Revoluzzer-Filmbiografie Eins, zwei, drei, viele Dutschkes!
Die Revolution schläft nicht, auch nicht beim Reinemachen. Mit Kippe im Mund trocknet der junge chilenische Student Gaston Salvatore Mitte 1967 das Geschirr ab, während er seinem neuen Freund Rudi Dutschke in dessen Berliner Wohnung eine Schrift Ernesto "Che" Guevaras zum Guerillakampf aus dem Spanischen direkt in die Schreibmaschine übersetzt.
Wie das Private das Politische prägt, dieses Leitthema jeder linken Weltbetrachtung, erfährt in der kleinen Küchenspielszene also eine angenehm ironiefreie Beweisführung: Abwasch und Aufstand - alles eins.
Momentan kann man in Steven Soderberghs Kinofilm "Che" dabei zuschauen, wie kleinteilig und zermürbend so ein Revoluzzeralltag zuweilen ist. Stefan Krohmers "Dutschke" wirft über Strecken einen ähnlichen unspektakulären Blick auf das Leben des Wortführers der deutschen Studentenrevolte; Politspektakel sehen anders aus. Dass der Protagonist dabei in friedlicher Heimarbeit ausgerechnet Guevaras kämpferischen Guerillaleitfaden "Schaffen wir ein, zwei, drei, viele Vietnam" übersetzt, ist natürlich mehr als ein schöner Zufall.
Das vom ZDF produzierte, lange erwartete Dokudrama, das am Montagabend beim Münchner Filmfest Uraufführung feierte, ist die erste große Filmbiografie über Rudi Dutschke. So unaufgeregt der Erzählton auch gehalten wird, dürfte das Werk doch für allerhand Widerstand sorgen - im Lager der Dutschke-Anhänger und dem seiner Gegner gleichermaßen. Denn die Polit-Ikone wird hier auf Menschenformat geschrumpft, Widersprüche in der Charakterisierung wurden nicht getilgt, und das kann den einen ebenso wenig gefallen wie den anderen.
Denn über wen reden wir, wenn wir über Dutschke reden? Über ein, zwei, drei, viele Dutschkes! Genau diesem Phänomen versuchen Regisseur Krohmer und sein Drehbuchautor Daniel Nocke in ihrer Filmerzählung gerecht zu werden. Dabei geht ihr 90-Minüter nicht einmal so sehr ins Panoramahafte, der Fokus ist recht konzentriert. Nach all den Dokus zum 68er-Jubiläum ist man als Zuschauer ja auch dankbar dafür, nicht die immer gleichen, mit "Street Fighting Man"-Riffs unterlegten historischen Straßenkampfimpressionen aufgetischt zu bekommen.
Das Politische - nach Krohmer und Nocke resultiert es immer aus dem Sozialen. Deshalb haben sie vor allem mit alten Weggefährten und Freunden Dutschkes gesprochen. In diesem engen Umfeld fanden sie die Projektionen und Paradoxien, die die Studentenbewegung in ihrer Gesamtheit charakterisierte.
"Dieses Hippiemädchen! Ausgerechnet an der blieb er hängen"
Denn wie war es zum Beispiel mit dem propagierten Respekt zwischen Mann und Frau? Unglaublich, wie verächtlich des Studentenführers früher Vertrauensmann Bernd Rabehl über Dutschkes Ehefrau Gretchen spricht, mit der der andere einen konventionellen kleinfamiliären Lebensentwurf verfolgte: "Dieses Hippiemädchen! Ausgerechnet an der blieb er hängen." Voller Traurigkeit berichtet da im Gegenschnitt die mit Dutschke befreundete Filmemacherin Helga Reidemeister: "Gretchen ist als Frau und als Mensch überhaupt nicht beachtet und erkannt worden. Wieso kann man diese Person so abspalten von dem, den man so verehrt?" Wie schmerzvoll da noch mal der Machismo der alten Straßenkämpferstenze aufblitzt!
