S.P.O.N. - Der Kritiker Auf, ihr Schafe, nieder mit der Macht!

Entschuldigen Sie bitte, wenn es schon wieder ums Fernsehen geht, aber es ist eben gerade Wahlzeit, Kampagnenzeit, da muss man auch mal dranbleiben. Da muss man wieder und wieder und wieder draufhauen. Es ist beim ZDF wie bei einem dicken Elefanten: Die spüren einfach nichts mehr.

Was bisher geschah? Thomas Bellut soll Intendant der großen Demokratiemaschine ZDF werden (ohne das ZDF würde mindestens die westliche Zivilisation zusammenbrechen), in einer Wahl, die nach dem guten alten Demokratieprinzip vorgeht: Ein Kandidat, Jubel, Tusch, Akklamation, der Herrscher winkt dem Volk zu. Claudius Seidl vom Feuilleton der "FAS" kam das Verfahren etwas seltsam vor und meldete sich selbst per Zeitungstext als Kandidat an.

Die Reaktion? Es gibt eine Unterstützerseite auf Facebook, es gibt erste Medienberichte, es gibt Briefe, die einen erreichen, in denen man für seinen Mut gelobt wird, weil man über etwas schreibt, über das man sonst so gern schweigt. Aber ist das schon mutig in einer freien Gesellschaft? Aber irgendwie klingen diese Briefe auch nicht, als seien sie in einer freien Gesellschaft geschrieben worden, sondern in der Sowjetunion, wo schwarze Listen kursierten, Freunde Freunde verrieten und ein Regiment der Angst herrschte.

Und das ZDF, also die Macht, was macht die? Die macht das, was sie am besten kann: Sie schweigt.

Ich weiß nun nicht, ob Thomas Bellut das "New York Magazine"  abonniert hat, mir jedenfalls hat mein nicht staatlich subventionierter Arbeitgeber ein Abonnement bezahlt, und die aktuelle Ausgabe, die diese Woche eintraf, hat gleich so gute Laune gemacht, dass ich an den schweigenden Bellut vom Lerchenberg denken musste. Es geht nämlich im "New York Magazine" ums Fernsehen - und mit welchem Selbstvertrauen, mit welcher Verve, mit welchem Optimismus da über Stars und Serien geschrieben wird. Das zeigt mal wieder: Das Versagen des deutschen Fernsehens ist ein Verrat an der Demokratie, weil es die Menschen mit Verachtung straft.

Es geht ja nicht nur um Qualität, hin oder her. Es geht noch nicht mal darum, ob nun Fußball für 40 oder 50 Millionen Euro eingekauft werden soll oder nicht. Es geht um die ganz elementare Frage, in welcher Welt wir eigentlich leben. Und es geht um Feigheit. Welche Welt darf man den Zuschauern zumuten? Sie sind ja Schafe, die Zuschauer, die darf man jetzt bloß nicht mit irgendwie komplizierten Sachen verunsichern. Lieber ein paar mehr radelnde Nonnen mit leicht bayerischem Zungenschlag.

Das deutsche Fernsehen verrät sich selbst

Aber bloß nicht die Geschichte eines krebskranken, mit Drogen dealenden Chemielehrers. Bloß nicht die Geschichte von Tara, einer Frau mit einer multiplen Persönlichkeit. Bloß nichts über tätowierte Biker oder einen Psychoanalytiker mit eigenen Problemen. All das ist Fernsehen in Amerika: "Breaking Bad", "United States of Tara", "Sons of Anarchy", "In Treatment". Fernsehen für Erwachsene. Fernsehen, wie wir es wollen, wie wir es brauchen: als Narrativ, als Korrektiv, das uns die komplizierte, sich wandelnde Welt erklärt, in der wir leben. Das Versagen des deutschen Fernsehens ist ein Verrat an sich selbst.

Denn das Fernsehen, daran will ich kurz erinnern, war ja mal eine Art Utopie, bevor es ein Fest für die Kulturpessimisten und schließlich aufgegeben wurde, wie ein Floß aus morschen Brettern, stinkenden Kadavern und faulenden Vorräten, das hinaus aufs offene Meer treibt. Auch die Menschen vom ZDF müssen solche Kulturpessimisten sein, die das Fernsehen hassen, denn sie behandeln ihr Programm so, als sei es stinkender Unrat.

Nichts ist da jedenfalls von diesem wunderbaren, widersprüchlichen Aufklärungspathos, mit dem die Amerikaner seit ein paar Jahren das Fernsehen wiederentdecken: als zeitgemäße Form, ein paar elementare Fragen einer Gesellschaft auf unterhaltsame, anspruchsvolle Art zu klären. ZDF und ARD wirken dagegen wie die Deutsche Bahn. Sie haben sich längst aus dem Kerngeschäft verabschiedet. Sie sehen nicht mehr die eigentliche Position des Erzählmediums Fernsehen innerhalb des medialen Angebots. Sie wollen etwas anderes sein. Die Deutsche Bahn wollte ein Weltkonzern werden. ARD und ZDF wollen das Internet erobern. Und lassen dabei die Zuschauer allein auf dem Bahnsteig zurück.

Jede Form von Kreativität wird unterdrückt

Im "New York Magazine" wurde nun sehr einfach und doch einleuchtend erklärt, wie es zu dem amerikanischen Fernsehboom gekommen ist. Die Lösung lautet: The creator as star. Der Autor als Star. Klar, irgendwo muss es ja anfangen. Ich weiß nicht, ob in den letzten Jahren mal jemand beim ZDF das Wort kreativ in den Mund genommen hat. Ganz sicher behandeln sie die Schreiber nicht wie Stars. Aus den Briefen, die einem deutsche Drehbuchautoren schreiben, schlägt einem vor allem Selbsthass entgegen. "Schmierfinken" ist da noch harmlos, "Huren" trifft es schon eher.

Es kann doch einfach nicht sein, dass das so weitergeht mit dem zynischen, menschenverachtenden öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Mit dem Schweigen und der Arroganz der Macht. Sie sind ein Produkt der alten BRD. Sie haben über Jahre und Jahrzehnte ein System errichtet, das jede Neuerung, jede Form von Kreativität, Mut, Abweichung aussondert, bestraft, unterdrückt. Das Problem liegt erst einmal nicht darin, was aus den selbst so genannten Sendeanstalten kommt. Das Problem ist, wie es dort drinnen aussieht. Das muss sich ändern.

Und deshalb ist diese nordkoreanische Heimlichtuerei, mit der Thomas Bellut inthronisiert werden soll, so ärgerlich. Die Wahl ist ausgerechnet am 17. Juni, dem Jahrestag des Arbeiteraufstands in der DDR 1953. Es ging bei dem Protest darum, die Ignoranz und die Arroganz der Mächtigen zu brechen.

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