S.P.O.N. - Der Kritiker Der Krieg der Linken

Machen wir uns schuldig, wenn deutsche Piloten Bomben auf Libyen werfen? Oder wenn sie es nicht tun? Die Regierung Merkel verhält sich in dieser Frage mal wieder prinzipienlos. Ganz anders die Linke: Sie verheddert sich gerne in den Widersprüchen dieser Welt.

Der Westen bombt, und Deutschland schaut zu. Der Westen tötet, und Deutschland schweigt. Der Westen macht sich schuldig, und Deutschland fühlt sich gut. Das ist die Lage in Libyen. Der Krieg des Westens gegen Gaddafi markiert die Rückkehr der Moral in die Außenpolitik.

Lange hielt man die Regierung Merkel für pragmatisch, lobte sie für ihren neuen, nüchternen Politikstil: Die letzte Woche hat mal wieder gezeigt, dass sie nicht pragmatisch ist, sondern prinzipienlos. Die letzte Woche hat auch gezeigt, dass die sogenannte Rechte, dass die sogenannten Konservativen alle ethische Glaubwürdigkeit verspielt haben, die sie für sich reklamiert haben.

Die Krise der Rechten ist eine Krise ihrer Unfähigkeit zur Moral. Der Krieg gegen Gaddafi ist ein Krieg, der das Konzept des Gerechten Krieges, das George W. Bush gekapert hatte und für seinen neokonservativen Expansionstrieb nutzbar machen wollte, für die Linke rettet. Es ist ein Krieg, der im Namen der Freiheit, der Solidarität und der Menschenrechte geführt wird. Es ist ein Krieg der Linken.

Schuldig unschuldig - die Tragödie des 21. Jahrhunderts

Die Linke teilt die Welt nicht in Gut und Böse. Die Linke kennt ein paar Prinzipien und stellt sich der Frage, wie man sie umsetzt und sich dabei möglichst wenig in den Widersprüchen dieser Welt verheddert. Aber sie sieht diese Widersprüche. Sie zieht im Grunde ihre Kraft aus diesen Widersprüchen: Wenn wir uns einmischen, machen wir uns schuldig; wenn wir uns raushalten, machen wir uns auch schuldig.

Unschuldig schuldig, das war die Tragödie der Antike. Schuldig unschuldig, das ist die Tragödie des 21. Jahrhunderts. Es gibt einen Film, der gerade ins Kino gekommen ist und diese Tragödie durchspielt. "In einer besseren Welt" heißt er. Die dänische Regisseurin Susanne Bier hat dafür den Oscar für den besten fremdsprachigen Film bekommen. Sie hat die Widersprüche der Moral gesucht, sie hat Sophokles und Strindberg kombiniert - und in der Familie das Weltgericht gefunden.

Als Film ist das etwas berechenbar; als Kammerspiel einer Ethik des 21. Jahrhunderts ist das durchaus beeindruckend. Bier erzählt die Geschichte zweier Söhne und ihrer Väter. Der eine Sohn wird in der Schule gemobbt, der andere Sohn hilft ihm, mit durchaus exzessiver, aber effektiver Gewalt. Der Vater des schwachen Sohnes ist Arzt und Pazifist, der Vater des gewalttätigen Sohnes ist reich und passiv. Die Pointe des Films ist, dass es der Pazifismus ist, der in die Katastrophe führt.

Widersprüche vorführen

Einmal ist der Arzt direkt beteiligt, einmal indirekt. Zu Hause in Dänemark führt er den beiden Jungen vor, was es heißt, auch die andere Backe hinzuhalten - was bei den Jungen Verwunderung und auch Verachtung produziert und in einem beinahe tödlichen Gewaltexzess endet. In Afrika, wo er arbeitet, entscheidet sich der Arzt, das Leben eben jenes Mannes zu retten, der so hemmungslos vergewaltigt und gemordet hat und dafür verantwortlich ist, dass der Arzt fast jeden Tag aufgeschlitzte und verstümmelte Frauen versorgen muss.

Auch die Afrikaner reagieren mit Verwunderung und Verachtung. Bis eben jener Humanismus und Pazifismus des Arztes dazu führt, dass der Schlächter, der Schurke auf einmal hilflos vor der Meute liegt - die ihn erschlägt wie ein Tier. Der Arzt, der diese Situation provoziert hat, dreht sich weg, er ist unschuldig schuldig, Opfer seiner eigenen hehren Moral.

Die Gewalt war hässlich und falsch, hat aber Ordnung und Gerechtigkeit hergestellt. Der Pazifismus war edel und gut, hat aber zum barbarischen Bruch mit der Zivilisation geführt. Susanne Bier bezieht hier nicht Position. Sie führt die Widersprüche vor. Sie ist dabei rigoros, wie es vielleicht nur Nordländer können. Sie glaubt nicht an Wahrheit. Sie glaubt nicht an Richtig und Falsch. Aber sie bleibt deshalb nicht passiv, sie bleibt nicht teilnahmslos. Sie hat im Grunde nur eine Botschaft: Du musst tun, was du tun musst.

Alles andere ist Versagen. Alles andere ist Schuld. Das sind die Widersprüche, vor denen einen kein Mandat des Uno-Sicherheitsrats schützt.

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