S.P.O.N. - Der Kritiker Ich will einen Clown, keinen Kaiser

Urlaub von der Gegenwart: Der Ururenkel des Kaisers heiratet, der öffentlich-rechtliche RBB überträgt den Schmonzes drei Stunden live. Mit seinem Neo-Preußentum befeuert der Sender die konservative Kritik an der Moderne - und stellt den Adeligen wieder einmal als besseren Menschen dar.

Mein Lieblingspreuße steht am Schloss Sanssouci. Er steht dort bei Sonne und bei Regen, er steht an der Auffahrt, wenn man vom Parkplatz kommt, wo es Currywurst gibt und Cola. Er trägt eine etwas vermooste Perücke und einen Mantel, der aussieht, als sei er gerade aus einem Grab geklettert, und wenn er, was er meistens tut, auf seiner silbernen Querflöte spielt, er soll ja Friedrich der Zweite sein oder so, dann klingt das so traurig, dass ich den Mann sofort umarmen und auf ein Glas Holundersaftschorle einladen will. Das ist mein Preußen. Eine Clownsnummer vor historischer Kulisse.

Da können sie noch so viel von Arkadien zirpen, da können sie noch so viel königliches Porzellan verkaufen, da können noch so viele Briten dicke Bücher schreiben, die erkunden, wie aufgeklärt und tolerant dieses tote Regime nun eigentlich war. Es bleibt staubig, es bleibt spießig, und dass jetzt der Fernsehsender RBB schon vorab auf seiner Web-Seite darüber berichtet, dass all die Frauen Hüte tragen werden, wenn an diesem Samstag der Kaiser in der Friedenskirche von Sanssouci heiratet - oder nicht der Kaiser, sondern sein Ururenkel? -, dann macht das die Sache nicht besser.

Ist das schon öffentlich-rechtlicher Bildungsauftrag in der Welt von Hartz IV und PISA?

Entspannung für die Sinne, Urlaub von der Gegenwart

Hüte, wow, wer hätte das gedacht. Das können wir uns ja alle gar nicht vorstellen, weil wir keine Manieren haben, weil wir unpünktlich sind, unzuverlässig und faul, weil wir keine gemeinnützige Stiftung haben und unsere Familien nicht 950 Jahre alt sind, sondern zweifach geschieden. Schon die Namen der zu Vermählenden, Georg Friedrich Prinz von Preußen und Sophie Prinzessin von Isenburg, haben doch eine unglaublich beruhigende Wirkung, das kann man doch vor sich hin singen, Georg Friedrich Prinz von Preußen, Georg Friedrich Prinz von Preußen, das ist doch was anderes als der immer gleiche Rap, nur Euro-Bonds, Euro-Bonds, Euro-Bonds; Prinz von Preußen, das ist doch Entspannung für die Sinne, eine alte Allee, Urlaub von der Gegenwart.

Und das sucht man ja, weil die Gegenwart mit ihren Krisen und Veränderungen wie ein Brausewind über uns hinweg fegt. Das will man ja, weil es immer einfacher ist, in der Vergangenheit nach Verlorenem zu suchen als in der Zukunft nach Lösungen. Darauf einigt man sich gerade, nicht nur im RBB und bei den Menschen, die am Samstagvormittag zwischen 11 Uhr und 14 Uhr die Live-Übertragung so einer Hochzeit anschauen. Sondern auch bei jener Mittelschicht, die lieber Fontane liest als fernsieht. Wer durch die Mark Brandenburg wandert, so der Gedanke, der klaut uns wenigstens nicht als Hedgefond-Gierschlund unser Geld. Hier reichen sich der Neo-Wilhelminismus der Yello Press und der Antikapitalismus der Besserverdienenden lachend die Hand.

Ein Clown unter anderen

Der Adlige als besserer Mensch, diese absurde, geschichtsvergessene Volte prägte schon die Diskussion um den Widerstand im Dritten Reich. Jetzt kehrt dieser Gedanke wieder, dieses Mal verpackt ins Kostüm einer konservativen Kritik an der Moderne. "Wir haben uns verführen lassen, wir haben uns benutzen lassen", so klingen die Selbstbezichtigungen, die tatsächlich Ehrenrettungen sein sollen: Es war der Neoliberalismus, nicht der Konservativismus, der all das Elend mit den Aktien und den Märkten und überhaupt angerichtet hat. Wir waren im Grunde immer dagegen. Wir waren wieder mal das bessere Deutschland. Die Moderne wird dabei, wie gerade in der aktuellen "Zeit"-Titelgeschichte, als Nasenbär durch die Arena gezerrt, als Ekelobjekt einer Schicht, die sich ihr gutes Gewissen, so stand es dort, "leisten kann".

Und deshalb ist es schon gut, dass der RBB viel Zeit und Geld dafür verschwendet, den Kaiser zu verheiraten, also den Ururenkel vom Wilhelm Zwo. Sollen sie doch ihre Re-Borussifizierung abfeiern. Sollen sie doch sehen, wo sie mit einem Antimodernismus hinkommen für all die, "die es sich leisten können". Die Männer werden Cut tragen, die Frauen Hüte, die RBB-Kommentatoren werden atemlos sein und stramm stehen.

Mein Freund, der Flötenspieler, wird an diesem Samstag aber wahrscheinlich nicht vor Sanssouci stehen. Er würde stören. Dabei wäre er nur ein Clown unter anderen.

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