-Glückwünsche: Pulitzer-Preisträger Jake Bernstein und Jesse Eisinger von ProPublica
Foto: Dan Ng/ APSedona - Der Pulitzerpreis - altbacken, vorgestrig, uninteressant? Nicht doch. Das Gremium des prestigeträchtigen Journalistenpreises hat zum zweiten Mal in Folge das Online-Nachrichtenportal ProPublica ausgezeichnet und damit ein Zeichen gesetzt: Der Nachrichtenjournalismus im Netz, lange als Versatzstück-Schusterei und Arena für Blogger-Geblöke verunglimpft, ist erwachsen geworden.
Bereits im vergangenen Jahr war das Online-Nachrichtenportal, das seine Berichte teils online, teils in Zusammenarbeit mit renommierten Traditionsblätttern oder anderen Multimedia-Portalen veröffentlicht, mit dem Ritterschlag des amerikanischen Journalismus ausgezeichnet worden. Das Stück, das den Preis für investigativen Journalismus erhalten hatte, war in Zusammenarbeit mit der "New York Times" entstanden.
Jetzt wurde, mit dem Preis für nationale Berichterstattung, erstmals eine Serie von ProPublica-Artikeln ausgezeichnet, die einzig im Internet erschienen ist. Jesse Eisinger und Jake Bernstein berichteten darin über die dreisten Eigengeschäfte, mit denen amerikanische Großbanken die Nachfrage für ihre Produkte selbst schufen und damit die Finanzblase kreierten, die 2008 eine weltweite Krise auslöste.
Außerdem ausgezeichnet wurden in diesem Jahr Journalisten der "New York Times" und der "Los Angeles Times" sowie von Lokalzeitungen wie der "Sarasota Tribune" und des "Milwaukee Journal Sentinel". Die Themen der Preisträger rangierten von der seltsamen Krankheit eines Vierjährigen bis zu den dunklen Machenschaften der Versicherungsindustrie im katastrophengeplagten Florida.
Mit der Auszeichnung von ProPublica bedachte das neunzehnköpfige Pulitzer-Gremium erneut eines der ehrgeizigsten Projekte in der amerikanischen Medienlandschaft, das "politische Reformen mit journalistischen Mitteln vorantreiben will", wie Chefredakteur Paul Steiger in einer Reaktion auf den Preis sagte.
Andere bauen Stellen ab, ProPublica investiert in Recherche
ProPublica wurde 2007 von einem kalifornischen Investorenehepaar auf die Beine gestellt, als angesichts der Print-Krise zahlreiche Online-Start-ups den Journalismus neu zu erfinden versuchten. Die Modelle reichten von Spendenplattformen, auf denen Journalisten um finanzielle Mittel für ihre Projekte warben, über Syndikationsprojekte bis hin zu mehr oder weniger losen Kooperationen von namhaften Autoren. Doch nirgends ging man so ambitioniert zu Werke wie bei ProPublica, das seinen Sitz in New York hat: Zehn Millionen Dollar pro Jahr gelobten Herb und Marion Sandler in investigativen Journalismus zu investieren, als Leiter des Projekts engagierten sie Paul Steiger, der seit 1991 Chef vom Dienst beim "Wall Street Journal" war, bis das Traditionsblatt 2007 in die Hände von Rupert Murdochs News Corp. überging.
Steiger konzipierte ProPublica als Institution, die einen scharfen Blick auf die Finger der Mächtigen in Politik und Wirtschaft werfen soll, ganz im Sinne der traditionellen Wächterfunktion der Presse in einer Demokratie. Die Geschichten seiner Redakteure reichen von Berichten über Verquickungen zwischen der Atomaufsichtsbehörde der USA und den führenden Unternehmen der Branche sowie Reportagen über private Profiteure des Öldesasters im Golf von Mexiko bis hin zu Statistiken von Honorarzahlungen, die amerikanische Ärzte von Pharmaunternehmen beziehen.
Während überall sonst in der Medienlandschaft Stellen gestrichen und Gehälter gekürzt wurden, stellte ProPublica eine Vollzeitbelegschaft von 32 Journalisten ein, mit Gehältern, die die besten der Branche anlockten - darunter mehrere Pulitzer-Preisträger.
Erstmals kein Preis für "Breaking News"
Wieviel Prestige der 1917 von dem Zeitungsmagnaten Joseph Pulitzer initiierte journalistische Nobelpreis indes noch birgt, darüber stritt man zuletzt viel. 2010 bewarb sich das Klatschblatt "National Enquirer" für seine Berichterstattung über die außereheliche Vaterschaft des Präsidentschaftskandidaten John Edwards um einen Pulitzer-Preis (der ja immerhin vom Vater des Sensationsjournalismus gestiftet wurde). Empörte Forderungen nach einem Ausschluss des Beitrags stießen beim Preis-Gremium auf taube Ohren, eine Auszeichnung gab's am Ende aber auch nicht.
Und vor wenigen Wochen suspendierte die "Washington Post" ihre Pulitzer-Preisträgerin Sari Horwitz, die zugeben musste, Teile ihrer Berichterstattung über den Anschlag von Tucson auf die Abgeordnete Gabrielle Giffords aus der "Arizona Republic" abgeschrieben zu haben. In einer begleitenden Story zitierte die "Post" einen Journalismus-Professor mit der Einschätzung, dass der Druck digitaler Medien und des Internets derartige Fehltritte begünstige.
Tatsächlich treibt das immer verzweifeltere Buhlen ums Publikum in den US-Medien bedenkliche Blüten, und vielleicht hat das Pulitzer-Gremium auch deshalb erstmals in seiner 95-jährigen Geschichte darauf verzichtet, einen Preis für "Breaking News" zu vergeben. Die journalistische Sorgfalt leidet unter der Jagd auf Schlagzeilen und schnelles Prestige; Selbstgerechtigkeit und Überheblichkeit plagen den hiesigen Journalismus.
Die "New York Times"-Reporterin Judith Miller ließ sich 2003 als Sprachrohr der Regierung Bush für eine Irak-Invasion instrumentalisieren, bei Fox News bezeichnete man den ersten schwarzen Präsidenten Amerikas als "Rassisten", und das "Wall Street Journal", das seit seiner Übernahme durch Rupert Murdochs News Corporation 2007 Pulitzerpreis-los blieb, zählte in offenbar beleidigter Erwartung, ein weiteres Mal übergangen zu werden, die Meisterleistungen des Blattes gleich selbst auf. Unter anderem schrieb der derzeitige Chef vom Dienst Robert Thompson in einem Vorab-Memo: "Unsere Berichterstattung über die europäische Schuldenkrise überragte die Berichterstattung jeder anderen internationalen Nachrichtenorganisation um Längen."
Das "WSJ" erhielt dann doch einen Pulitzer - für Joseph Ragos sorgsam durchdeklinierte Leitartikel gegen die Gesundheitsreform von Präsident Obama. Doch Ragos Tonfall spiegelt bisweilen die giftige Niedertracht, die man von Fox News kennt - und die die amerikanische Öffentlichkeit zutiefst gespalten hat.
Womöglich bedarf es in Zukunft noch mehr einer ambitionierten, alternativen Nachrichtenkultur im Netz, um den Journalismus in Amerika zu retten.