S.P.O.N. - Helden der Gegenwart Occupy Berlin, Klaus!
Lieber Klaus Lemke,
was soll ich mitbringen? Reicht eine Daunenjacke, oder brauche ich eine Isomatte, ein Zelt, einen Campingkocher? Und was machen wir, damit uns nachts die Zehen nicht abfrieren? Die Nasenspitze, der nackte Arsch?
Ich habe eine SMS von Dir bekommen. Du hast anlässlich der Berlinale zu "Occupy Berlin!" aufgerufen. Am 9. Februar willst Du Berlinale-Leiter Dieter Kosslick zeigen, wo er Dich kann, am Arsch nämlich. Und weil ein Arsch für einen Mann nicht genug ist, wäre es natürlich super, wenn viele Leute zum roten Teppich kämen, zu Deinem Protestakt gegen das "Obrigkeitskino".
Du bist sauer. Oh, was bist Du sauer! Weil Kosslick erneut Deinen Film nicht in sein Programm genommen hat. "Berlin für Helden" heißt dieser und ja, er ist so nah an dem, was Berlin ist, was es ausmacht - da können die Dietls dieser Welt noch so viele Millionen in die Hand nehmen, an Deine Kraft, Deine Ehrlichkeit und Deine Erkenntnis werden sie niemals heranreichen, selbst dann nicht, wenn ihnen ihr Film gelänge.
Zugegeben, "Finale" von 2006 war noch besser. "Finale" ist das Meisterwerk Deiner zweiten Lebenshälfte. Und es gehört zum Besten, was deutschen Regisseuren seit dem Tod von Fassbinder gelungen ist.
Seit den sechziger Jahren machst Du Filme. Das Werk Deiner frühen Jahre ist heute Kult. Kaum ein Filmemacher, der Dich nicht für "Rocker" verehrt, für "Paul", für Deine Poesie des Scheiterns. Du hast die besten deutschen Komödien der Siebziger gedreht, Cleo Kretschmer und Wolfgang Fierek bekannt gemacht. Ohne Dich würde Iris Berben heute wohlmöglich in Schwabing hinterm Tresen des "Iris-Stüberl" ihr Geld verdienen. Oder im Waschsalon "Edelweiß". Mit 60 Jahren, im Jahr 2000, bist Du zurückgekommen mit Deiner Idee von Kreativität und Existenzialismus. Du lehnst jegliche staatliche Filmförderung ab, als wären die Moneten verseucht. Machst in der Subventionierung das Ende der Kunst aus, der künstlerischen Freiheit, das Ende der Lebendigkeit.
Du machst deinen Kram
Deine Filme sind selbstfinanziert, irgendwoher treibst Du die Kohle auf, um jedem, der mitmacht, 50 Euro am Tag zu zahlen. Hätte das Internet dem Pornomarkt nicht die Luft genommen, würde ich annehmen, Du finanziertest Deine Filme durch den Dreh von Trash-Pornos in Rumänien. So aber bleibt die Frage nach dem Woher. Du sagst, durch Herstellung von Werbung. Aber was für Werbung soll das sein, Klaus Lemke, wo Dir aller Glanz, alle Oberfläche verhasst ist?
Egal. Du machst Deinen Kram. Machst "Berlin für Helden" oder benutzt mit "Finale" die Fußball-WM in Deutschland für Dein Porträt suchender Jungerwachsener, dass es ein Wunder ist, dass die Fifa nicht auf die Idee kommt, Dich zu verklagen. Du bist rau und eindringlich, brutal und fast schonungslos. Keiner fängt den Charme des Verlorenen so poetisch ein wie Du. Du bist der Meister des Vergeblichen.
Und dabei bist Du laut. Kotzt, wann es geht, den Etablierten vor die mit Budapestern beschuhten, eingeschlafenen Füße. Weil sie Geld verteilen, weil sie Geld annehmen. Du sagst, "Wir bauen die schönsten Autos, wir haben die schönsten Frauen. Aber unsere Filme sind wie Grabsteine" und stampfst wie Rumpelstilzchen, dass einer wie Kosslick Dich nicht in seine Mitte lässt. Der Ort, der Dir so verhasst ist.
Dabei ist die Erklärung einfach: Leute wie Kosslick haben Angst vor Dir. Du bist der Stachel in ihrem wohlgenährten Fleisch. Du bist die Erinnerung an das, was sie mal waren. Als auch ein Kosslick noch von Idealismus getränkt war, daran glaubte, dass Film die Welt verändern kann. Als er noch wusste, dass die Kunst kein Geld braucht und das Beste aus dem Wenigen, dem Zuwenigen entsteht. Als er noch angewidert war von den Satten, denen, die meinen, ihr Geld regiere die Welt. Heute regiert es Kosslick.
Wutschrift gegen das Staatskino
Zuletzt hast Du beim Filmfest Hamburg 2010 laut geschimpft. Bist mit Deinem heißen Hauptdarsteller-Duo gekommen, mit einem Schildchen in der Hand, auf dem stand: "Papas Staatskino ist tot". Das "Hamburger Manifest", Deine Wutschrift gegen die, die sich und ihre Filme in Deinen Augen vom Staat aushalten lassen, hat damals Wellen geschlagen. Und Watschen.
Jetzt bist Du wieder da. In einem Alter, in dem Deine Kollegen abends am Kamin in ihrem Fotoalbum blättern, bist Du wütender denn je, wie es scheint. Dein Film, die große Liebe Deiner späten Jahre, "Berlin für Helden" muss fernbleiben, von dem Ort, zu dem man die bedeutenden Filmemacher einlädt: der Berlinale. Von der Du sagst, sie sei "vital wie ein beamtetes Rundfunkorchester". Deshalb kommst Du mit Deiner Entourage, bestehend aus dem, was die Zukunft des deutschen Films darstellen könnte. Junge Frauen und Männer, reich an dem, was Dein größtes Gut ist: Furchtlosigkeit.
Vielleicht, lieber Klaus Lemke, bin ich einfach ein wenig zu verknallt in Dich, vielleicht machen mich Deine blauen Augen zu sentimental, als dass die Vernunft mir sagen würde: Bleib bei diesen Temperaturen doch lieber zu Hause, was geht dich der Kampf von Lemke an! Stattdessen ist mir die Lösung des Kälte-Hintern-Problems eingefallen: Wir schmieren unsere Ärsche mit Fettcreme ein. Damit Dieter Kosslick den Anblick möglichst lange genießen kann.