S.P.O.N. - Der Kritiker Bereit, die Welt zu umarmen
Ich mochte Marc Fischer, und ich glaube, er mochte mich auch, aber das kann ich natürlich nicht wissen, denn ich rede mit Leute nicht über so etwas, weil ich denke, entweder ist es so oder eben nicht, und er redete mit Leuten nicht über so etwas, weil er dachte, es wird schon so sein - und jetzt ist er tot, er hat sich vor etwa einem Jahr umgebracht, und seine gesammelten Reportagen erscheinen, und als ich sie gestern Nachmittag durchgelesen habe, da lag ich auf meinem Bett, weil mir mein Rücken weh tut, und ich hatte auf einmal wieder gute Laune, es war, als habe jemand ein paar Wolken vor meiner Brille verrückt.
Das war Marc Fischer.
Er trug immer eine Kappe oder einen Hut oder so etwas, wohl eher einen Hut, aber vielleicht täusche ich mich da auch, auf jeden Fall trägt er einen Hut auf dem Foto, das hinten auf dem Buch drauf ist und auch sofort gute Laune macht, weil man ein paar vietnamesische Felsen sieht im Hintergrund und Marc Fischer dort so steht, wie ein Mann auf einem Boot stehen sollte, sehr entspannt und auf alle Fälle bereit, die Welt zu umarmen.
Ich nehme euch nicht so ernst
Er trug auch immer ein Lächeln, das schien manchmal ein wenig zu groß für ihn zu sein, als müsse er irgendwen oder sich selbst überzeugen, dass alles wirklich so ist, wie es sein Lächeln versprach - sein Lächeln war dabei nie falsch, glaube ich, es war schon ehrlich und so gemeint, und er lächelte ja auch auf diese etwas schiefe Art, die man übrigens auf dem Foto auf dem Buch gut sieht, diese Art, die einem sagt, schaut her, ich nehme euch nicht so ernst und euer ganzes Theater, ich nehme aber auch mich nicht so ernst, wie ihr euch selbst ernst nehmt.
Ein Strudel eben.
Und der zieht an einem, wo er doch nur fliegen wollte. Er wollte leicht sein, schweben, frei sein, frei, frei, frei und auf jeden Fall woanders, und diese Leichtigkeit, diesen Flügelschlag, diesen Freiheitsdrang, diesen Welthunger haben auch die Geschichten, die jetzt erscheinen, über die Yes Men, die Beastie Boys, die Exilregierung von Somalia, den Mann, der nicht schwitzte, Ernest Hemingway, Michael Stipe, Kate Moss, Karaoke, Schwitzen in Japan, James Dean, Joseph Roth oder die verdammte Frankfurter Buchmesse - na ja, in Wirklichkeit waren es natürlich alles Geschichten, die von Marc Fischer handelten, was nur erklärt, warum sie so gut sind, diese Geschichten, so traurig auch manchmal, so beschwingt, verrückt, verloren, so riskant nicht in der Form, sondern in dem Leben, das hinter diesen Geschichten steckt, das durch diese Geschichten scheint, das einen in diese Geschichten, in diesen Strudel hineinzieht.
"Die Sache mit dem Ich", so heißt dieses Buch, und es wäre natürlich schade, wenn man das, diese Sache mit dem Ich, immer noch erklären müsste, nach all den Jahren, nach all dem, was passiert ist, nach den neunziger Jahren, in denen ein paar Mutige angetreten sind, um den Journalismus zu verändern, ihn auf das Niveau der USA von 1960 zu bringen oder von Weimar 1920 - aber irgendetwas fehlte, irgendetwas ging schief, jedenfalls waren die Mächte der Beharrung so stark, jedenfalls war die Provokation, die keine war, so groß: Und so muss man es eben immer noch erklären, die Sache mit dem Ich, bei der es nicht darum ging, grundlos Narzissmus oder Subjektivität zu feiern, sondern mit diesen Mitteln und auch einer Portion Fun und Verzweiflung den Panzer dieser Welt zu knacken, die zusammengehalten wird, mühsam, mit dem Diktat der Objektivität und der Angst davor, dass irgendjemand diesen Spuk mal entlarvt.
Wie weit würden wir gehen?
Und so stellen die Geschichten von Marc Fischer eben auch ein paar Fragen an uns Überlebende: Wie viel wollen wir riskieren, wie weit würden wir gehen, wie wichtig ist uns unsere Sicherheit, wie groß ist die Sehnsucht, von anderen geliebt zu werden dafür, dass wir das Gleiche machen wie sie? Es sind Geschichten über die Medienwelten, in denen wir uns verheddern, es ist ein Buch über die Zwänge, die wir uns selbst auferlegen, es war ein Leben, das viel komplizierter war, als es schien, was wunderbar ist, wenn es gut geht.
Dass sich all diese Fragen erst jetzt so stellen, wie sie sich stellen, nach Marc Fischers Tod, ist natürlich dumm und traurig, andererseits sind Tote leider auch dafür da, dass sie uns ein paar Fragen hinterlassen. Marc Fischer hat aus solchen Fragen sogar ein ganzes Buch gemacht, 2010 erschien "Fragen, die wir unseren Eltern stellen sollten (solange sie noch da sind)", und 2011, einen Monat nach seinem Tod, erschien "Hobalala", seine Suche nach João Gilberto und dem Bossa Nova, eine Suche auch nach dem Wesen der Welt, natürlich, und eine Suche, die, natürlich, ohne Ende und Ergebnis bleiben musste.
Diese Offenheit ist es, die ich an Marc Fischers Schreiben mag. Man könnte es auch Ratlosigkeit nennen. Aber das sind ja die schönsten Menschen: Die, die im Grunde nicht wissen, was sie tun.