
Boulevardblatt "Blick": Geliebte Chefredakteurin
Meuterei bei Boulevardblatt "Blick" Unsere Chefin, die Hoffnungsträgerin
Hamburg/Zürich - Freibad-Rassisten, Täschligate - während politische Berichterstatter auf das Schweizerische Bremgarten schauen und sich für Zürcher Luxusboutiquen sogar der internationale Boulevard interessiert, ist in der Schweiz der Boulevard derzeit mit sich selbst beschäftigt: In einem Brief an Marc Walder, den Chef des Ringier-Verlags, wenden sich die leitenden Redakteure des "Blick", als überregionales Boulevardblatt das "Bild"-Pendant der Eidgenossen, gegen die drohende Absetzung der derzeitigen Interims-Chefredakteurin Andrea Bleicher. Ihrer Empörung machen die "Redaktoren" auf gut Schweizerisch Luft: "Die einhellige Reaktion bei uns ist Konsternation."
In dem Schreiben, das der Schweizer Mediendienst persönlich.com veröffentlicht hat, heißt es weiter, der "Blick" habe unter Bleicher seine seit längerem andauernde Krise überwunden. Man fordere Ringier deshalb auf, Bleicher, die seit Anfang des Jahres kommissarisch an der Spitze der Tageszeitung steht, im Amt zu bestätigen. Zuvor war das Blatt von dem Deutschen Ralph Grosse-Bley geleitet worden.
Der 39-jährigen Bleicher hält die Redaktion nun zugute, innerhalb weniger Monate das Betriebklima merklich verbessert und den "Blick" wieder zu einem relevanten Medium gemacht zu haben: "Wir galten als altmodisch, selbstbezogen, phantasielos. Das hat sich geändert: 'Blick'-Geschichten bestimmen wieder nationale Diskussionen", schreiben sie und bezeichnen Bleicher als "Hoffnungsträgerin".
Fachsimpeleien über Innenpolitik
Auslöser der nicht nur für die Schweizer Medienbranche ungewöhnlich deutlichen Protestaktion war ein Bericht der "NZZ am Sonntag". Demnach plane Ringier, den Wirtschaftspublizisten René Lüchinger, zuvor beim Nachrichtenmagazin "Facts" und der rechtslastigen "Weltwoche", zum Chefredakteur des "Blick" zu ernennen. Der Grund dafür sei unter anderem, dass der Publizist Frank A. Meyer, der als wichtigster Berater des Verlegers Michael Ringier gilt, bei den von ihm geschätzten Fachsimpeleien über die Schweizer Innenpolitik Bleicher nicht als gleichwertige Gesprächspartnerin anerkenne.
Dazu schreiben die "Blick"-Mitarbeiter: "Mit dem jetzt geplanten Wechsel an der 'Blick'-Spitze ist die Grenze unseres Verständnisses erreicht. Wir halten ihn für ein abermaliges Experiment mit ungewissem Ausgang."
Ringier hat die Personalie bislang nicht bestätigt. Auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE erklärte ein Unternehmenssprecher, man wolle derzeit weder das Schreiben der Redakteure noch die Gerüchte, auf denen es beruhe, kommentieren: "Die Diskussion wird intern geführt, und wir werden danach raschmöglichst auch extern informieren."
Nach eigenen Angaben hat der "Blick" derzeit eine verkaufte Auflage von rund 191.000 Exemplaren - damit ist er eine der größten Zeitungen der Schweiz, aber nicht das auflagenstärkste Blatt des Landes. Das ist die Gratiszeitung "20 Minuten".