Schöne Bescherung bei Anne Will Höchste Zeit für die Weihnachtspause
Der Mensch ist ein träges, zugleich durchaus anpassungsfähiges Wesen. Das gilt selbst in Zeiten jener Finanz- und Wirtschaftskrise, die sich zum weltweiten Alptraum zu entwickeln droht. Im vierten Krisenmonat hat man immerhin schon eine gewisse Routine entwickelt. Die Einschläge kommen näher, doch an die lärmende Geräuschkulisse hat man sich schon fast gewöhnt. Das tägliche, genauer: stündliche Trommelfeuer der schlechten Nachrichten - Jetzt wird alles noch viel, viel schlimmer! -, die wilde Konkurrenz der schwärzesten Prognosen, der Wettlauf um die schrillste Untergangsphantasie - all das erzeugt auch eine psychologische Gegenreaktion.

Moderatorin Will mit Gästen: Stimmung im Eimer?
Foto: NDR"Bevor die Killerwogen der Monsterrezession über uns zusammenbrechen", sagt sich das Volk von Flensburg bis Füssen beim Frühstück, "gehen wir lieber schnell noch mal einkaufen." Erst recht in der Weihnachtszeit. Es soll sogar Menschen geben, die von einer Krise überhaupt nichts wissen wollen.
So sind die überfüllten Fußgängerzonen, Kaufhäuser und Einkaufspassagen auch eine Demonstration gegen den hysterischen Alarmismus, der genau jene Verunsicherung hervorruft, die er anschließend als Krisenphänomen beklagt.
"Das Weihnachtsgeschäft wird miserabel", prophezeite Handelsexperte Ulrich Eggert im neuen SPIEGEL: "Die Stimmung ist im Eimer." Dass offensichtlich das Gegenteil der Fall ist, wie auch das zweite Adventswochenende wieder bewiesen hat, stört derlei selbsternannte Fachleute nicht, deren persönlicher Geschäftserfolg vor allem von der öffentlichen Wahrnehmung ihrer lautstarken Kassandrarufe abhängt.
"Mehr Geld für alle - schöne Bescherung gegen die Krisenangst" lautete am Sonntagabend Anne Wills Antirezessionsmantra, und gleich zu Beginn präsentierte sie Yetkin Hepaydinli, Betriebsrat bei Osram, auf dem weißen Betroffenensofa. Die ausführliche Ein-Mann-Volksbefragung ergab: Vorübergehende Kurzarbeit droht ihm wie seiner Frau. Sehr viel mehr war ihm auch bei der zweiten und dritten Fragerunde auf dem Sofa nicht zu entlocken, lässt man den beherzten und allzu verständlichen Wunsch nach höheren Löhnen einmal beiseite.
Der erste Einspielfilm rief noch schnell den Kessel Buntes aus Konsumgutscheinen, Konjunkturprogrammen und Steuersenkungen ins Bewusstsein, der derzeit über der nationalen Rettungsflamme köchelt - dann aber sollte Ordnung in die wüste Gemengelage gebracht werden. Um es vorwegzunehmen: Am Ende der knappen Talkstunde ging es leider, leider noch mehr drunter und drüber als zu Beginn, und wie beim Amen in der Kirche landete man selbstverständlich bei Hartz IV, dem neuen deutschen Maskottchen neben dem Bundesadler.
Vielleicht lag es diesmal ja doch überwiegend an den Gästen, die, halten zu Gnaden, dann noch eher die zweite und dritte Garde repräsentierten. So sehr man der Gysis und Lafontaines überdrüssig geworden ist - von einer ehemaligen Staatskundelehrerin der DDR, die einst in Erich Honeckers Sozialistischer Einheitspartei Deutschlands (SED) aktiv war und heute Mitglied der Linken ist, erwartet man denn doch keine substantiellen Diskussionsbeiträge zur Bekämpfung der globalen Wirtschaftskrise, selbst wenn sie als Vorsitzende des deutschen Arbeitslosenverbands auftritt und Marion Drögsler heißt.
Auch Philipp Mißfelder, 29, Vorsitzender der Jungen Union, Merkel-Zögling und frischgebackenes Mitglied des CDU-Präsidiums, blieb blass - "Wir müssen das Vertrauen der Bürger stärken". Götz Werner, milliardenschwerer Gründer der Drogeriekette DM, verhedderte sich ein ums andere Mal zwischen Mehrwertsteuererhöhung, Steuerentlastung, Hartz-IV-Verdammung ("Ein Skandal!") und seiner Talkshow-notorischen Forderung nach Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle Bürger. Selbst der Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin, sonst für jede politisch unkorrekte Provokation zu haben, zeigte diesmal nicht wirklich klare Kante. Immerhin sagte er etwas, was Politiker praktisch nie sagen: "Wir wissen es nicht."
Will sagen: Wir wissen es wirklich nicht genau. Es kann so oder so kommen. Der Rest ist allenfalls eine mehr oder weniger begründete Spekulation. In dieser strukturellen Unsicherheit müssen gleichwohl folgenschwere politische Entscheidungen getroffen werden.
Wie spannend hätte es sein können, an diesen Gedanken anzuknüpfen. Doch auch Dirk Niebel, Generalsekretär der FDP, wäre für eine derartig nachdenkliche, offene Debatte die falsche Besetzung gewesen. Im einstudierten Partei-Stakkato betete er die liberalen Glaubenssätze von "Struktur- statt Konjunkturprogrammen" bis zur "Senkung der Lohnnebenkosten" herunter, und auch wenn beileibe nicht alles falsch war, was er sagte, so trug auch er dazu bei, dass das Gespräch im provinziellen Klein-Klein versandete.
Dass die fatale Logik der Krise in den komplexen weltweiten Abhängigkeiten besteht, dass also auch ihre Bekämpfung zumindest in europäischen Dimensionen gedacht werden muss, geriet so völlig aus dem Blick.
Lieber ließ man einen Weihnachtsmann auf der Berliner Friedrichstraße mit einem 200-Euro-Schein paradieren. Ergebnis: Die meisten Befragten würden das Geschenk annehmen - und auf die hohe Kante legen.
Wie ein unabsichtlich ironischer Kommentar wirkte da jener kurze Einspieler, in dem fast alle Befragten auf der Straße äußerten, von einer Krise bislang noch nichts gespürt zu haben. Viel Lärm um nichts? Höchste Zeit für die Weihnachtspause.