
Richtfest der Elbphilharmonie: "Superreiche Römer"
Richtfest der Elbphilharmonie Gegen Wind und Wirklichkeit
Da steht er, im schwarzen Maßanzug mit offenem weißen Hemd. Ein verschmitzter Schweizer mit Schutzhelm, der ins Schwärmen gerät. "Das sind doch unglaubliche Erfahrungsmomente, die hier den Menschen geboten werden", sagt Pierre de Meuron, ein Teil des Architektenduos Herzog & de Meuron, das die Elbphilharmonie entworfen hat.
Und in der Tat: Unglaubliche Erfahrungen haben die Hamburger mit ihrem Mega-Konzerthaus schon reichlich gemacht. Durchgedrückt haben ehrgeizige Projektentwickler und Stadtpolitiker das spektakuläre Wahrzeichen mit dem Versprechen, es werde mit Spenden finanziert und daher den Steuerzahler keinen Cent kosten. Mittlerweile sind für die Stadt Zusatzkosten von 323 Millionen Euro zu beklagen - weitere Millionen könnten folgen. Aber weder die aus dem Ruder gelaufenen Kosten, noch den um Jahre verschobenen Eröffnungstermin oder den unappetitlichen Streit mit der Baufirma Hochtief, bei dem es um angeblich fehlende Pläne und angeblichen Pfusch geht, möchte de Meuron am Tag vor dem Richtfest thematisieren.
Es sei ja bekannt, dass das Projekt "an einigen Stellen knirscht", erklärt der Sprecher der Hamburger Kulturbehörde und bittet "wirklich um Verständnis", dass sich der Architekt nicht dazu äußern werde. Nein, bei dieser ersten Führung durch den Rohbau des "Jahrhundertbauwerks" will sich der Schweizer ganz den schönen Dingen des Entwerfens und Bauens widmen.
Und so ist bei der Presseführung über die Baustelle die Rede von vertikalen und horizontalen Sichtachsen, vom Vexierspiel der gläsernen Fassade, von konkav gebogenen Rolltreppen. Von dem Konzertsaal als schwebendem Beton-Ei. Vom Fluss, der diese Stadt geteilt habe. Von diesem Gebäude, das wie ein "Pfahl" im Fluss stehe und den Hafen und die Stadt verbinde. Architektenpoesie, die den Blick von den irdischen Querelen auf die überirdische Schönheit der Vision lenken soll.
Stolz auf den Schlitz
Kleinlich, wie sie nun mal sind, fragen die Journalisten trotzdem nach dem Stress am Bau. Dann kneift Pierre de Meuron ein bisschen die Augen zusammen und sagt sehr freundlich sehr diplomatische Sätze wie: "Das ist ein anspruchsvolles Projekt und wir sind sicher, das auch realisieren zu können." Und widmet sich wieder der Vertikalen und der Horizontalen. Zum Beispiel auf der "Plaza", einer 35 Meter hohen Aussichtplattform, die die Backsteinfassade des alten Kaispeichers von dem bekannten Glaskasten mit Zipfeln trennt, den man bisher nur aus 3-D-Animationen kennt.
Diese beiden "Hauptbaukörper", erklärt de Meuron, "wurden leicht auseinander gehoben, damit dieser Schlitz, dieser öffentliche Raum entsteht." Man merkt: Auf seinen öffentlichen Schlitz ist der 60-jährige Stararchitekt besonders stolz. Denn an diesen Ort dürfen alle kommen. Nicht nur die Konzertbesucher, nicht nur die Gäste des 5-Sterne-Hotels oder die Bewohner der 45 exklusiven Apartments an der Stirnseite der Elbphilharmonie. Nein, jeder kann sich hierhinbegeben "und eben die Stadt genießen."
