RAF-Ausstellung in Berlin Wer nix zu sagen hat, sagt es möglichst kompliziert

Die RAF-Ausstellung in den Berliner Kunstwerken ist nicht so schlimm wie viele es befürchtet haben, dafür aber läppisch: Sie zeigt vor allem die neue Sorglosigkeit der Kunst im Umgang mit der Geschichte. Bezeichnend ist, was nicht thematisiert wird.
Von Henryk M. Broder

Berlin - Sue de Beer hat es sich gemütlich gemacht. Sie kuschelt mit Mr. Kitty, einer schwarzen Stoffkatze von der Größe eines Ponys, und schaut fern. Auf zwei Monitoren, die auf einer Kiste stehen, läuft eine Video-Installation. Man sieht eine Frau mittleren Alters in einem blauen Hemd. Sie sieht aus, als wäre sie schwanger. Ein Mann kommt dazu, legt sich auf die Frau und bewegt sich hin und her. Die Frau nimmt es unbeteiligt hin. Als der Mann fertig ist, fängt die Frau an zu reden. Sie sagt Sätze wie: "Ich werde mich auslöschen, und ihr werdet mich darin wieder finden." Man kann den Satz zwar nicht verstehen, aber man kann ihn im Katalog nachlesen. Und da steht auch, was das Ganze soll. Die Frau ist Amerikanerin, sie heißt Kathleen, "fühlt sich der deutschen Terroristin Ulrike Meinhof verbunden", imaginiert sich in deren Kopf und "vollzieht deren Erfahrungen und Gefühle in der Isolationshaft nach".

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Fotostrecke zur RAF-Ausstellung: Die neue Sorglosigkeit

Foto: Frieder Schnock, Berlin

Ach so. Jetzt ist alles klar. Warum aber muss Sue de Beer auf dem Boden liegen und die eigene Arbeit betrachten? Ist es eine Performance? "Nein", sagt Sue, "ich passe nur auf, dass die Installation nicht beschädigt wird". Die Künstlerin, 1973 in Tarrytown, USA, geboren, hatte eigentlich vor, "eine Arbeit über die Psyche amerikanischer Jugendlicher" zu machen, ein Stipendium in Berlin "vertiefte jedoch die Verbindung mit der deutschen Geschichte" und so entstand "Hans & Grete", benannt nach den Decknamen, die sich Baader und Ensslin gegeben hatten.

So ist das eben mit der Kunst. Das, was man sieht, ist nicht das, was es ist. Und deswegen muss es erklärt werden. Müsste es nicht erklärt werden, wäre es vermutlich keine Kunst. Allenfalls Kunstgewerbe, wie die vollbusige Zigeunerin im Gegenlicht, die man bei Karstadt kaufen kann und die nur eine vollbusige Zigeunerin im Gegenlicht sein will.

Gleich neben der Video-Installation von Sue de Beer hängt die "Neue Straßenverkehrsordnung" von Peter Friedl an der Wand, eine zwei Mal sieben Meter große Neonplastik. "Neue Straßenverkehrsordnung" war der Codename für das RAF-Manifest "Über den bewaffneten Kampf in Westeuropa", das Horst Mahler, inzwischen Anwalt der extremen Rechten, 1971 im Gefängnis geschrieben hatte. Friedls Arbeit, heißt es im Katalog, zeugt von seinem "Interesse an der Sprache und davon, dass diese sowohl auf gesellschaftlicher Ebene wie im häuslichen Bereich von elementarer Bedeutung für den Prozess der Zivilisation ist". Deswegen hat Friedl für seine Arbeit "die Form einer Acht" gewählt. Sie "erinnert an eine Carrerabahn, ein unverzichtbares Spielzeug für jeden Jungen, der in den siebziger Jahren aufwuchs, und verweist damit auf eine mit den siebziger Jahren assoziierte Kitschästhetik".

Was aber hat eine Carrerabahn mit der RAF zu tun, außer dass beide in den Siebziger Jahren ein Begriff waren? Ist sie vielleicht ein Symbol für die Liebe der Terroristen zu schnellen Autos, für Mobilität und Sportsgeist? Kann sein, muss aber nicht. Eine Etage tiefer lehnt eine Beuys-Plastik an der Wand. Zwei Schilder mit dem Text "Dürer, ich führe persönlich Baader + Meinhof durch die Dokumenta V" an zwei Stielen, die in Filzpantoffeln stecken. Das Werk wird von zwei kräftigen jungen Männern flankiert, die wahrscheinlich dafür sorgen sollen, dass es nicht von einer kunstunkundigen Putzfrau, wie schon einmal mit einer Beuys-Arbeit geschehen, beschädigt oder entsorgt wird.

