Reichtum Wann haben Sie Ihre erste Milliarde?
Ich kannte mal einen Millionär alten Typs. Er war um die siebzig, trug billige graue Kostüme und eine einfache Brille - ein Seniorenstudent im Philosophieoberseminar "Das Denken Martin Heideggers". Mir war er gar nicht aufgefallen. Einer meiner piratenhaft verwegenen Kommilitonen steckte es mir aber dann doch: Der Alte da, der hat Millionen. Er zischte das, so wie man sagt, der hat Hepatitis. Ich fand das interessant, aber von sehr beschränkter Relevanz. Könnte er doch mal was für das Institut spenden, werde ich wohl zurückgezischt haben, wobei mir später die übertriebene Fürsorge auffiel, mit der unsere Professoren diesen Mann bedachten; ich war nicht auf der ganz falschen Fährte gewesen.
Millionäre und erst recht Milliardäre waren in der alten Bundesrepublik Sonderlinge, in deren Leben sich der Glanz des nicht besonders flamboyanten deutschen Luxus und die Last, vermögend zu sein - man dachte an Arndt von Bohlen und Halbach, an den Entführungsfall Oetker - sich die Waage hielten. Einen, der uns hätte überreden wollen, das Studium daraufhin auszugestalten, dass wir auch einmal Millionäre würden, den hätten wir ausgelacht: Weil es ein falsches Leben zu führen bedeutet hätte - und weil es unmöglich war.
So weit diese Geschichte aus einer untergegangenen Welt, als die deutsche Gesellschaft in ihrer Vermögensverteilung einer Zwiebel glich: Wenige bitterarme, eine fette Mitte und wenige Superreiche. Nun bekommen schon seit längerem die Enden Zuwachs: Die Verschuldung nimmt zu, es wächst aber auch die Gruppe der Einkommensmillionäre und der Milliardäre, deren Zahl sich in dem einen Jahr von 2005 auf 2006 von 55 auf 100 fast verdoppelt haben soll. Doch weiß man das so genau? Während der Staat bei den abhängig Beschäftigten über so gut wie jeden eingenommenen Euro bestens informiert ist, kann man die Vermögen der Superreichen nur schätzen. Sie sind dem Staat in vieler Hinsicht längst entwachsen.
Der World Wealth Report von Merrill Lynch gibt jedenfalls an, im vergangenen Jahr seien in Deutschland 31.000 neue Millionäre dazugekommen; 798.000 seien es nun, wobei nur Personen aufgelistet werden, die über eine Million Dollar an Geldmitteln verfügen, selbstgenutzte Immobilien werden nicht mitgerechnet. Nach Japan und den Vereinigten Staaten leben in Deutschland die meisten reichen Menschen, und wie dort entwickeln sich auch die Reichen zu einer eigenen Zwei-Klassen-Gesellschaft: einmal die klassisch wohlhabenden, denen die günstige Entwicklung auf den Kapitalmärkten wirklichen Reichtum beschert; und dann die Superreichen, die eine ganz erstaunliche wirtschaftliche und eben auch soziokulturelle Dynamik entfalten. Sie sind nicht bloß Wachstumsmotor etwa für den Kunstmarkt oder den Immobiliensektor, sondern fungieren zunehmend auch als Rollenvorbild, dem eine ganze Gesellschaft erliegt. Was könnte wohl besser sein als superreich zu sein?
Davon träumen nicht nur Teenies, selbst mittlere Angestellte und Selbständige und mehr Akademiker, als es zugeben würden, tagträumen im Flug mit der "Gala" auf den Knien. Viele arbeiten vor allem daran: selbst reich und sehr reich zu werden.
Es ist eben - großer Unterschied zu früher - möglich: Wer als Anwalt einst davon ausgehen konnte, innerhalb einer überschaubaren Einkommensspanne irgendwann zu gewissem Wohlstand - sagen wir Familienhaus, Ferienhaus und zwei Autos - zu kommen, der sieht jetzt, wenn er fleißig und gut in Mathe ist, die Möglichkeit deutlich vor sich, als Partner in einer auf Firmenübernahmen spezialisierten Kanzlei in wenigen Jahren in richtige Reichtumssphären aufzusteigen.
Ordentlich Kohle machen wird zum Mantra der frustrierten Eliten
Ärzte können, statt in der Krebsforschung zu schwitzen, als Berater zu den Pharmaabteilungen der Investmentfirmen wechseln; Kunsthistoriker können Sammler und Versicherungen beraten und an den am Kunstmarkt bewegten Summen richtig verdienen. Selbst Literaturagenten, die sich auf spektakuläre Sachbücher wie die Keith-Richards-Memoiren spezialisieren, sehen Geld in Größenordnungen, die der Markt bislang noch nicht kannte. Aber die Gegenwart hat ja in der Literatur auch eine Ikone des Superreichtums hevorgebracht: Joanne K. Rowling - von der Sozialhilfeempfängerin zur reichsten Frau Englands nach der Queen. Und so mancher ehemalige Punk und Hausbesetzer, den es in die Malerei verschlagen hat, muss nun erleben, dass selbst seine wohlsituierten bürgerlichen Sammler nicht mehr mithalten können bei den Preisen, die der internationale Markt für seine Bilder diktiert. Der Künstler selber weiß schon längst nicht mehr wohin mit den Millionen.
