
Rezept für Eggs Benedict Ganz schönes Fett, Alter
Beim Emulgieren wächst zusammen, was nicht zusammen sein will: Fett und Wasser. Lipide, die Grundmoleküle von Fetten und Ölen, sind extrem wasserscheu (hydrophob). Und alles Wässrige scheut seinerseits die Verbindung mit Fett (lipophob). Wer schon mal beides zusammengeschüttet hat, weiß, dass Fett tatsächlich immer oben schwimmt. Damit die beiden zueinander finden können, braucht es amphiphile Substanzen, also Emulgatoren wie Sojalecithin, Guarkernmehl, Senf oder Xanthan. Sie verkuppeln unter Mithilfe heftigen Rührens und Schlagens das ungleiche Paar zu Mayonnaise, Schäumen, Mousses, Hollandaisen oder Vinaigrettes.
Die meisten dieser Liaisons beginnen als Öl-in-Wasser-Emulsion, bei der immer weiter und weiter mit dem Schneebesen geschlagen werden muss. Stets dabei: Fett, wässrige Flüssigkeit, Emulgator und Säure. Zunächst verteilt sich beim Schlagen das Fett zum Beispiel von Eigelben im gerne beigegebenen Zitronensaft oder Essig. Nach und nach binden sich mit Hilfe der Phospholipide im Ei (neben Cholesterol und Kephalin vor allem das Lecithin) beide Molekülwelten zu winzigen, stacheligen Tröpfchen, den Mizellen.
Verhedderte Eiweißketten
Jetzt wird langsam und zunächst in kleinen Mengen das fremde Fett eingerührt - Öl bei der Mayonnaise, flüssige Butter bei der im Wasserbad aufgeschlagenen Hollandaise oder Béarnaise. Die Strukturviskosität nimmt zu, die Emulsion wird zunehmend zähflüssiger, weil sich immer mehr Fettmoleküle an die Mizellen binden und sich auch die Proteinketten (Eiweiße) ineinander verheddern. Das Spiel geht unter sportlichem Rühren weiter, bis die Creme fast schnittfest geworden ist. Nebenbei werden hier auch Geschmackswelten vermählt: das Salz, das sich nur in Flüssigkeiten und nicht in Fett löst, oder die aromatischen Senfölglykoside, die von den Phospholipiden fein gebunden werden.
Auf Dauer ist dieses Legieren mit Frischei allerdings ein hygienisches Problem, denn länger als ein paar Stunden sollte frisches, aufgeschlagenes Ei nicht aufbewahrt werden. Die Lebensmittelindustrie behilft sich deshalb mit künstlichen Emulgatoren wie E 322 (industrielles Lecithin), E 471 (Mono- und Diglyceride von Speisefettsäuren), E 463 (Hydroxypropylcellulose), aber auch das gesundheitlich umstrittene Kaliumphosphat (E 340), mit dessen Hilfe das Wurstbrät für den "Light"-Aufschnitt mit der Emulgierung von Wasser zu fettarmem, wertlosem Schlankheitsquatsch aufgeblasen wird.
All das brauchen wir für unser heutiges Rezept natürlich nicht, denn wir schlagen ganz klassisch eine Sauce béarnaise auf - die kräuterig-säurebetonte Schwester der Hollandaise aus natürlichen Zutaten wie Eigelb, Essig, Estragon und geklärter Butter. Benötigt wird diese äußerst kalorienfreudige Creme für einen Klassiker des internationalen Hotelleriefrühstücks: Eier Benedikt, historisch gesehen eher Eggs Benedict, denn dieser morgendliche Sattmacher hat angloamerikanische Wurzeln.
20.000 Kalorien und mehr?
Erstmals auf den Plan trat die Zubereitung aus Ei, Schinken, Brot und holländischer Soße angeblich erstmals 1894 in New York - je nach Glaubensrichtung erfunden von Charles Ranhofer, dem Chefkoch des Delmonico's Restaurant als Reaktion auf das Gemecker des Gastes LeGrand Benedict (ein Bankier), ob es denn nicht endlich mal etwas Neues zum Frühstück gebe, oder es war die dezidierte Katerfrühstücksbestellung des Börsenmaklers Lemuel Benedict im Restaurant des Waldorf-Astoria-Hotels.
Wie auch immer das alles begann, Eier Benedikt ist bis heute nicht nur in Großbritannien und Amerika das Frühstück der Wahl für alle, die den Tag gern mit gefühlten 20.000 Kalorien beginnen wollen. Dass Fett tatsächlich ein Geschmacksträger ist, zeigen wir in unserer heutigen kleinen Fingerübung auf dieses Thema mit zu einer Eigelbhalterung aufgekrossten Tiroler Brettlspeckscheiben (das kalorienmäßig uninteressante Eiweiß lassen wir beim Pochieren einfach weg), die in Butter-Olivenöl-Mischung knusprig gebratenen Weißbrotsticks und vor allem die mit ebenfalls hohem Buttereinsatz und mit Hilfe zweier Eigelbe emulgierte Sauce béarnaise, die mit ihrer raffinierten Estragonwürze und ihrer klaren Essigsäurekante sogar noch so etwas wie ein wenig Raffinesse in diese Brunch-Bombe bringt.