Größtenteils läppisch

Vor dem Exponat, dessen Wert in die Hunderttausende geht, läuft ein älterer Mann auf und ab, der aussieht, als sei er nur deswegen in die Ausstellung gekommen, weil bei der Bahnhofsmission schon alle Plätze vergeben waren. Er hält eine Kuckucksuhr in der Hand und erklärt den Besuchern, wie Beuys die Sache gemeint hat. Ist es ein leicht verwirrter Beuys-Fan oder ein Experte, der von den Kuratoren der Ausstellung verpflichtet wurde? Weil das eine so möglich ist wie das andere, bleiben die Besucher stehen und hören dem Mann interessiert zu. Kann sein, dass es zum Wesen der Kunst gehört, vieldeutig, unbestimmt und mysteriös zu sein. Aber die RAF-Ausstellung, die schon als reine Idee für heftige Aufregung gesorgt hat, ist es nicht. Sie ist zum größten Teil nur läppisch und dokumentiert vor allem, wie sich Künstler an dem Objekt ihrer Begierde verheben können. Und auch das ist nicht neu. Der Wiener Aktionskünstler Otto Muehl hat schon in den siebziger Jahren, als Peter Friedl noch mit seiner Carrerabahn spielte, von der Schönheit der tiefgefrorenen Leichenstapel im Krieg phantasiert und der Komponist Karlheinz Stockhausen hat nach die Anschlägen vom 11.9. erklärt: "Was da geschehen ist, ist das größte Kunstwerk, das es je gegeben hat."

Terroristen und Opfer bunt durcheinander

So demonstriert auch die RAF-Ausstellung die neue Unbefangenheit gegenüber der Geschichte, zu deren Charakteristika es gehört, dass Täter und Opfer gleich behandelt werden. Wie in dem Witz: "Mein Vater ist auch im KZ umgekommen, er ist besoffen vom Wachturm gefallen" präsentiert Hans-Peter Feldmann 90 Tote zwischen 1967 und 1993, von Benno Ohnesorg bis Wolfgang Grams, RAF-Terroristen und RAF-Opfer bunt durcheinander. Im Tod sind ja alle gleich. Aber vielleicht macht es doch einen Unterschied, wie sie ums Leben gekommen sind. Die Terroristen sind bewusst ein Risiko eingegangen. Deren Opfer hatten keine Wahl. Warum musste der Bootsbauer Erwin Beelitz sterben? Was hat der hessische Wirtschaftsminister Heinz Herbert Karry verbrochen? Kann sich noch jemand an Edward Pimenthal, den US-Soldaten, erinnern? Reicht es, die Bilder der Toten aus Zeitungen zu schneiden, in Rahmen zu stecken und an die Wand zu hängen?

Banalisiert, romantisiert

"Das ist Minimalismus mit der Papierschere", sagt Frieder Schnock, der mit zwei Objekten an der Ausstellung beteiligt ist. Die Veranstalter freilich wagen die Behauptung, Feldmann "arbeitet mit den Toten, um die Lebenden darzustellen", die Bilddokumente zeigen, "wie sich die notwendigen sozialen Emanzipationsversuche an der schwebenden Desorientiertheit der BRD-Geschichte grotesk verzerren und das Wertgesetz des Störfaktors zum Selbstläufer wird, aber auch zum Gesichtsausdruck der BRD". Wer nix zu sagen hat, sagt es möglichst kompliziert, damit es nach etwas aussieht. Früher nannte man diese Technik Etikettenschwindel, heute ist es das Privileg der Kunst im Umgang mit der Geschichte. Die RAF wird nicht, wie viele befürchtet haben, glorifiziert, aber sie wird banalisiert und romantisiert.

Keiner der Künstler hat es für nötig gehalten, die RAF-PLO-Connection zu thematisieren, keinem fiel es auf, dass die letzten RAF-Kader sich ausgerechnet in der DDR häuslich eingerichtet hatten. Nur Daniel Cohn-Bendit weist im Katalog darauf hin, dass es Baader nicht "um die Verbesserung der Welt" ging, sondern "um die eigene Selbstinszenierung als Freibeuter, als Verführer und Macho". Und das ist noch zärtlich und zurückhaltend ausgedrückt.

Al Qaida und die Kunst?

Was die RAF war und was sie wollte, kann man in dem 600 Seiten starken Reader "texte:RAF" nachlesen, der Ende 1977 in einem schwedischen Verlag erschienen ist. Da heißt es in dem letzten Brief von Holger Meins vom 31.1o.1974: "Das einzige was zählt ist der Kampf - jetzt, heute morgen... Durch den Kampf für den Kampf... Kämpfen, unterliegen, nochmals kämpfen, wieder unterliegen, erneut kämpfen und so weiter bis zum endgültigen Sieg... Entweder Schwein oder Mensch. Entweder überleben um jeden Preis oder Kampf bis zum Tod. Entweder Problem oder Lösung. Dazwischen gibt es nichts." Heute lautet die Parole: "Ihr liebt das Leben, wir aber lieben den Tod." Und in 30 Jahren wird es bestimmt eine Ausstellung über al Qaida in der Kunst geben.

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