Erfolgreiche Galeristen stellen sich eine spektakuläre Immobilie nach der anderen ausgerechnet nach Berlin-Mitte, und alle landen abends im Restaurant "Grill Royal", um einigermaßen ratlos festzustellen, dass Berlin nun aussieht wie Düsseldorf.
Ordentlich Kohle machen, das wird zum Mantra der frustrierten Eliten, die den inneren Dieter Bohlen beschwören. Solche Begegnungen häufen sich: Der Kollege, der die Medien verlässt, um ein Handbuch über eine Rand- und Funsportart zu schreiben, und der mir vorrechnet, dass er, wenn nur jeder dritte der deutschen Betreiber dieser gemütlichen Sportart das Ding kauft, genug Geld hat, um nie wieder arbeiten zu müssen. Dann stößt er einen Schwall von Kraftausdrücken aus, mit denen er seine ehemaligen Arbeitgeber und Kollegen bedenkt: Hass und nicht das Streben nach Glück waren sein wahrer Antrieb. Sicher gab es das immer schon: den mythischen Lottogewinn, der die Arbeiter dazu befähigen würde, eines Tages dem Chef die Meinung zu sagen; aber der war eben so selten wie eine gute Fee, eine ferne Hoffnung der körperlich hart arbeitenden Schichten. Nun sind es die Eliten des Landes, die an ihrem ganz persönlichen Ausstieg durch die Dachluke der Vermögenstabellen arbeiten.
Das Leben der Superreichen ist schön, solange man es in Farbe und zweidimensional studiert
Eine Autorin, die vor solch einer Entwicklung, vor dem Abhauen der Superreichen und solcher, die es werden wollen, warnt, ist die amerikanische Kolumnistin Peggy Noonan. Bereits vor anderthalb Jahren veröffentlichte sie einen düsteren Text über den "Separatfrieden", den die amerikanischen Eliten mit einem vermutlich unguten Schicksal schließen: "Ich hege den Verdacht, dass die Geschichte, auch die großen historischen Romane der Zukunft, zurückblicken und zu dem Schluss kommen werden, dass viele aus unseren Eliten beschlossen haben, einfach ihr Leben zu leben, während sie auf das nächste große Kapitel des Schreckens warten. (...) Sie sind Lobbyist oder Senator oder Büroleiter, Redakteur oder Spaßmacher in den Fernsehkulissen, Arzt oder Rechtsanwalt oder Chef eines Indianerstamms, und sie machen aus ihrem Leben eine kleine Festung. Das haben, glaube ich, viele aus unseren Eliten vor." Hier schreibt keine Attac-Aktivistin: Frau Noonan war in jungen Jahren Reagans Redenschreiberin und arbeitet, wenn sie nicht gerade die Republikaner berät, heute für das "Wall Street Journal". Das ist vielleicht die letzte Ecke, aus der Kritik an der Einstellung der ökonomischen und politischen Eliten noch wirksam und möglich ist. Alle anderen scheuen sich, so zu klingen wie Nazis und Stalinisten, bei denen die Rede von der Heimatlosigkeit des Kapitals und von der geheimen Agenda der weltweit Mächtigen zum Repertoire gehörte.
Geld essen Arbeit auf
Kein Mensch klingt gerne wie ein Steuerfahnder, wenn er mal danach fragt, ob nicht die Einkommen aus Erbschaften, Kapitalbesitz und Vermietungen, auch im Ausland, ebenso besteuert werden sollten wie die Einkommen der Arbeiter und Angestellten? Geld essen Arbeit auf: Noch 2000 wurde das Vermögen des Landes zu 72 Prozent von Arbeitseinkommen erzielt, im vergangenen Jahr waren das nur noch 62 Prozent; das Geld arbeitet immer mehr und immer besser.
