S.P.O.N. - Fragen Sie Frau Sibylle Wir brauchen den Hass
Vor den gerodeten Bäumen des Stuttgarter Schlossgartens stehen fünf Menschen, sie haben grüne Luftballons in der Hand, es regnet, es ist kalt, und sie haben nichts erreicht. Die Erregung ging ins Leere, das große Gefühl endet mit einem Luftballon. Da wird nun ein hässliches Loch in der Stadt sein, über Jahre, und jeder Spaziergang an der Baustelle entlang wird Adrenalin freisetzen.
Ferner in dieser Woche: Ein Präsident, der einigen dann doch nicht passt, weil, egal. Dieser alberne Beruf des Kindergarten-Einweihers ist allein wegen des formidablen Jahreseinkommens ins kollektive Bewusstsein geraten. Bei Geld, das andere bekommen, ist der Ärger programmiert. Und.
Ein Autor hat ein neues Buch geschrieben und wurde in die braune Ecke gestellt. Bei brauner Ecke oder Geschlechtsverkehr-Verdacht mit Braunen ist das größtmögliche Interesse des deutschen Volkes gewährleistet, da rauscht es im Wald. Da genügen Überschriften, da muss man nicht mehr wissen. Ein Feuer, es brennt, hurra, da ist Leben drin, nur nicht nachfragen, nicht nachforschen, das ginge zu einfach. Ein Klick und da stünden Millionen Fakten, verzettelten sich im Nirgendwo, die Wut verrauchte, das will doch keiner. Ein Zuviel an Wissen verunmöglicht den Zorn.
Zur Erinnerung (und weil allein der Name so sinnlose Erregung produziert): Von 1000 Menschen, die Autor Sarrazin zutiefst hassten, hatten drei sein Sachbuch gelesen. Das macht doch auch keinen Spaß, diese buchhalterische Langeweile, immer dieses Gesicht mit dem Bart vor Augen. Das Elend der Menschen ist, dass sie Tiere mit einer Meinung sind. Und dass sie bereit sind, dafür zu töten, für dieses kleine Rauschen im Kopf.
Es gäbe Millionen interessanter Untersuchungsfelder. Die Wirkung von Drogen auf das menschliche Gehirn als Katalysator von Herrenmenschenphantasien wäre eines. Doch das ist zu unübersichtlich, da kennt man sich nicht aus. Und wo kämen wir hin, wenn alle den Gründen ihrer Wut, ihres so schön grollenden Gefühls, nachgingen. Was wäre das für eine langweilige Welt, was würde die Waffenindustrie machen, nicht auszuhalten der Verlust für die Volkswirtschaft. Wir brauchen den Hass, wir brauchen dringend Wut, sie treibt uns an, sie hält uns am Leben, am Konsumieren, am Demonstrieren, erreichen tut man nichts damit.
Die Ballons, der gerodete Schlosspark, sicher erreicht keiner etwas mit dieser Wut, die im All verraucht, und am Ende steht nur wieder ein Grabstein über einer Leiche. Ein Mensch war wütend und nun ist er von uns gegangen. Wie sie alle immer gehen, und keine Spuren hinterlassen. Außer einem Prozent hinterlässt doch keiner irgendetwas von Bedeutung, außer Dreck bleibt von den Menschen nichts. Außer zubetoniertem Mist bleibt nichts von uns. Damit muss man doch bitte mal zurechtkommen. Dass wir so vollkommen bedeutungslos sind und nicht einmal einen Baum retten können oder einen Präsidenten stellen.
Und darum wollen wir so wenig wissen wie möglich, um uns erregen zu können. Sehen Sie mich an, wie ich auf einem Stuhl stehe, und meinen Ärger in die Welt schreie, die sich weiterdreht.
Nicht einmal lächeln tut sie.