
Habecks Vorstoß zur Flüchtlingspolitik Es geschieht nichts, weil nichts geschehen darf


Junge auf Samos im Dezember: Mediales Meinungstennis
Foto: Michael Svarnias/ APRobert Habeck behauptet, die Lage in den Lagern auf den ägäischen Inseln "spottet jeder Beschreibung". Das tut sie nicht. Die katholische Theologie kennt zum Beispiel den sogenannten Limbus: Das lateinische Wort für "Saum" oder "Rand" beschreibt eine Vorhölle, reserviert für die Seelen ungetauft gestorbener Kinder. Der Weg in den Himmel ist ihnen versperrt. Es ist ein Ort, an dem die Verzweiflung gezielt auf Dauer angelegt ist.
Wer als Augenzeuge dort war, so wie ich im Herbst 2018, weiß: Moria auf Lesbos beispielsweise könnte durchaus als Mischung aus Gefangenenlager und Müllhalde beschrieben werden. Nach Schätzungen des griechischen UNHCR haben 85 Prozent der Menschen auf den Inseln Anspruch auf Asyl, stecken aber dennoch fest. Vorwärts geht es nicht, rückwärts darf es nicht gehen.
Selbst Erwachsene, die zu einer Existenz - Leben mag man es nicht nennen - in dieser "Gated Community" der Gewalt und Gesetzlosigkeit verurteilt sind, werden früher oder später irre. Mir erzählten damals Mitarbeiter von NGOs von der großen Suizidgefahr: Waschmittel müssten sie vor den Jugendlichen verstecken, diese würden versuchen, sich damit zu vergiften.
Nun hat der Vorsitzende der Grünen einen vorweihnachtlichen Vorschlag zur Güte gemacht. Um die schlimmste Not zu lindern, so Habeck, müsse Deutschland im Rahmen eines Soforthilfeprogramms "etwa 4000" unbegleitete Minderjährige aus dem Limbus befreien und ins himmlische Deutschland führen. "Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht." (Lukas 18, 16)
Es sei, so Habeck, ein "Gebot der Humanität". Nun gebietet die Humanität ja allerhand, und prompt wurde Habeck sein Mitmenscheln als schmutzige "PR-Aktion" ausgelegt. Wir Deutschen könnten nicht das Elend der ganzen Welt beseitigen. Helfen ja, aber vor Ort. Keine "Fehlanreize" für weitere Migration. Und so weiter.
Eine Art Kinderdeutschlandverschickung in kleinerem Maßstab forderte übrigens unlängst schon Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD). Einen vergleichbaren Aufschrei wie derzeit bei Habeck gab es nicht. Nur eine schmallippige Absage aus dem Bundesinnenministerium.
Wie überhaupt alles immer daran zu scheitern scheint, dass sich niemals alle darauf einigen können, wohin die Flüchtlinge zu verteilen wären. Solange es keine europäische Lösung gibt, wird es keine deutsche Lösung geben. Und solange es keine deutsche Lösung gibt, wird es keine niedersächsische Lösung geben. Also geschieht exakt: nichts.
Die zynische Pointe
Das mediale Meinungstennis, diesmal als Hin und Her zwischen angeblicher Tugend und angeblicher Vernunft, tritt wieder einmal an die Stelle von Politik, verstanden als die Kunst des Möglichen. Statt praktischer Maßnahmen gibt es frische Empörungsangebote in Form einer "Debatte", die allein zur Arrondierung der jeweiligen politischen Lager dient - während es in den ägäischen Lagern ungerührt Winter wird unter flatternden Plastikplanen.
Wenn nichts geschieht, dann deshalb, weil nichts geschehen darf. Das ist die zynische Pointe der aktuellen Spiegelfechterei um die minimale Geste, vielleicht ein wenig Druck vom Kessel zu nehmen. Der eigentliche Skandal ist der Kessel selbst, konstruiert und hingestellt und erhitzt von: Europa.
Das Grauen an seinem "Saum" ist gewollt, es soll abstrahlen in die Welt. Die Botschaft ist eindeutig: "Die ihr eintretet, lasst alle Hoffnung fahren". Hier zeigt das ansonsten so sehr in seine Werte verliebte selbst ernannte Abendland sein abschreckendes Gesicht.
Und das spottet, wenn man es aus der Nähe betrachtet, wirklich jeder Beschreibung.