Georg Diez

Rechtspopulismus Wie retten wir die Demokratie?

Demokratien sterben heute kaum noch durch gewalttätige Systemveränderungen - sie werden von innen ausgehöhlt. Um das zu verhindern, müssen sich alle demokratischen Kräfte zusammentun.
AfD-Fraktion im Bundestag

AfD-Fraktion im Bundestag

Foto: Kay Nietfeld/ dpa

Wie sterben Demokratien? Um diese Frage zu beantworten, muss man erst einmal klären, wie Demokratien leben.

Demokratie ist Alltag und Ausnahme, mit diesem Widerspruch fängt es schon mal an. Sie passiert jeden Tag, auf der Straße, an der Ampel, in der Schule, in der Arbeit, und sie passiert im Parlament, in den Büros der Verwaltung, in den Stuben der Polizei, sie ist weitgehend unsichtbar - bis sie nicht mehr da ist, dann merkt man es.

Demokratie ist also etwas, das die, die in ihr leben, nicht andauernd wahrnehmen, was das Problem für viele beschreibt, die sie verteidigen wollen. Sie ist zugleich gelernt und intuitiv, konkret und abstrakt. Sie ist etwas, das man versteht, ohne wirklich zu verstehen, und wenn man anfängt, dafür zu kämpfen, ist es oft fast schon zu spät.

Demokratie ist einerseits ein ganzes Netzwerk von Institutionen, die ineinander greifen und sich gegenseitig überprüfen, so haben es die Architekten der Aufklärung gewollt. Demokratie ist andererseits auf Vertrauen gebaut, auf Respekt und Toleranz, das sind einige der Normen, die nötig sind, damit die Institutionen funktionieren.

Und ohne diese Normen, das machen Steven Levitsky und Daniel Ziblatt in ihrem gerade erschienenen und so eindringlichen wie eindrucksvollen Buch "How Democracies Die" klar, ohne diese Normen kann selbst so etwas scheinbar Überzeitliches wie die amerikanische Demokratie sterben.

Es kann auch hier passieren

"It Can't Happen Here", das war ein Roman von Sinclair Lewis aus dem Jahr 1935, den vor der Wahl im Herbst 2016 viele Menschen wieder gelesen oder wenigstens zitiert hatten, um auf die Gefahr einer faschistischen oder autoritären Regierung auch in den USA hinzuweisen.

Und nun, ziemlich genau ein Jahr nach Trumps Amtsantritt am 20. Januar 2017, ziehen Levitsky und Ziblatt Bilanz: Es ist passiert, it did happen here, und die Bedrohung Amerikas durch Trump ist so existenziell wie exemplarisch - denn die beiden Harvard-Politikwissenschaftler weiten den Blick auf die generellen Muster der antidemokratischen Verkümmerung von Gesellschaften. Sie beschreiben, was nötig ist und was möglich, um Demokratien zu retten.

Sie gehen zurück in die Geschichte, um zu zeigen, wie etwa in Finnland und Belgien in den Dreißigerjahren faschistische Bewegungen gestoppt wurden, und sie machen deutlich, dass Trump nicht der Anfang von etwas ist, aus dem Nichts sozusagen, sondern das vorläufige Ende, der vorläufige Höhepunkt einer Bewegung, die in den späten Siebzigerjahren begonnen hat - Politik als Krieg, die Polarisierung und die Polemik, die den demokratischen Wettstreit nicht mit Argumenten, sondern mit Hass und Worten führte, die wie Waffen gebraucht wurden.

Levitsky und Ziblatt beschreiben die Radikalisierung der Republikanischen Partei durch Leute wie Newt Gingrich, sie schildern, wie es bis zu den späten 1970er Jahren die Parteien immer wieder geschafft haben, radikale Außenseiter wie Huey Long oder George Wallace von der Macht fernzuhalten. Sie analysieren aber auch den Preis, den die amerikanische Gesellschaft oder speziell die Schwarzen und andere Minderheiten für diese Stabilität bezahlen mussten: Rassismus.

Rassismus als zentrales Motiv für die Wahl Trumps

Und dieser Rassismus, auch das machen sie klar, ist ein zentrales Motiv für die Wahl Donald Trumps. Rassismus, verbunden mit Religion, dem anderen zentralen Spaltthema unserer Zeit, ist das, was den demokratischen Konsens aufbricht, verbunden mit sozialer Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Und hier, wie an vielen Stellen des Buches, gibt es Verbindungen zu dem, was in Deutschland und anderen Teilen Europas gerade passiert.

