Rechtschreib-Initiative Geteiltes Echo bei Politik und Verlagen
Hamburg - Bei Europas größtem Zeitschriftenverlag Gruner + Jahr ("Stern", "Brigitte", "Geo") haben sich Chefredakteure der einzelnen Titel mehrheitlich gegen eine Rückkehr zur alten Rechtschreibung ausgesprochen. Es gebe keine konzernübergreifende Direktive, sagte ein Verlagssprecher in Hamburg. Die Chefredakteure entschieden selbstständig über die Rechtschreibung, die meisten hätten sich aber in einer konzerninternen Umfrage gegen eine Wiederumstellung von neuer auf alte Schreibweise ausgesprochen, sagte der Sprecher.
Die Münchner Zeitschrift "Focus" aus dem Burda-Verlag schließt sich ebenfalls nicht der Initiative von SPIEGEL und Springer an, zur alten Rechtschreibung zurückzukehren. "Focus"-Sprecher Uwe Barfknecht sagte heute: "Wir schreiben so, wie in der Schule gelehrt wird. Wir wollen den Kampf um die Rechtschreibreform nicht auf dem Rücken unserer jungen Leser austragen."
Der Süddeutsche Verlag will dagegen zur alten Rechtschreibung zurückkehren. "Wir sagen ja, aber intern wird noch über Details gesprochen", sagte ein Verlagssprecher heute. Die Redaktion der "Süddeutschen Zeitung" sei von Anfang an in die Gespräche mit der Axel Springer AG und dem SPIEGEL-Verlag eingebunden gewesen. Intern werde derzeit unter anderem diskutiert, von welchen Regelungen man wieder abrücken wolle und von welchen nicht. Offen sei auch der Zeitpunkt für eine Rückkehr zu den alten Rechtschreibregeln.
Der Hamburger Bauer-Verlag reagierte auch erfreut auf die Rückkehr der Verlage Springer und SPIEGEL zur alten Rechtschreibung. "Wir halten diese Initiative für positiv und unterstützen sie", sagte Bauer-Sprecher Andreas Fritzenkötter. Man wolle dem Beispiel aber noch nicht sofort folgen. "Voraussetzung für konkrete Schritte hin zur alten Rechtschreibung ist für uns, dass möglichst viele Verlage diesem Beispiel folgen", betonte der Sprecher.
Der Buchverlag Suhrkamp verwies darauf, im Einvernehmen mit seinen Autoren nie die so genannte Rechtschreibreform übernommen zu haben. Bis auf die Subreihe Suhrkamp Basisbibliothek, die Schullektüre ist, sei Suhrkamp prinzipiell bei der alten Rechtschreibung geblieben, hieß es heute.
"Es ist ein Zeichen für gelebte Demokratie", so Suhrkamp-Chefin Ulla Unseld-Berkéwicz, "dass ein solcher Zusammenschluss als Bewegung gegen eine von der Mehrheit nicht akzeptierte Regelung zustande kommt, und es wäre ein Zeichen für lebendige Demokratie, wenn er in den Ministerien Wirkung zeigte." Der Suhrkamp Verlag, der Jüdische Verlag, der Insel Verlag und der Deutsche Klassiker Verlag würden auch in Zukunft alle Werke von Hesse bis Handke, von Celan bis Grünbein, von Adorno bis Beck und Sloterdijk in der alten Rechtschreibung drucken.
Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Doris Ahnen (SPD), hat für den Kurswechsel von SPIEGEL und Springer-Verlag "kein Verständnis". Die rheinland-pfälzische Bildungsministerin sagte heute: "Wenn in der Debatte um die Rechtschreibreform laufend von Chaos und Verunsicherung die Rede ist, erlaube ich mir die Frage: Wer verunsichert hier eigentlich die Menschen?"
Die Entscheidung der beiden Verlage zeige keinen Weg auf, wie mit den widerstrebenden Interessen in der Reformdebatte umzugehen sei "und wie sich Sprache künftig weiter entwickeln soll". Sprache und Schreibweisen müssten für alle erlernbar sein, sagte Ahnen. Die Schulen entließen Jahr für Jahr über 800.000 junge Menschen in den Arbeitsmarkt. Deshalb sei ein einheitliches Regelwerk "legitimer Anspruch". Und diese Regeln seien mit der Rechtschreibreform im Sinne der Anwender vereinfacht worden.
Ganz anders dagegen die Reaktion von Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU). Er wertet die Rückkehr der Verlage zur alten Rechtschreibung als wichtigen Teilerfolg im Kampf gegen die Reform. Damit sei erneut ein Schritt auf dem Weg zur Korrektur der "total gescheiterten Rechtschreibreform" getan, sagte Wulff, der bereits seit längerem gegen das Regelwerk zu Felde zieht. Er sehe sich gestärkt in seinem Bemühen, diese misslungene Reform rückgängig zu machen.
Jetzt gehe es darum, dass alle Beteiligten und Betroffenen in sich gehen und nachdenken, sagte Wulff. Es werde immer eindeutiger, dass der Unsinn der Reform nicht mehr zu halten sei. Wulff kündigte an, in der kommenden Ministerpräsidentenkonferenz die Rücknahme der Reform durchsetzen zu wollen. Er freue sich deshalb über jeden neuen Bundesgenossen im Kampf gegen die fatalen Folgen der Rechtschreibreform.
Die SPIEGEL-ONLINE-Leser haben sich in einer nicht-repräsentativen Abstimmung mit eine Zwei-Drittel-Mehrheit für die Rückkehr zur alten Rechtschreibung ausgesprochen. Bis 15.30 Uhr stimmten 14.224 (67,9 Prozent) dafür und 6728 (32,1 Prozent) dagegen.