S.P.O.N. - Fragen Sie Frau Sibylle Du schnarchst, und dafür liebe ich dich

Im Schlager heißt es, eine neue Liebe sei wie ein neues Leben - darf ich darauf vertrauen? Kann mir ein neuer Mensch an meiner Seite mehr Zuversicht geben und mir die Einsamkeit nehmen? Zu Weihnachten eine Richtigstellung in Sachen Neu-Verlieben.

Du liegst da, du schnarchst, oder ich bilde mir ein, dass du Geräusche machst, die man deutlich hört, weil es draußen so still ist, als wären nur wir übrig? Das ist diese Festzeit, die Jahresendzeit, wo die Welt starr ist vor Angst, weil wieder alles vorbei ist, sich nichts geändert hat. So sitzen sie in ihren Wohnungen, die dunklen Höhlen gleichen, nach Nahrung riechen, nach Zimtzeug riechen, alles riecht wie eine schwere Wolke aus Mensch und Trägheit, weht nicht mal, steht in den Höhlen, und draußen ist alles tot.

Draußen ist nichts, außer Stillstand und dem Warten, dass diese furchtbare Zeit vorübergehen möge und alles von vorne beginnt.

Von vorne, da will ich nicht dran denken. Du machst Geräusche, und ich denke kurz, dass ich nie mehr einen anstarren werde im Schlaf, berauscht von seiner Anwesenheit. Du bist ein Tisch geworden, und es ist Jahresende, da räumt man auf und um und raus, was die Sicht versperrt. Und denkt, man könnte ja noch mal zum Anfang gehen.

Wenn doch sonst schon alles gelaufen ist, könnte doch ein neuer Mensch das Leben, das garantiert wieder beginnt, demnächst, zu etwas Lautem werden lassen. Und du schnarchst. Manchmal in der Nacht, wenn du denkst, ich schlafe, deckst du mich zu. Wenn ich mich zu weit aus dem Fenster lehne, fasst du mich ängstlich um den Leib. Du kochst Dinge, die furchtbar schmecken, du kleckerst beim Essen, und ich kenne alle deine Witze. Es sind immer dieselben, wir lachen seit Jahren darüber.

Wir haben eine Sprache, die keiner außer uns versteht, sie ist bescheuert, und wir denken wie alle Paare, das sei einzigartig. Du hast neben mir gesessen im Krankenhaus, und ich wusste nicht, wie ich dich beruhigen sollte.

Das neue Leben könnte in einer Villa stattfinden. Mit einem Menschen, dessen Haare noch voll sind, dessen Hosen ich nicht kenne, dessen Familiengeschichten mir neu sind, und draußen sind alle tot. An manchen Tagen sehe ich dich nicht mehr, eben wie den Tisch, den wir nie hatten, weil wir nicht gewusst hätten, was man damit tut. Wir essen im Bett, du kleckerst, ich wische dir das Gesicht, es ist wie meins, ich spüre Verletzungen, die du hast. Aufregend ist das nicht.

Und nun schnarchst du nicht mehr, im Schnee draußen läuft einer. Vermutlich lebt er allein. Alles ist noch möglich für ihn, er war an einem Kiosk Kaffee holen. Mit dem geht er in seine Wohnung, die ist leer, außer einem prächtigen Tisch ist sie leer, die Wohnung. Da sitzt er mit dem Kaffee an seinem Tisch, und der Schnee fällt, und er schaut aus dem Fenster und mag sich denken: "Irgendwo da draußen wartet einer. Mit ihm werde ich ein wildes und verrücktes Leben führen, er wird mich aus diesem Alltag wegbringen. Ich werde nie mehr allein in meiner Küche sitzen mit diesem Scheißkaffee, und den Weg zur U Bahn, den muss ich dann auch nie mehr gehen, weil ich dann endlich nicht mehr allein bin."

Dann, später, schläft er ein, der Mensch, mit kalten Füßen, den Aschenbecher zu dicht, und es zieht doch immer in dieser furchtbaren Wohnung, und warum er am nächsten Tag aufstehen soll, das mag ihm nicht einfallen.

Du schnarchst nicht mehr, du machst die Augen auf und siehst mich. Und die Welt ist komplett, weil ich da bin, nicht ertrunken in der Nacht, nicht weggelaufen mit einem, der keine Geräusche macht. Und du wirst mich zudecken, ich werde dich zudecken, weiß geht die Welt unter. Ich habe geträumt, dass du ein Tisch bist und ich ein neues Leben anfangen muss, jetzt bist du munter, und ich danke dir für dich.

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