Nun sollte man nicht der Arbeitsgesellschaft alten Typs nachweinen. Die tödliche Plackerei in Industrieanlagen war nicht das letzte Wort der Geschichte. Aber es ist nun dringend erforderlich, sich für das Geld und seine vielen Besitzer einen angemessenen Platz in der Gesellschaft auszudenken, statt deren Ausstiegsmöglichkeiten zu bejubeln. Denn reich sein macht dann am meisten Spaß, wenn das Land, in dem man lebt, nicht arm ist. Das rührendste, von allen Besuchern aus Übersee bewunderte Bild der bundesrepublikanischen Gesellschaft ist das kommunale Freibad, in dem sich alle Altersgruppen, Geschlechter, Rassen und Einkommensschichten vergnügen. Superreiche haben die Möglichkeit, eigene Superpools zu unterhalten. Aber das Bild von abgesonderten, von mehr oder minder zuverlässigen Privatwachleuten überwachten Villenvierteln, in denen je ein bis zwei Kinder in je einem Pool nebeneinander her planschen ist schon arg trostlos.
Die gern zitierte baudelairesche Trias "luxe, calme et volupté", aus der das Leben in der irdischen Version des Elysiums bestehen soll, schließt eben auch eine Menge aus: das Staunen über das Leben der anderen, die Poesie des unvorhersehbaren Alltags - all das, was die urbane Moderne kennzeichnet und attraktiv macht. Aus dem Spaziergang Leopold Blooms durch eine "gated community" wäre kein "Ulysses" entstanden.
Das Ideal der Autarkie ist im Superreichtum noch weniger zu erreichen
Das Leben der Superreichen ist schön, solange man es in Farbe und zweidimensional studiert, in den Sommerseiten der "Bunten". Unlängst aber hat mich der Zufall des Berufs an einen Tisch zum Abendessen mit zwei wirklich vermögenden internationalen Berühmtheiten, im übrigen sehr liebenswerten und intelligenten Zeitgenossen, geweht. Das Reisen an entlegene Orte war ihre Passion, ihr Vermögen und ihr bekannter Name brachten es aber mit sich, dass sie nicht mehr ohne bezahlten Schutz reisen konnten. Beim Stochern in ihren fettlos gegrillten Fischfilets tauschten sie sich über die Vorzüge verschiedener Leibwächterfirmen aus, ein Thema, zu dem ich herzlich wenig beitragen konnte, erst recht nicht, als es um die beträchtlichen Preise dieser Dienstleistungen ging. "Die Frage ist doch aber", resümierte einer der beiden die blöde Lage, "ob mir selbst zweitausend Dollar am Tag garantieren, dass der Typ die Kugel für mich abfängt." Eine Frage, die ich bei der normalen europäischen Polizei, wo man solche Summen im Monat verdient, vertrauensselig nie gestellt habe. Das zeigt auch, welchen Geistesfrieden ich für meine Steuergelder erwerben konnte.
Das Ideal der Autarkie ist im Superreichtum noch weniger zu erreichen. In der "Zeit" äußerte sich der Soziologe Thomas Druyen, der die Welt der Reichen erforscht, mit folgendem bemerkenswerten Zitat: "Die einen unterliegen dem Zwang des Broterwerbs, die anderen der immerwährenden Frage nach dem Lebenssinn."
Im Vorfeld der Markteinführung des Magazins "Rich", eines Hochglanzblattes, das man nicht kaufen kann, sondern das exklusiv an sehr vermögende Menschen ausgeliefert werden soll und im September startet, wurde eine Befragung unter reichen Deutschen durchgeführt und veröffentlicht, um potentielle Anzeigenkunden überzeugen zu können. Der Aussage, Geld mache das Leben leichter, konnten 82 Prozent der Reichen zustimmen. Allerdings fanden 14 Prozent, es mache das Leben komplizierter. Dass Geld das Leben glücklicher mache, glaubten nur zwei Prozent. Auch der Segen der Konsumgüter schien die meisten eher kühl zu lassen. Auf die Frage der Magazinmacher, ob sie denn vorhätten, sich bald etwas Schönes zu kaufen, etwa - neues Porzellan, eine Designerbrille oder ein Spitzenhandy - antwortete die große Mehrheit: "Ich will nichts davon kaufen."
So wie diese Gesellschaft auf engagierte Eliten angewiesen ist, so sind auch die Reichen und Superreichen auf eine sichere Gesellschaft mit funktionierender Infrastruktur angewiesen, auf eine öffentliche Sphäre, in der man nicht überall entführt zu werden droht; in der es schick ist, mit Hochgeschwindigkeitszügen zu Opern und Museen zu fahren, in denen auch normale Menschen sind; in der ein guter öffentlicher Nahverkehr die Stadt zivilisiert: Im reichen Bordeaux etwa wird die schicke neue Tram auch von den oberen Schichten geliebt und auswärtigem Besuch stolz vorgeführt. Nicht zuletzt wissen Reiche zu schätzen, dass es gute staatliche Universitäten in der Nähe gibt, in denen man, um der "immerwährenden Frage nach dem Lebenssinn" mal auf den Grund zu gehen, auch im Alter etwas über Heidegger erfährt, ganz umsonst.
Dieser Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung aus der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" übernommen.