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Performance-Kunst von Rimini Protokoll: Die ganze Welt ein Theater

Foto: Benno Tobler

Performance-Kunst von Rimini Protokoll Einmal Herta sein

Das Theaterkollektiv Rimini Protokoll inszeniert Stücke, in denen "Experten des Alltags" oder die Besucher selbst die Rollen der Schauspieler übernehmen. Jetzt zeigt das Regie-Trio seine Arbeiten erstmals in einer Ausstellung.

Das dreiköpfige Theater- und Künstlerkollektiv Rimini Protokoll ist seit rund 13 Jahren mit seinen interaktiven oder auch performativen Stücken erfolgreich, in denen nicht Schauspieler, sondern Leute wie du und ich agieren. Der Trick: Die Menschen, die das Regie-Trio auf die Bühne holt, bleiben meist in ihren gewohnten Rollen, sie erzählen in den Performances als "Experten des Alltags" aus ihrem Berufsleben.

Manchmal werden auch die Zuschauer eingebunden; die Grenze zwischen Zuschauer und Performer verwischt. In der "Welt-Klimakonferenz" stellen sie für Rimini Protokoll schon mal Delegierte aus (fast) der ganzen Welt dar. In "Hauptversammlung" von 2009 spielt sogar der ganze Daimler-Konzern mit, im eigenen Bühnenbild. Rimini Protokoll konfrontiert die Zuschauer in "Situation Rooms" von 2013 mit Kriegen und Waffen in penibel nachempfundenen Räumen wie dem Büro eines Waffenhändlers, dem Operationsverschlag eines Arztes in Sierra Leone oder dem Showroom einer Waffenmesse. Und in dem frühen Stück "Deutschland 2" von 2002 kopiert die Gruppe live gleich eine komplette Bundestagssitzung.

Jetzt zeigt Rimini Protokoll in Berlin seine erste Ausstellung im Kunstkontext, und zwar mit den vier oben genannten Werken, in dem relativ kleinen, nicht kommerziellen Berliner Raum Praxes.

Eine Ausstellung ohne Akteure und Aktion

Die Drei von Rimini Protokoll - Helgard Haug, Stefan Kaegi, Daniel Wetzel - haben das erste Kapitel ihrer Ausstellung im ersten Stock eines ehemaligen Gemeindehauses in Kreuzberg aufgebaut. Es ist bis 15. März zu sehen, danach wird zweimal umgestaltet - das sind dann Kapitel II und III.

Eigens für die Ausstellung ist nur die Präsentationsform der Videos, einer Installation und eines Modells entstanden. Ansonsten sind die Arbeiten bekannt, und einige der hier gezeigten Videos sind auch im Internet  bei YouTube und auf der Webseite von Rimini Protokoll zu sehen. 

Gleich beim Betreten des Ausstellungsraumes steht man fünf Monitoren gegenüber, auf denen sich Menschen mit wenigen Sätzen für die Rolle eines Bundestagspolitikers bewerben, dessen Beitrag zu einer Bundestagsdebatte sie in einer Art Reenactment nachsprechen wollen. Einige der 240 Bewerber stellen sich auf den Bildschirmen kurz mit ihren Berufen vor und nennen den Politiker, den sie gern "vertreten" würden, und die Gründe dafür. Eine Logistikberaterin aus Mainz ist auf "diese Eulenspiegelei" neugierig, sie möchte Herta Däubler-Gmelin nachstellen, weil die "sehr integer rüberkommt" und eine "rundum mitreißende Politikerin" mit Humor sei. Und der Psychologe einer Jugendeinrichtung wäre gern "Herr Merz von der CDU" und möchte mitmachen, weil er auch mal "kreativ in dieser Weise" auftreten möchte.

Über die Live-Kopie der kompletten Bundestagssitzung am 27. Juni 2002 in der Theaterhalle Bonn-Beuel erfährt man allerdings nichts in der Ausstellung.

Hinter den Videos ist eine Installation zum Stück "Welt-Klimakonferenz" aufgebaut. Die tatsächliche Konferenz fand im Dezember 2014 in Lima statt, mit 15.000 Teilnehmern aus 195 Ländern. Rimini Protokoll hat sie schon vorher als Simulation im Hamburger Schauspielhaus mit 650 Delegierten-Darstellern - den Zuschauern - und echten Experten aufgeführt (und zeigt sie auch weiterhin). Stellvertretend für das Stück hängen an zwei Stangen an unzähligen roten Bändern blaue Programmhefte für jede teilnehmende Nation mit grundlegenden Informationen zum Land. Was aber eine Klimakonferenz ist und was Rimini Protokoll in ihren Stücken durch Mitmachen, Miterleben, durch Aktionen, Teilnahme und Teilhabe vermittelt, erklärt sich durch die Installation nicht.

Ein kleines Modell ersetzt keine Interaktion

Und die Interaktion, die Einbindung des Besuchers oder Betrachters, die bei den gezeigten Arbeiten von Rimini Protokoll wesentlich ist, fehlt auch in der Arbeit "Situation Rooms". Ein kleines Modell mit 17 Räumen ist aufgebaut, in denen 20 Geschichten von Waffen, Gewalt und Kriegen erzählt werden. In der ursprünglichen Performance wurde man als Besucher per iPad durch das Raum-Labyrinth geleitet, begab sich auf die Spuren und in das Leben derer, die da auf dem iPad erzählten.

Auch in der Ausstellung kann man, zumindest virtuell, auf einem ausliegenden iPad zum Beispiel in den primitiven und winzigen Operationsraum des deutschen Chirurgen Volker Herzog eintreten, der für Ärzte ohne Grenzen in Sierra Leone gearbeitet hat. Was Herzog über die Grausamkeiten an der Zivilbevölkerung im Bürgerkrieg erzählt, lässt jeden Ausstellungsbesucher hilflos und wütend werden. Aber vor dem Modell fehlt eben die Komplexität des Zuschauens, Zuhörens und des Erlebens beim Rundgang.

Die Ausstellung sei weder Theater noch Archiv, so die Erklärung der "Praxen"-Kuratorinnen in ihrem Info-Blatt, sie ziele "vielmehr darauf ab, Dialoge zwischen Platzhaltern, ,Ich-Vertretern' oder anderen überraschenden Experten des Alltäglichen zu inszenieren". Was immer das heißen mag - die Frage bleibt, wie diese Ausstellung für einen Ausstellungsbesucher funktioniert, der die Stücke gar nicht kennt und gesehen hat.

Am besten eignet sich das Video "Hauptversammlung" (2009) für eine Ausstellung, das zusammen mit ausliegenden Informationen präsentiert wird. Das Event der Aktionärsversammlung im Berliner ICC fand unter Teilnahme von 150 Rimini-Protokoll-Besuchern statt und wird einschließlich des medialen Echos in Zeitungen und TV wie ein Readymade in der Kunst präsentiert - die Welt selbst ist halt doch ein großes Theater.


Rimini Protokoll. Praxes  - Center for Contemporary Art. Bis 13.6.

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