Vor Erdogans Deutschlandbesuch Deniz Yücel wirft Regierung "Verrat" vor

Ein Jahr lang saß Deniz Yücel in der Türkei im Gefängnis. Bei einer Preisverleihung erhob der Journalist nun schwere Vorwürfe - nicht nur gegen die Türkei, sondern auch gegen die Bundesregierung.
Deniz Yücel

Deniz Yücel

Foto: Ralf Hirschberger/ dpa

Der "Welt"-Journalist Deniz Yücel hat den bevorstehenden Deutschlandbesuch des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan kritisiert und der Bundesregierung "Verrat" vorgeworfen. Es scheine, "als würde sich die Bundesregierung anschicken, ein weiteres Mal all jene Menschen in der Türkei zu verraten, die sich nach einer freiheitlichen, demokratischen und säkularen Gesellschaft sehnen", sagte Yücel bei einer Preisverleihung in Potsdam. Der Journalist wurde mit dem M100 Media Award für seine mutige und unbestechliche Arbeit ausgezeichnet.

Yücel, der für die "Welt" als Türkei-Korrespondent gearbeitet hatte, war bis zu seiner Freilassung im Februar 2018 ein Jahr lang in Istanbul inhaftiert. Nach seiner Entlassung reiste er aus. Sein Prozess wegen des Vorwurfs der Terrorpropaganda und Volksverhetzung geht jedoch weiter.

Bundespräsident Steinmeier werde "Verbrecher zum Staatsbankett empfangen"

Seinen Auftritt in Potsdam nutzte Yücel, um die Lage in der Türkei, aber auch die Bundesregierung zu kritisieren. In seiner vorab veröffentlichten Dankesrede schrieb er: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier werde einen "Verbrecher zum Staatsbankett empfangen", der sich "des Menschenraubs schuldig gemacht habe".

Erdogan wird am 28. und 29. September zu seinem Staatsbesuch in Berlin erwartet. Dazu gehören ein Empfang mit militärischen Ehren, ein Staatsbankett beim Bundespräsidenten und Gespräche mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Die Idee, Erdogan im Rahmen eines groß angelegten Staatsbesuchs anstatt im Rahmen eines reinen Arbeitsbesuchs zu empfangen, wurde von vielen Seiten kritisiert.

Yücel, der seine Untersuchungshaft als "Geiselnahme" bezeichnete, räumte laut Redetext ein, dass es eine Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Türkei geben müsse, diese müsse aber an Bedingungen geknüpft werden. In der Türkei müsse die "gängige Praxis, erst verhaften, dann Beweise suchen und schließlich schmoren lassen", aufhören. Yücel kritisierte auch den Umgang mit dem deutschen Fußball-Profi Mesut Özil und warf denjenigen, die Özils Rausschmiss aus der Nationalmannschaft gefordert hatten, Rassismus vor.

Oppositionelle in der Türkei im Gefängnis

In der Türkei sind nach wie vor mehrere deutsche Staatsbürger aus "politischen Gründen" inhaftiert. Außerdem sitzen etliche türkische Journalisten und Oppositionelle im Gefängnis.

An der Medienkonferenz M100 Sanssouci Colloquium, zu deren Abschluss der Preis verliehen wurde, nahmen etwa 60 Chefredakteure, Historiker und Politiker aus Europa und den USA teil. Sie diskutierten zum Thema "Home Alone? Europe in the Post-American Age". Im Mittelpunkt stand dabei der Zustand des transatlantischen Verhältnisses.

Bisherige Preisträger waren der Rockmusiker Bob Geldof, der Boxer Vitali Klitschko, der dänische Karikaturist Kurt Westergaard und auch das französische Satiremagazin "Charlie Hebdo".

kmy/dpa
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