Georg Diez

S.P.O.N. - Der Kritiker Der christliche Trick

Eine Grundlage des christlichen Glaubens lautet: Wer sich schuldig macht, kann beichten - so verringert sich die Schuld. Aber was ist dann mit dem Holocaust, der Existenzgrundlage des heutigen Deutschlands?

Es ist eine seltsame Sache mit der Schuld: Sie hat eine eigentümliche Dynamik - die Vorstellung, dass sie ewig bleibt und dabei verschwindet, ist eine der Grundlagen des christlichen Glaubens.

Das ist der christliche Trick: dass sich Schuld, indem man sie beschwört oder beichtet, verringert - Gottes Sohn, für uns geopfert, trägt unsere Schuld.

Die christliche Kultur ist schließlich eine Schuldkultur, eine Opferkultur und damit eine Täterkultur - das sind die Begriffe, nach denen menschliches Leid ermessen und sortiert wird, sie geben Halt, selbst wenn die Sinnlosigkeit noch so groß ist.

Schuld funktioniert dabei in beide Richtungen: Man kann sie benutzen, um andere einzuschüchtern, man kann sie benutzen, um sich selbst zu erleichtern.

Sie kann sogar etwas Eitles haben, die Schuld, die aus der tiefsten Selbsterniedrigung und im Eingeständnis der eigenen, Achtung, beliebtes Schuldwort: Fehlbarkeit eine Art Jubelstolz produziert.

Sich erniedrigen also, um sich zu retten. Sich schlecht fühlen, um sich besser zu fühlen. Schwäche zu zeigen, um daraus Stärke oder sogar Macht zu gewinnen, Macht über Menschen, Macht über die Gegenwart, Macht über die Vergangenheit.

Die Schuld ist damit eine narrative und eine politische Strategie, fast mehr noch als eine moralische: Sie steht am Anfang der Erzählung, sie ist der Strang, an dem entlang die Geschichte erzählt wird.

Die Frage ist, wann und warum die Schuld besonders thematisiert wird - am Karfreitag ist das klar, es gehört zur eingeübten (und/oder vergessenen) christlichen Tradition.

Aber was ist mit der anderen, der nicht unbedingt christlichen Schuld, der Schuld, die alles überwölbt: dem Holocaust, der die Existenzgrundlage des heutigen Deutschlands ist?

Es gibt dieses Deutschland nur wegen oder trotz des Holocaust - und es war kein Akt der Vergebung oder der Sühne, dass dieses Deutschland so entstehen konnte, wie es das tat, es war ein Akt des Pragmatismus und der Machtpolitik.

Die Deutschen selbst waren es, die das Reden über den Holocaust mit den christlich geprägten Begriffen verbanden: Das Wort von der Kollektivschuld war so ein Verlegenheitswort, das die Deutschen selbst erfanden, um sich, bekannte Schulddynamik, bald wieder davon zu distanzieren.

Was bedeutet es also, dass gerade jetzt, wo die letzten Überlebenden des Holocaust nach und nach sterben, die deutsche Schuld im deutschen Fernsehen fast im Monatstakt zelebriert wird?

Was bedeutet es vor allem, dass diese Arbeit am großen Grauen mit einer Gründlichkeit geschieht und mit einer gespielten Genauigkeit, die fast etwas Pornografisches hat?

"Wie spielt man Folter, Peter Schneider", fragte die "Bild"-Zeitung den Schauspieler, der die "grausamste Szene" in der grausamen Verfilmung des DDR-Romans "Nackt unter Wölfen" hatte, die am Mittwoch in der ARD lief.

Im Roman geht es um Kommunisten, die kurz vor Ende des Krieges 1945 einen Aufstand im Konzentrationslager Buchenwald vorbereiten, und um ein kleines Kind, das sie beschützen - im Fernsehfilm geht es nur noch um das Kind.

So ist das eben, im Melodram-Land D zur Melodram-Zeit 20.15/2015, so ist das, wenn sich die Deutschen staatlich subventioniert am Holocaust abarbeiten und dabei, das ist so ihre Art, das Plansoll übererfüllen: Das grausamste Grauen muss es sein, grob und voller Brutalitätslust, sie sind ja schließlich die Kinder und Enkel der Täter.

Und auch die Nähe, die das Grauen eigentlich verbietet, weil sie anmaßend ist, wird hier, zack, erzeugt - das ist die Methode "Nico Hofmann", dessen UMUV-Team auch hier verantwortlich war, das ist das süße Gift, das er mit seinen Filmen seit Jahren verbreitet als Monopolist der deutschen Schuld.

Man kann so einen Film nun inhaltlich kritisieren: dass der kommunistische Widerstand (im Gegensatz zum adligen Widerstand, der sonst rauf und runter gefeiert wird), kaum klar und sogar klein gemacht wurde.

Man kann so einen Film formal kritisieren: dass es einfach stumpf und ideenlos ist, immer die gleiche Selbstopferungsszene zu wiederholen zum klebrigen Grauensmoll des Melodrams.

Oder man kann so einen Film als Zeichen sehen: Es ist praktisch immer Ideologie im Spiel, wenn es um Geschichte geht - gegenwärtig leben wir in der Epoche neuer deutscher Macht, dazu passt ideologisch anscheinend die Beschwörung des Grauens ohne Grund.

Das Grauen wird Personen zugeordnet, die man mehr oder weniger verstehen kann in ihrer sehr schematischen Täter- oder Opferhaltung - das Grauen wird damit von der Gesellschaft, von Strukturen, von Interessen getrennt, das Grauen wird privatisiert und damit entpolitisiert.

Dabei sind die Konzentrationslager eben genau das Ergebnis von institutionellen und ideologischen Kräften, die wir gut verstehen können, so beschreibt das der in England lehrende deutsche Historiker Nikolaus Wachsmann - das KZ ist das, was dabei herauskommt, wenn man das Gefängnis, die Armee und die Fabrik kombiniert.

Sein Buch "KL: A History of the Nazi Concentration Camps" erscheint Mitte April. Ostern und der ganze Erlösungstrick sind dann schon vorbei.

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