"Romeo und Julia" in Hamburg Abtanzball statt Nachtigall

"Romeo und Julia": Tragisch? Wie witzig!
Die Musik donnert, dröhnt aus einem schwarzen Kubus, der von langen Ketten in den Theaterhimmel gezogen wird. Unter ihm tobt eine Horde tanzender Teenager in grellen Kostümen zur abgegriffensten Party-Nummer der letzten Jahre, "D.A.N.C.E." von dem französischen DJ-Duo "Justice". Willkommen auf dem Maskenball der Capulets! Hier mischen sich Romeo, Mercutio und Benvolio unters Partyvolk, hier begegnen sich Romeo und Julia zum ersten Mal.
Wie romantisch? Wie unangemessen.
Vor diesem Gebrüll verblassen die schönsten Töne der Liebestragödie, etwa wenn Julia Romeo zu überreden versucht, noch bei ihr zu bleiben, und es heißt: "Es war die Nachtigall und nicht die Lerche."
Den Maskenball als Clubnacht abzufeiern ist eine Art der Aktualisierung, die Regisseure bei Shakespeare ja auf ähnliche Weise immer wieder versuchen. Aus der gleichen Schublade dürfte die Idee kommen, die verfeindeten Häuser Capulet und Montague als Ghetto-Clans gegeneinander rappen zu lassen, wie es letzten Sommer am Maxim Gorki zu sehen war. Witzig oder cool sollen Shakespeares Figuren so wirken - und verlieren sich dabei allzu oft in Albernheiten.
Ein wenig gilt das leider auch für diese Inszenierung. Spät in der Nacht des Maskenballs verwandelt sich der Kubus in Julias Balkon, hoch über der Bühne schwebend, wo sie mit Romeo allein ist. Endlich die Möglichkeit, dem Thema des Stücks näher zu kommen - einer Liebe, die über allem steht. Doch auch diese Szene kommt nicht ohne Kalauer aus. Romeo baumelt mit ausgestreckten Armen drei lange Minuten am Geländer, bis er sich mit einem Klimmzug zu Julia emporzieht, um ihr einen letzten Kuss abzuringen. Noch mehr zu lachen gibt es bei der Amme, gespielt von Irene Kugler. Rasend opfert sie sich für Julia auf, ist die komischste Figur des Stücks, fasst sich zum Beispiel ständig an ihre großen Brüste; in solchen Momenten verwandelt sich das Schauspielhaus in ein Volkstheater.
Auch Shakespeares sexuelle Anspielungen kommen nicht zu kurz. Benvolio etwa langt mit einem beherzten Griff zwischen Romeos Beine, wenn er wissen will, warum die Liebe ihn denn nun so quäle. Die moderne und leichtgängige Übersetzung von Sven-Eric Bechtolf und Wolfgang Wiens verheimlicht wenig.
So hetzt dann das Personal von Effekten und Pointen getrieben durch das Stück. Langweilig ist das nicht, aber auch nicht ergreifend, verstörend oder gar schön. Julia Nachtmann spielt ihre Namensvetterin allzu selbstsicher. Bei ihr scheint zum Verlieben kein irritierender Moment zu gehören, kein Schock, keine Verunsicherung, sie ist kokett und kalkulierend, eine Beziehungsmanagerin. Aleksander Radenkovic spielt einen ebenso souveränen Flirt-Romeo.
Auch die Hitler-Jugend spielt mit
Ein ausgewogeneres Liebespaar hat Regisseur Klaus Schumacher jüngst auf der Nebenbühne, dem Malersaal, mit seinem "Hamlet" geschaffen. In der frei umgestellten Fassung tritt vor allem die Liebesgeschichte zwischen Ophelia und dem Titelhelden hervor. Nach dieser hinreißenden Inszenierung glaubte man, mit "Romeo und Julia" könne ihm ein großer Wurf gelingen. Doch der Leiter des Jungen Schauspielhauses findet für "Romeo und Julia" nicht die inszenatorischen Mittel, um die Kraft des zum Scheitern verurteilten Liebespaares zu entfesseln.
Stattdessen erweitert er "Romeo und Julia" um eine Truppe von fünfzehn blassen Burschen, die sogenannte "Brut", eine Art Chor des Bösen. Sie schauen aus wie die Hitler-Jugend, sprechen kein Wort, und als Romeo Julias Vetter Tybalt ersticht, beschmieren die Jungen sich mit dessen Blut. Sie sind die ersten, die zu Beginn des Stücks zu sehen sind, sie kriechen aus dem Kubus hervor wie eine schleimige Masse. Sie verbildlichen nicht nur die Fehde, die das Gerüst für das gesamte Stück bildet, sondern auch die Masse der Mitläufer, der Unkritischen. Ständig laufen sie den Sprechenden hinterher. "Die Brut" ist jene unberechenbare Macht der Verhinderer und Beharrer.
Die alten Capulets wiederum sind zwei vor Egozentrik rasende Neureiche in pastellfarbenen Anzügen. Sandra Maria Schöner und Jürgen Uter (mitsamt Ray-Ban-Brille) keifen und streiten um die Wette, drücken Julia mit ihren Forderungen nach Gefügigkeit zu Boden - bis sie sie in die Flucht schlagen. Die Unglückliche wird sich Gift geben lassen, das sie 42 Stunden schlafen lässt. Als Julia in der letzten Szene neben dem vergifteten Romeo aufwacht, der sich das Leben nahm, weil er Julia für tot hielt, spricht sie ihre letzten Liebesschwüre, bevor sie sich mit einem Dolch ersticht.
Nun herrscht Totenstille im gesamten Theater. Den letzten Auftritt hat Fürst Escalus (Achim Buch). Fassungslos resümiert er das Ausmaß der Tragödie. Das Publikum des komplett ausverkauften Schauspielhauses bricht wenige Sekunden später in tobenden Beifall aus - für das Ensemble ebenso wie für das Regie-Team.
Der Abend wird sich also sicherlich gut verkaufen und setzt dem Premieren-Hagel am Thalia Theater unter Neu-Intendant Joachim Lux etwas entgegen. Vielleicht hält die Inszenierung deswegen so wenig verstörende Momente bereit - weil sie alles richtig machen musste.