Denn auch hier ist es der nationalistische, rassistische Diskurs, der den demokratischen Konsens gefährdet, mehr oder weniger latent seit Jahrzehnten, aufgebrochen mit unheimlicher Wucht und aufgeladen durch anti-islamisches Ressentiment in der sogenannten Flüchtlingskrise im Sommer 2015. Und auch in Deutschland ist seither das Gerede von "mehr Polizei" und "schärferen Gesetzen" ein Codewort für autoritäre Tendenzen oder die Anbiederung an die Rechten.

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Levitsky, Steven, Ziblatt, Daniel

How Democracies Die

Verlag: Crown
Seitenzahl: 320
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Und das, so machen Levitsky und Ziblatt deutlich, ist der falsche Weg. Es geht nicht darum, die antidemokratischen Bewegungen dadurch zu bekämpfen, indem man demokratische Prinzipien über Bord wirft, wie es seit Längerem und nun explizit wieder die Strategie der CSU zu sein scheint, die beständig Politik gegen Schwache, Arme und Geflüchtete macht, deren Integration sie mit Worten fordert und mit Taten verhindert.

Die Frage also, wie Demokratien sterben, ist nicht akademisch, und sie ist nicht amerikanisch, genauso wenig wie sie polnisch oder ungarisch oder österreichisch ist. Sie ist universell und aktuell und durchaus deutsch, und die Kriterien, die Levitsky und Ziblatt anführen, um autoritäre Regime zu erkennen, sind anwendbar auf jedes Land in der Welt, dieses Deutschland nicht ausgenommen.

Was sind also die Politiker, die entweder 1) den demokratischen Prozess ablehnen oder 2) die Legitimität des politischen Gegners bestreiten oder 3) Gewalt dulden oder ermutigen oder 4) bereit sind, die bürgerlichen Rechte des Gegners einzuschränken, auch der Medien?

Demokratie als System, um Demokratie abzuschaffen

Es ist natürlich erst einmal die AfD, die den Leitfaden für Autoritäre gut studiert hat und darum das Trumpsche "Lock her up" kopiert und Merkel vor Gericht sehen will, Stichwort Delegitimisierung des politischen Gegners.

Es ist die AfD, die dabei ist, den politischen Raum zu kapern, also die Institutionen des Parlaments, den Plenarsaal etwa, den sie absichtlich mit Verweis auf parlamentarische Regeln blockieren, oder die Ausschüsse, die sie mit Anfragen belasten, die einzig dazu dienen, den politischen Gegner oder unliebsame Gruppierungen zu schaden oder eliminieren .

Es ist die AfD, demokratisch gewählt, die genau das macht, was Levitsky und Ziblatt beschreiben: Sie nutzt den demokratischen Prozess, um den demokratischen Prozess zu unterminieren. Anders gesagt, und das ist bei der AfD und ihrem Programm ein plausibles Szenario: Demokratie kann auch ein System sein, ein recht effektives sogar, um die Demokratie abzuschaffen.

Denn das ist einer der zentralen Punkte von "How Democracies Die": Demokratien sterben heute oft nicht mehr disruptiv und durch Gewalt von außen, durch einen Staatsstreich etwa oder einen Militärputsch, sie sterben schleichend und durch die Aushöhlung von Regeln und Normen von innen - und im Zweifelsfall durch Wahlen.

Anti-Demokraten stoppen

Was also ist zu tun? Donald Trump verletzt - in Kumpanei mit der opportunistischen Elite der Republikaner - konsequent die Normen und schadet damit nachhaltig den Institutionen: Er schürt das Misstrauen gegen den Wahlprozess, er propagiert Verdächtigung und Hetze gegen die Medien, er verhält sich den Gerichten gegenüber wie ein autoritärer Diktator, der noch übt, und orientiert sich deutlich an seinen Brüdern im Geiste, Erdogan in der Türkei etwa oder Putin in Russland.

Außerdem will er - und das ist für die beiden Autoren der schwerwiegendste Akt mit Konsequenzen für die kommenden Wahlen - die Ausgrenzung der Schwarzen und anderer Minderheiten etwa durch Veränderungen am Wahlrecht verstärken und so die Herrschaft der Weißen sichern, die bald, einige sagen um das Jahr 2040 herum, nicht mehr die Mehrheit in den USA sein werden.

Was bleibt? Demokraten müssen zusammenarbeiten, um Anti-Demokraten zu stoppen, das ist der konstruktive, wenn auch für meine Verhältnisse etwas vorsichtige Vorschlag von Levitsky und Ziblatt.

Aber wenn man sich ansieht, wie die Große Koalition, deren Fan ich nun wirklich nicht bin, von führenden Medien systematisch delegitimiert und als historisches Endspiel verzerrt wird, dann ist dieser Vorschlag von Levitsky und Ziblatt erst einmal das, was er sein soll: sehr demokratisch.

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