Schimpfwort-Urteil in den USA Schöne @&$#¿¥%!

Keine endlosen Bleep-Arien mehr, keine zensierten Live-Shows: Dank einer Gerichtsentscheidung darf im amerikanischen Fernsehen wieder geflucht werden. Das letzte (Schimpf-)Wort ist aber noch nicht gesprochen. Die prüde Zensurbehörde FCC rüstet bereits zum Gegenschlag.

Die diesjährigen MTV Movie Awards waren das übliche Chaos aus Profanität und Ulk. Schock-Comedienne Sarah Silverman, die Moderatorin des Abends im Gibson Amphitheatre in Universal City von Los Angeles, trällerte zum Auftakt einen Song, bei dem die Zensoren der zeitverzögerten "Live"-Übertragung am Sonntag allein sechsmal "fucks" und "shits" ausbleepen mussten. Später proklamierte ein torkelnder Jack Nicholson, als Sieger für "Bester Bösewicht": "I don't give a fuck!"

US-Komikerin Sarah Silverman (bei den MTV Movie Awards): Endlose Bleep-Parade

US-Komikerin Sarah Silverman (bei den MTV Movie Awards): Endlose Bleep-Parade

Foto: AP

Und so ging es munter weiter. Das Publikum im Saal durfte sich am Unflat delektieren, derweil sich die TV-Zuschauer daheim mit einer endlosen "Bleep"-Parade begnügen mussten. Die sittenstrenge US-Kommunikationsbehörde FCC, Rächerin für entblößte Nippel und entgleiste Zungen, hatte die unartige MTV-Generation fest am Wickel - und, wortwörtlich, den Finger am Drücker.

Doch nicht mehr lange. In einem dramatischen Grundsatzurteil bekam die FCC gestern eine scharfe Rüge verpasst, von einem Berufungsgericht in New York. Das erklärte Flüche wie "fuck" und "shit" nach Jahren der immer schärferen Zensur durch Washington nun wieder für erlaubt im Äther. Damit gab es den TV-Networks ABC, NBC, CBS und Fox Recht, die sich über die eskalierenden Eingriffe der FCC in ihr Programm beklagt hatten - und über eskalierende Geldbußen, selbst für umgangssprachlichen Wortmüll.

Oder, um es mit dem U2-Sänger Bono zu sagen, der den ganzen Schlamassel im Januar 2003 bei der Golden-Globe-Verleihung mit einem spontanen Freudensausbruch lostrat: "This is really, really, fucking brilliant!"

Kuhscheiße in der Prada-Tasche

Wie immer in solchen Fällen, wenn sich hohe Gerichte an den kulturellen Niederungen der Jugendgesellschaft versuchen, kam am Ende eine Realsatire heraus. So verlinkte die "New York Times" den O-Ton des Urteils auf ihrer Website nur mit Verletzungswarnung: "Dieser Text enthält möglicherweise anstößige Sprache." Fürwahr: Die Richter schrieben auf 53 Seiten unter dem Aktenzeichen 06-1760 insgesamt 23-mal "fuck" und 15-mal "shit" - als wollten sie die FCC nur noch extra reizen.

Stein des Anstoßes war besagter Bono-Ausruf. Zahlreiche Zuschauer der NBC-Übertragung beschwerten sich damals bei der FCC über "fucking". Die Behörde fand daran anfangs nichts Anstößiges; Bonos Worte seien "flüchtig und isoliert" gewesen, keineswegs "sexueller Natur", was die Zensoren auf den Plan gerufen hätte. Fünf Monate später jedoch revidierte die FCC: "Fuck" in "all seinen Varianten" sei "eine der vulgärsten, krassesten und explizitesten Beschreibungen sexueller Aktivität", ekelten sich die Sittenwächter.

Von einer Strafe sahen sie dennoch ab. Statt dessen ordneten sie an, "Live"-Übertragungen fortan um ein paar Sekunden zu verzögern, um missliebiges Vokabular notfalls auszublenden.

Trotzdem rutschten immer wieder "F-Words" durch - und dergleichen. Party-Starlet Nicole Richie trötete bei den Billboard Music Awards 2003: "Habt ihr mal versucht, Kuhscheiße aus einer Prada-Tasche rauszukriegen? Ist nicht so fucking einfach." Ein Kandidat der Reality-Show "Survivor" beschimpfte einen Rivalen im CBS-Frühstücksfernsehen als "bullshitter". Beliebt waren auch die Cops der inzwischen ausgelaufenen Krimiserie "NYPD Blue", die "bullshit", "dick" und "dickhead" im TV-Abendprogramm erst salonfähig machten.