Ja, sie ist wichtig geworden, die Aussichtsplattform für Otto Normalsteuerzahler. Wie sonst sollte man ein so kostspieliges Mammutprojekt rechtfertigen? In einer Stadt, die gerade entdeckt hat, dass sie ein jährliches Haushaltsdefizit von 500 Millionen zu verkraften hat. In der gerade die Kita-Gebühren erhöht und ein Museum vorübergehend geschlossen wurde, wohl aus Kostengründen. Eine schwierige Aufgabe. Denn der Inbegriff des demokratischen Bauens wollte das Hamburger Landmark-Projekt wirklich nie sein, mit seinen Luxus-Loggien und seinem exquisiten Klassikkonzertsaal. Ein Monument des Erhabenen, des Exklusiven, des Weltklasse-Hochgenusses wollte man bauen. Den Investoren, die man in die Hafencity locken will, wollte man zeigen, dass es die Stadt wirklich ernst meint mit ihrem ehrgeizigen Entwicklungsprojekt.
Beeindrucktsein ist oberste Bürgerpflicht
Und so beschwören die Festredner beim Richtfest mit heiligem Trotz den Geist der Elbphilharmonie. "Man sieht die Seele Hamburgs von hier" ruft der Erste Bürgermeister Ole von Beust den rund tausend Gästen auf der "Plaza" zu. Dieses Bauwerk zeige jedem, "wie stark diese Stadt ist." Eifriger Applaus aus dem Publikum. Hier, 35 Meter über Normalnull, im trauten Kreis des Hamburger Geld- und Kulturadels, ist Beeindrucktsein oberste Bürgerpflicht. Auch, wenn die vielgepriesene Elbphilharmonie-Plattform mit ihrer wilden, höhlenartigen Betondecke und den großzügigen Aussichtsportalen ein wenig, na ja, zugig ist. Gelinde gesagt. Unten sieht man die Touristen im T-Shirt durch die sonnige Hafencity flanieren, hier oben wärmen sich die Festgäste an Kaffee-Pappbechern die Hände. Bis auf die rumänischen Bauarbeiter. Die stehen scheu in Grüppchen zusammen und trinken Bier aus Knollen. Standesgemäß.
Und so hat es ein bisschen etwas von einem hanseatischen Rütlischwur, dieses Richtfest. Trotz aller Widrigkeiten - man ist zusammengekommen, um sich einzuschwören. Mit trotzigen Sinnsprüchen. "Wir werden auch weiterhin den Wind von vorne ins Gesicht bekommen", erklärt Heribert Leutner, Geschäftsführer der städtischen Rege-Projektgesellschaft, die als Bauherr der Elbphilharmonie das Planungs- und Bauchaos nur mühsam in den Griff bekommt. "Gut Ding will Weile haben", gibt der Elbphilharmonie-Intendant Christoph Lieben-Seutter dem Bauwerk mit auf dem Weg. Wenn sie einmal fertig gebaut sei, so der jungenhafte Brillenträger, müsste auch der letzte zugeben, dass es ein "Haus für alle" sei. "Auch für die Herrschaften, die uns da unten ein Ständchen gebracht haben."
Unten, vor dem zukünftigen Eingangsportal, haben Mitglieder der Hamburger "Recht auf Stadt"-Bewegung Aufstellung genommen. In weißen Roben und mit Lorbeerkränzen um die Häupter singen sie auf die Melodie von "It's A Heartache": "Wir sind Römer, superreiche Römer, wir schlafen in Palästen und bauen die Elbphilharmonie." Und verteilen Flugblätter mit knackigen Empörungssätzen: "Was für eine dekadente Stadtentwicklung ist das überhaupt?" Am morgigen Samstag darf dann das Fußvolk einen Blick auf die spektakuläre Baustelle nehmen. Die 4000 Eintrittskarten, die vor ein paar Wochen im "Elbphilharmonie Kulturcafé" ausgegeben wurden, waren in drei Stunden vergriffen. Ob die Stimmung besonders festlich wird, ist unklar. Denn neben den Recht-auf-Stadt-Aktivisten hat sich auch eine "Bürgerinitiative gegen die geplante Erhöhung der Kita-Gebühren" Karten für die Volksbesichtigung organisiert. Vielleicht wird die Elbphilharmonie ja schneller als geplant zu einem Haus für alle.