Teilweise lassen die beiden Filmemacher die Zeitzeugen gar in einen erzürnten Ferndialog treten, etwa als es um die Frage der Militanz geht. Zentral in diesem Sinne ist die Szene mit Giangiacomo Feltrinelli, dem legendären italienischen Verleger und Revolutionär, der im Februar 1968 einen bis unter die Beifahrerbank mit Dynamitstangen gefüllten Kleinwagen vor Dutschkes Tür parkte (und sich vier Jahre später bei einem Anschlag auf einen Strommast selbst in die Luft sprengte). Über den Umgang mit der explosiven Spende für den Studentenwiderstand kursieren ganz unterschiedliche Versionen und Interpretationen.
Der Historiker Wolfgang Kraushaar etwa sieht bei Dutschke und seinen Leuten ganz klar eine Tendenz zur Militanz: "Er begab sich in Fahrwasser, wo es nicht nur darum ging, rhetorisch Gewalt zu predigen." Eine Behauptung, die der ehemalige Kampfgenosse Rabehl polemisch wegwischt: Ach, Kraushaar sei ja nur ein Mann der zweiten Generation, der kenne sich ja gar nicht aus. Privatfehden, wo man hinschaut.
Die sehr kurzweilig montierten Gefechte von echten oder vermeintlichen Intimkennern sowie das bewusst offene Ineinander von klassischer Geschichtswissenschaft und oral history führen geradewegs hinein in die Schlacht um die Dutschke-Deutungshoheit - und damit in die aktuell durch den Fall Kurras aufgeflammte Debatte über die Entstehung, Entwicklung und Lenkung der 68er.
Dabei gelingt es Krohmer (Jahrgang 1971) und Nocke (Jahrgang 1968), die bereits für ihre grandiose Sponti-Tragikomödie "Sie haben Knut" 2003 eine politische Bewegung in ihrem sozialen Erodierungsprozess gezeigt haben, das kleine Kunststück, ihren Protagonisten trotz all der unterschiedlichen Fremdzuschreibungen in den Spielszenen vom Fluch der ewigen Projektionsfläche zu befreien.
Gerade die vielen Vereinnahmungsversuche und Verwerfungen, die sich im Umfeld des Weltverbesserungsarbeiters zutrugen, bringen in extrem intimen Spielszenen die historische Strahlkraft Dutschke hervor. Der Mann, der mit seinem protestantisch Fortschrittsoptimismus irgendwie exotisch zwischen all dem erotisierten Glücksrittertum der damaligen Zeit wirkte, hat offensichtlich nie seinen Glauben verloren - wenngleich er nach dem Attentat auf ihn 1968, auch das zeigen Krohmer und Nocke, ziemlich isoliert da stand und von ehemaligen Weggefährten gemieden wurde. Grausam, wie ihm im Film von den K-Gruppen-Sektierern auf einer Demonstration der Saft abgedreht wird.
Wer die Parallelität von Pop und Politik bemühen will, kommt zu einem traurigen Befund: In den Charts hielt sich Dutschke nur einen Sommer - heute ist er trotzdem sowas wie ein Klassiker.
Es gab offensichtlich eine Art soziale Unbedingtheit, die sich bis in Dutschkes Privatleben zog. Dem Schauspieler Christoph Bach gelingt es, dieses Charakteristikum auf den Punkt zu bringen, und zwar nicht nur, weil er den Revoluzzer perfekt nachzuahmen versteht. Der hyperventilierende Dutschke-Sound ist da, der Scheitel hängt ihm wie auf all den berühmten Fotos verwegen im Gesicht, doch hinter dem Ikonographischen tritt bald dieser bis zur Halsstarrigkeit unbeirrbare Mensch hervor, der beim Windeln seines Sohnes ebenso mit kämpferischer Improvisationslust ernst machen zu wollen schien wie bei seinen unzähligen Protestmärschen.
Auch das ist eben eine der vielen Facetten in dieser Dutschke-Annäherung: der Revoluzzer als Familienvater. Das war im heißen Sommer vor über 40 Jahren ja nur für wenige Beteiligte eine ernsthafte Option. Rudi Dutschke war also schon ein sonderbarer politischer Posterboy. Denn so sehr er die Ära prägte, in der er lebte - als Männertyp schien er heillos aus der Zeit gefallen.