Nicht gerade überraschend also, dass die Fettpresse Eggs Benedict eine der drei in US-Todeszellen meistgeorderte Henkersmahlzeit ist - als letzte Ölung.
Rezept für Eier Benedikt (Frühstück oder Snack für 4 Personen)
Vorbereitungszeit: 30 Minuten
Zubereitungszeit: 15 Minuten
Schwierigkeitsgrad: mittelschwer
Zutaten
Sauce béarnaise
2 EL Weißweinessig (kein Balsamico)
2 EL Wasser
2 EL klein gehackte Schalotten
3 EL frischer Estragon, fein gehackt
1 TL bunte Pfefferkörner, im Mörser leicht angedrückt
2 Stück sehr frische Eigelbe
125 g geklärte Butter
1 EL frischer Zitronensaft
je 1 Prise Salz, Zucker und weißer Pfeffer aus der Mühle
Speck & Eigelb
16 Scheiben Bauchspeck, dünn geschnitten (ideal: Tiroler Brettlspeck)
4 Stück Eigelbe
100 ml Weinessig
Brotsticks & Garnitur
4 Scheiben sehr frisches Kastenweißbrot
3 El Butter
2 EL Olivenöl
1 TL Fleur de sel
4 Spitzen Estragon
Zubereitung
Sauce béarnaise
Essig, Wasser, Schalotten, Pfefferkörner und 2 EL Estragon (die Mengen beziehen sich auf deutschen Estragon, die Kräuter aus Frankreich sind aromatischer und müssen niedriger dosiert werden) in Sauteuse aufkochen, Hitze reduzieren, auf die Hälfte einkochen. In runde Rührschüssel umfüllen, die in ein Wasserbad gehängt werden kann.
Großen Wassertopf auf 75 Grad Wassertemperatur erhitzen, Rührschüssel einhängen, Eigelbe zugeben und mit Schneebesen 7-8 Minuten stetig durchschlagen, bis die Masse dicklich wird. Lauwarme geklärte Butter erst in einem dünnen Strahl bei stetigem Rühren einlaufen lassen, anschließend den Rest zu einer luftigen Creme einschlagen. Die Masse darf nicht über 65 Grad erhitzt werden.
Creme durch Feinsieb ziehen, restlichen Estragon einrühren, mit Zitronensaft, Salz, Zucker und weißem Pfeffer aus der Mühle (oder Cayennepfeffer) abschmecken. Die Béarnaise entweder sofort servieren oder in Thermoskanne (oder Wasserbad bei 60 Grad) warm halten.
Speck & Eigelb
Je 4 Scheiben Speck sternförmig in einen kleinen Teller mit mittlerer Vertiefung (oder Eierbecher) drücken, mit zweitem Teller beschweren und im Backofen bei 110 Grad Umluft 35 Min. kross backen. Nach 25 Min. den oberen Teller entfernen.
Direkt vor dem Servieren den Essig in 1 Liter Wasser aufkochen, Topf vom Herd ziehen und die Eigelbe in die Flüssigkeit gleiten lassen. Evtl. mit Lochlöffel oder Teesieb fixieren. 2 Min. pochieren, vorsichtig die Eiweißreste unter fließendem lauwarmem Wasser entfernen.
Brotsticks & Garnitur
Kastenweißbrot in ca. 1,5 cm dicke Scheiben schneiden, Rinde entfernen und aus den Scheiben Sticks von ca. 1,5 cm Dicke und 8 cm Länge schneiden. Butter und Öl in beschichteter Pfanne erhitzen, Sticks darin auf allen Seiten goldbraun braten.
Anrichten
In vorgeheizte kleinere tiefe Teller je 2 EL Béarnaise streichen, Speck-Stern vorsichtig mittig einsetzen, je 1 pochiertes Eigelb sehr vorsichtig in die Mitte des Sterns legen und das Eigelb mit zwei Gabeln etwas auseinanderziehen, so dass ein bisschen flüssiges Ei austritt. Noch heiße Brotsticks anlegen, mit Fleur de sel würzen, mit Estragonspitze dekorieren und mit kleinen Esslöffeln (besser: Gourmetlöffeln) servieren.
Küchen-Klang
Wer viel auf Reisen ist, wird oft mit Eggs Benedict beim Hotelfrühstück konfrontiert - so auch die von den Seychellen stammende und derzeit in Zürich arbeitende Roots-Sängerin Bergitta Victor, deren drittes Album "On A Journey" (Jazzhaus) denn auch vom Umherziehen handelt und am intimsten und eindrücklichsten in den Momenten klingt, in denen Victors fragil-emotionale Stimme ganz allein zu Akustikgitarre zu hören ist. Wesentlich fetter, und damit mindestens ebenbürtig nah an unserem Eierthema, ist der Soul des Westindies-stämmigen Londoner Andrew Roachford, doch auch der erzeugt auf "The Beautiful Moment" (India) eben diese häufig im Zwiegespräch mit Klavier oder Gitarre.
Getränketipp
Zum Frühstück mit Benedikt passt ein kräftiger Café Americano dazu, als Snack zu späterer Stunde ein Glas kalter Kakao.