Obszönes Schwein in der Stube

All diese Beispiele zitiert das Gericht munter - und mit erkennbarem Amüsement. So schrieb die Vorsitzende Rosemary Pooler unter Hinweis auf den zum Klassiker erhobenen Kriegsfilm von Steven Spielberg: "Obwohl die Kommission alle Varianten von 'fuck' und 'shit' also für mutmaßlich unanständig und profan erklärt hat, war der wiederholte Einsatz dieser Worte in 'Der Soldat James Ryan' weder unanständig noch profan." Eine Beobachtung, die in Hollywood gut ankam, wo die Autoren-Gewerkschaften in lauten Jubel ausbrachen.

Der Krieg zwischen Moralaposteln und Fluchfreunden ist in den USA nichts Neues - und auch kaum eine Spezialität der christlich-konservativen Regierung George W. Bushs. Der erste Aufsehen erregende Fall kam der FCC 1975 ins Visier, unter dem Republikaner Gerald Ford. Damals ging es um den Satiriker George Carlin, der bei einem nachmittäglichen Radio-Monolog sieben "Drecksworte" dekliniert hatte: "shit", "piss", "fuck", "cunt" (Fotze), "cocksucker", "motherfucker" und "tits".

Die FCC erklärte Carlins Liste für "widerwärtig", da sie "sexuelle und anale Aktivitäten und Organe" beschreibe. Der Streit schaukelte sich bis zum Obersten US-Gerichtshof hoch, der der FCC schließlich Recht gab: Die Kommission dürfe durchaus verhindern, "dass ein Schwein in die gute Stube kommt", ohne konkret nachzuweisen, "dass das Schwein obszön ist".

Aber auch unter dem demokratischen Präsidenten Bill Clinton waren die Sittenwächter aktiv. 1996 erließ der Kongress ein Gesetz, der anstößiges Material im Äther und im Internet unter Strafe stellte.

Unter Bush und dem republikanischen Kongress wurden sich die FCC-Bußgelder selbst für Ausrutscher im Fernsehen oder Radio dramatisch erhöht. Schimpfworte sind dort grundsätzlich zwischen sechs Uhr früh und 22 Uhr abends verboten. Allein 2004 - im Jahr von Janet Jacksons "Nipplegate" bei der Super-Bowl-Halbzeitshow - verhängte die FCC aufgrund von 1,4 Millionen Einzelbeschwerden, Geldbußen von insgesamt fast acht Millionen Dollar. Im ersten Halbjahr 2006 waren es ebenfalls bereits rund vier Millionen Dollar.

Sechsmal "fuck" am Nachmittag

Das Berufungsgericht legte nun erst mal einen Bremsklotz vor diesen Trend. Die Richter erinnerten die FCC an deren eigene, uralte Formulierung von "flüchtigen" Flüchen, gegen die man nichts einwenden dürfe. Sie verwiesen zugleich auch auf den "V-Chip", mit dem Eltern bestimmte TV-Programme gezielt blockieren können, auf die immer größere Zahl an Kabel- und Satellitenkanälen sowie auf die kaum mehr zu regulierende Infokrake Internet. All das habe "die Zuschauer ermächtigt, selbst zu entscheiden, was sie im Fernsehen sehen wollen und was nicht".

Doch das letzte (Schimpf-)Wort ist natürlich längst nicht gesprochen. Janet Jacksons "Garberobendefekt" von 2004, der eine Welle schärferer Bußen auslöste, steht demnächst vor einem anderen Berufungsgericht zur Verhandlung an. Und während die Networks das jetzige Urteil beklatschten, schrie die FCC vor Empörung laut auf - und droht nun notfalls mit dem Gang vors US-Verfassungsgericht.

"Ich kann nur schwer verstehen, dass das New Yorker Gericht amerikanischen Familien sagt, man könne ohne Weiteres 'fuck' und 'shit' sagen", schäumte FCC-Chef Kevin Martin. Er tat das in einer Presseerklärung, die das Wort "fuck" sechsmal enthielt und das Wort "shit" viermal. Und das mitten am Nachmittag.

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